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Skyline von Pudong in Shanghai © Ushimataro/Wikimedia Commons/cc

China im Höhenrausch

Peter G. Achten /  China will hoch hinaus – auch beim Bauen. In der Provinz Hunan soll schon bald der höchste Wolkenkratzer der Welt stehen.

Man könnte es auch so formulieren: Zweistellige Wachstumsraten gehören im Reich der Mitte endgültig der Vergangenheit an. Die Wolkenkratzer hingegen wachsen und wachsen und wachsen. Angefeuert wird das ganze durch einen ungebremsten Immobilienboom, der im Westen auch als Immobilienblase apostrophiert wird. Das Zauberwort heisst: staatlich sanktionierte, billige Kredite.
Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt strebt nach Rekorden. Noch bevor China die USA in einigen Jahren – oder vielleicht doch ein wenig mehr? – überholen will, soll es wenigstens zur Nummer 1 im Bau von Wolkenkratzern reichen. Vermutlich schon im kommenden Jahr. Sowohl was die Anzahl der Gebäude als auch was deren Höhe betrifft. Über fünfzig Prozent aller Hochhäuser weltweit stehen in China. Bald werden es noch mehr sein.
Wettrennen um den höchsten Turm
Die Skyline von Pudong in Shanghai ist mittlerweile weltbekannt. Der Fernsehturm Oriental Pearl Tower ragt mit Antenne 468 Meter in den umweltverschmutzten Himmel der Finanz- und Wirtschaftsmetropole. Der Jin Mao Tower bringt es auf 420,5 Meter, das wenige hundert Meter entfernte Weltfinanzzentrum Shanghai auf 492 Meter, und seit August 2013 überragt der gleich daneben errichtete Shanghai Tower mit 632 Metern alles. Auch anderswo im chinesischen Wirtschaftswunderland will man hoch hinaus. In der Südchinesischen Provinz Guangdong liessen sich die Kader-Granden von Kanton einen 600 Meter hohen Fernsehturm errichten. Auch die «abtrünnige Provinz» Taiwan lässt sich mit seinem grandiosen Wolkenkratzer Taipei101 nicht lumpen. Vor neun Jahren fertiggestellt, übertraf er 2004 mit 508 Metern die damalige Nummer 1 weltweit, die 452 Meter hohen Petronas-Towers in Kuala Lumpur.
Amerika, einst führend im Bau von Wolkenkratzern, ist inzwischen von der Spitze verdrängt worden. Das 1930/31 in Rekordzeit erstellte Empire State Building (443 Meter mit Antennen) im New Yorker Stadtteil Manhattan ist bis heute ein Wahrzeichen der Metropole und blieb bis 1972 weltweit die Nummer 1. Es war das Jahr, als US-Präsident Richard Nixon nach Peking reiste, um mit dem «Grossen Steuermann» Mao Dsedong einen damals für die Weltpolitik sensationellen Deal abzuschliessen. Dies führte letztlich unter Maos Nachfolger Deng Xiaoping zur rasanten Aufholjagd Chinas, die in der Weltgeschichte einmalig ist.
Doch noch bevor China die ersten modernen Hochhäuser errichtete, war nochmals Amerika an der Reihe. In Chicago löste 1972 der Turm der Handelskette Sears (527 Meter mit Antenne) das Empire State Building als Weltnummer 1 ab. Heute ist das in Willis-Tower umbenannte Sears-Gebäude weltweit nur noch die Nummer 9, und hinter dem 2010 fertiggestellten, 541 Meter hohen One World Trade Center in New York auch nur noch die Nummer 2 in Amerika.
In Rekordzeit zum Höhenrekord
Im Rennen um das höchste Gebäude weltweit siegte schliesslich vor drei Jahren Dubai mit dem 828 Meter hohen Burj Khalifa. Doch Pläne in Hong Kong, Tokio oder Peking peilen bereits Höhen bis zu 1000 Metern an. In China freilich, dem neuen Land der unbegrenzten Möglichkeiten, rechneten die Grossstädte Shanghai, Peking oder Kanton nicht mit dem brennenden Ehrgeiz provinzieller Kader. In Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, hat man bereits mit dem Aushub für ein 838 Meter hohes Gebäude begonnen. Mit vorgefertigten Elementen sollen die 202 Stockwerke innerhalb von drei Monaten hochgezogen werden – zehn Meter höher als Burj Khalifa. Inklusive Aushub soll die Gesamtbauzeit nur knappe 210 Tage betragen. Der von der privaten chinesischen Broad Group geplante Wolkenkratzer Sky City kostet umgerechnet 1,5 Milliarden Schweizer Franken. 67‘000 Quadratmeter Land hat die Kommune Changsha für umgerechnet 65 Millionen Franken ersteigert. Sky City ist in der Tat ein Mega-Projekt. Es soll ein Hotel für 1000 Gäste, fünf Schulen, ein Spital, sechs Basketball-, zehn Tennisplätze, 104 Hochgeschwindigkeit-Lifts, 17 Helipads sowie Wohnungen für 17‘000 Menschhen beherbergen.
Höhenwachstum zwischen Faszination und Skepsis
Die Bäume mögen zwar nach Ansicht von nicht so gut informierten ausländischen Experten in China noch immer in den Himmel wachsen, doch die Kritik an der Sucht nach «schneller, grösser, höher» ist im Reich der Mitte unüberhörbar. Chinesische Städteplaner setzen ganz grosse Fragezeichen hinter diese Riesenprojekte. Sicherheit, Verkehr oder Immobilienblase werden thematisiert. Bei Sky City in Changsha ist auch die kurze Bauzeit mit vorfabrizierten Teilen ein Kritikpunkt. Auf dem chinesischen Twitter-Ersatz Sina Weibo wird heftig und kontrovers diskutiert. Ja selbst staatliche und parteiliche Medien kommentieren das Streben nach Bauhöhen-Rekorden zum Teil mit ätzenden Worten. Die allmächtige Kommunistische Partei ist unzufrieden mit dem Baufieber der roten Mandarine in Provinzen und Kommunen. Renmin Ribao (Volkszeitung), das Sprachrohr der Partei, geisselte die «Eitelkeit und Hohlheit von einigen Lokalregierungen» im Zusammenhang mit «überzogenen Bauprojekten».
«Trotz Widerständen zum Erfolg»
Mitte August ist das Changsha-Projekt vorübergehend gestoppt worden, um weitere Bewilligungen, vor allem bezüglich Sicherheit, von der Zentralregierung einzuholen. Der chinesische Tycoon Zhang Yue, Präsident seiner Broad Group, gibt sich zuversichtlich. Die Baumethode mit vorgefertigten Teilen sei anderswo schon erfolgreich angewendet worden und international habe er dafür bereits Franchisen verkaufen können. In der Zwischenzeit hat Zhang den grössten Anteil am Gebäude an mehrere private chinesische Investment-Gesellschaften veräussert. Zhang gibt sich optimistisch: «Wie gross immer die Widerstände sind, ich werde sie überwinden und das Sky-City-Projekt in Changsha zum Erfolg führen.»
Renmin Ribao (Volkszeitung) ist inmitten des chinesischen Immobilien-Booms etwas vorsichtiger. Das Empire State Building in New York, erinnert der parteiamtliche Schreiber seine Leser, habe fast zwanzig Jahre gebraucht, bis es voll vermietet war und ein kommerzieller Erfolg wurde. Deshalb habe man das Empire State Building in Amerika auch «Empty State Building» genannt, schreibt der Kommentator maliziös. Doch Tycoon Zhang bleibt ungerührt: «Es gibt für mich keinen Zweifel. Dinge, die ich mir vorstelle und vornehme, werden mit Sicherheit durchgezogen.»


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Keine

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