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Der chinesische Volkskongress ist in der Grossen Halle des Volkes zusammengetreten. © SRF

Das gigantische Stelldichein der roten Mandarine

Peter G. Achten /  Personalentscheide und inhaltliche Reformen sind beim zehntägigen chinesischen Nationalen Volkskongress in Peking traktandiert.

Immer anfangs März treten das chinesische Parlament, der Nationale Volkskongress, und die Politische Konsultativ-Konferenz des Chinesischen Volkes zusammen. Die «Zwei Sitzungen» oder «Zwei Konferenzen» – so wird das Stelldichein der roten Honoratioren oder Mandarine in China genannt – gehen in Peking in der Grossen Halle des Volkes über die Bühne, inszeniert und orchestriert von der allmächtigen Kommunistischen Partei.
Von ausländischen Medien wird das Polit-Theater am Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen etwas überheblich als Pseudo- und Kopfnicker-Parlament abgetan. So einfach freilich ist die parlamentarische Wirklichkeit chinesischer Prägung nicht. Beschlüsse und Personalien sind zwar vom Zentralkomitee und dem Politbüro der KP bereits gefällt und werden den Volksvertretern quasi pfannnenfertig unterbreitet. Doch die realen Probleme des Riesenlandes China werden sehr wohl debattiert, heftig nicht selten und zum Teil kontrovers, sowohl im Plenum als auch in Provinzgruppierungen.

Die bunten Bilder für die Tagesschau

Über dreitausend Journalisten, darunter gut tausend aus dem Ausland, sind akkreditiert. Sie verfolgen die Diskussionen und halten den insgesamt über fünftausend Abgeordneten bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten das Mikrophon zum Interview vors Gesicht. Trauben von Kameraleuten bannen vor der Grossen Halle des Volkes die süffigsten Szenen ins Bild. Das sind sowohl beim chinesischen Staatsfernsehen als auch bei den westlichen Privatsendern sowie den öffentlich-rechtlichen Sendern Westeuropas vor allem die Abgeordneten der 56 Nationalen Minderheiten in ihren bunten Trachten und zum Teil gewagten Kopfbedeckungen. Das gibt im grauen Alltag der Parlamentsberichterstattung bunte Bilder für die Tagesschau.

Auch für den Journalisten, vor allem aus dem Ausland, sind die rund zehn Verhandlungstage von Nutzen, nicht zuletzt um im Gespräch mit Delegierten aus den Provinzen den Puls des komplexen Landes zu fühlen und um Kontakte zu knüpfen. Das lohnt sich für den Hintergrund und à la longue. In den chinesischen Medien wird zwar ausführlich Hofberichterstattung gepflegt, doch auch die eher sperrigen, politisch heiklen Themen werden breit thematisiert.

Dieses Jahr von besonderer Relevanz

In die nationalen genausogut wie in die internationalen Schlagzeilen kommen der Rechenschaftsbericht des Premierministers, die wichtigsten Sachentscheide – zum Beispiel das Budget der Volksbefreiungs-Armee – die Personalentscheide und am Schluss die Pressekonferenz des Premierministers vor der heimischen und internationalen Presse. Für jene, die China wirtschaftlich und politisch etwas näher verfolgen, ist bereits jetzt klar, dass die diesjährigen «Zwei Sitzungen» von besonderer Relevanz sind.
Vor etwas mehr als drei Monaten wurde am Parteikongress eine neue Führung erkoren. Der damals zurückgetretene Parteichef Hu Jintao wird jetzt auch das Amt des Staatspräsidenten an den neuen Partei- und Militärchef Xi Jinping übergeben. Zurücktreten wird auch die Nummer Zwei der Partei, der im Volk beliebte Premier Wen Jiabao. Nachfolger wird die neue Nummer Zwei Li Keqiang. Eine ganze Reihe weiterer von der Partei bereits entschiedener Personalien auf Staatsebene steht an. Besonders interessant: Der bisherige Aussenminister Yang Jiechi wird zum Staatsrat befördert und somit Mitglied des Kabinetts. Neuer Aussenminister wird Wang Yi, Exbotschafter in Japan und ausgewiesener Nordkorea-Experte; eine interessante Personalie angesichts der explosiven aussenpolitischen Probleme mit Nordkorea und dem sino-japanischen Streit um die Senkaku-Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer.

Verkleinerter Staatsrat, reformierte Behörden

Von grösserer Bedeutung ist die Reform des Staatsrates. Er soll von 28 auf 17 Ministerien reduziert werden. Zudem sollen 65 Zentralbehörden, Koordinationszentren und Kommissionen, deren Vorsitzende im Range von Ministern amten, reformiert werden.Das ist für die neue Führung um Staats- und Parteichef Xi Jinping eine heikle Angelegenheit. Ministerien sind mächtig. Mancherlei alteingesessene Interessen in der Wirtschaft, Lobbies und einflussreiche Familien sind damit verhängt. Xi Jinping kann auf die informelle «Bruderschaft der Kinder von Yan’an», den Klub der Söhne und Töchter alter Revolutionäre, zählen. Der Klub der sogenannten Prinzlings – auch Xi ist Sohn eines alten Revolutionärs – vereinigt Liberale, Linke und Militärs.

Wohl entscheidender als alle Personalentscheide ist die vom neuen Parteichef Xi Jinping skizzierte Reform-Agenda: gnadenloser Kampf gegen die Korruption, gerechtere Einkommensverteilung, soziale Sicherheit, Umweltschutz. Die Funktionäre bis hinunter ins Dorf hat Xi zu Sparsamkeit verdonnert. Luxusgeschenke, schöne Auslandreisen auf Staatskosten, «leeres Geschwätz», rote Teppiche und ausufernde Gelage sind tabu. An den diesjährigen «Zwei Sitzungen» sind weder die üblichen schnapsfeuchten Bankette möglich, noch dürfen Blumen die Hotelzimmer der Delegierten schmücken.

Zwang für ein neues Wachstumsmodell

Es geht aber nur vordergründig um mehr Sparsamkeit der roten Mandarine. China steht vor der schwierigen Aufgabe, ein neues Wachstumsmodell zu erfinden, weg von der einseitigen Abhängigkeit von Export und Infrastruktur-Investitionen hin zu mehr Binnennachfrage und Konsum. Der abtretende Staatschef Hu Jintao hat in den zehn Jahre seiner Herrschaft ein rasantes Wachstum vorgelegt und China zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt sowie zum Exportweltmeisterschaft geführt. Doch die Grenzen des Wachstums sind nach Meinung der Partei und der chinesischen Ökonomen erreicht. Nachhaltiges Wachstum ist das Gebot der Stunde.
Auch politische Reformen werden vorsichtig angemahnt. Der abtretende Premier Wen Jiabao sprach im vergangenen Jahr verschiedentlich mit Nachdruck von der Notwendigkeit einer «politischen Reform». Was allerdings darunter zu verstehen ist, bleibt im Dunkeln. Es ist mit Sicherheit nicht Demokratie westlicher Prägung, wohl aber mehr Transparenz, mehr Rechenschaft der Regierenden. Die 2’987 Delegierten des Volkskongresses und die 2’237 der Konsultativkonferenz – darunter Literaturnobelpreisträger Mo Yan und Hongkongs Holywoodstar Jacky Chan – werden die von der Partei vorbereiteten Geschäfte genauso wie die Personalentscheide absegnen – wie immer mit einigen Gegenstimmen und Enthaltungen.

Bereits amtliche Lobhudelei

Die amtliche Nachrichten-Agentur Xinhua lobhuldete bereits Tage vor der Eröffnung, dass die «Zwei Sitzungen» den «grossen Banner des Sozialismus chinesischer Prägung hochhalten» werden. Die Delegierten würden «Chinas demokratische Politik weiterführen», und es werde erwartet, dass die «Vorschläge der regierenden Partei durch einen legalen Prozess in nationale Politik umgesetzt» werden. So könne der von Parteichef Xi Jinping skizzierte Entwurf des «Chinesischen Traums» realisiert werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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