Argentinien-Wahl: Mileis Triumph oder Pyrrhussieg?
Mit gut 40 Prozent der Stimmen hat der «libertäre» Präsident Javier Milei mit seiner neoliberalen Politik bei den Kongresswahlen in Argentinien ein deutlich besseres Resultat erzielt, als mehrheitlich erwartet worden war.
Ungeachtet verschiedener Fälle von Korruption und anderer Skandale, die mitten in der Wahlkampagne platzten, bekundeten überraschend viele Stimmberechtigte ihre Gunst für den 55-jährigen Machthaber und seinen brachialen Sparkurs. Selbst direkte Verbindungen zwischen der Casa Rosada, dem Regierungsgebäude in Buenos Aires, und einer international agierenden Rauschgiftbande vermochten das Vertrauen in den Präsidenten nicht entscheidend zu beschädigen.
Der Gegenwind bleibt
Die konservative Tageszeitung «La Nación» hebt als grösste Überraschung des Urnengangs hervor, dass Mileis Partei «La Libertad Avanza» (LLA) in Buenos Aires, der grössten Provinz des Landes, die Wahl knapp für sich entscheiden konnte. Dort hatten vor wenigen Wochen noch die Anhänger des vor einem halben Jahrhundert verstorbenen Juan Domingo Perón einen klaren Sieg bei den vorgezogenen Lokalwahlen errungen – und damit offenbar falsche Hoffnungen genährt. Diverse Kenner der argentinischen Innenpolitik versuchen nun, die Gründe für den überraschenden Wahlsieg zu analysieren.
«Página 12», das Blatt der Linksperonisten, hebt hervor, dass Milei im Vergleich zu seinem Wahlsieg vor zwei Jahren landesweit über 13 Prozent der Stimmen verloren habe. Zwar habe LLA ihre Präsenz in beiden Kammern des Parlaments steigern können, doch müsse sie nach wie vor bei jeder Abstimmung um Mehrheiten kämpfen. Immerhin kann der Staatschef dank der auf über ein Drittel gewachsenen Sitzzahl im Kongress künftig sein Veto gegen Sperrmanöver der Opposition durchsetzen. Allerdings wird er jedes Mal um mühsame Verhandlungen nicht herumkommen. Vor allem dürfte Milei den Einfluss der Anhänger verschiedener politischer Kräfte in den 24 Provinzen auch in der nationalen Legislative zu spüren bekommen.
In einer euphorischen Rede vor dem Volk forderte Milei am Sonntagabend die Gouverneure auf, seine Politik der harten Hand ohne Zögern zu unterstützen. Dabei wird die amtierende Innenministerin Patricia Bullrich eine wichtige Rolle spielen. Sollte sich in der Bevölkerung Unmut breit machen, wird die hochgerüstete Polizei ohne Pardon gegen Rentner, Lehrkräfte und medizinisches Personal vorgehen, die gegen das neoliberale Programm protestieren.
Resultat langjähriger Misswirtschaft
Sowohl innen- wie aussenpolitische Faktoren haben Mileis Triumph möglich gemacht. Der mit natürlichen Ressourcen reich gesegnete Staat im südlichsten Teil Lateinamerikas hat eine jahrzehntelange Geschichte von Instabilität und Schwäche hinter sich, die breite Teile seiner 46 Millionen zählenden Bevölkerung in Not und Verzweiflung treiben. Diese Missstände sind das Ergebnis der Herrschaft von politischen Kräften, die fast ohne Ausnahme durch Nachlässigkeit und Unvermögen enormen Schaden angerichtet haben. Von Machthunger getrieben, haben demokratisch vom Volk gewählte Regierungen ebenso versagt wie konservative Diktaturen. Populistische wie auch oligarchische Gruppierungen sind kläglich gescheitert. Fast alle liessen die Inflation vom zweistelligen in den dreistelligen Bereich steigen und wurden dafür an den Urnen abgestraft.
Wahlhelfer Donald Trump
US-Präsident Donald Trump hat der Regierung Milei Hilfe angeboten, als viele Indikatoren befürchten liessen, Argentinien drohe ein weiterer Staatsbankrott. Die Teuerung scheint bei der Marke von rund 30 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten einen Tiefpunkt erreicht zu haben, doch bereits deutet sich wieder ein beschleunigter Anstieg an. Gleichzeitig fallen die meisten Wachstumsdaten erneut in den negativen Bereich. Damit droht der Wirtschaft das doppelte Übel einer Stagflation (Teuerung bei stagnierendem oder sogar rezessivem Trend).
Washingtons Angebot in höchster Not hat in der Bevölkerung offenbar den gewünschten Effekt erzielt. Viele Wähler und Wählerinnen scheinen die Botschaft gehört zu haben: Entweder unterstützt ihr Milei oder ihr könnt euch die Hilfe der USA (und des Internationalen Währungsfonds) ans Bein streichen. Der Wink mit dem Zaunpfahl dürfte bei vielen, die in solchen Momenten kippen, gewirkt haben – umso mehr, als ihnen keine glaubwürdige Alternative zur Verfügung stand.
Was die «Rettung» durch Präsident Trump für Argentinien bedeuten könnte, bleibt dabei schleierhaft. Parallelen zu den milliardenschweren Notkrediten an Mexiko, dem sogenannten Tequila-Plan in den 1990er Jahren, und später an das bankrotte Griechenland tauchen auf. Schon damals wurde klar, dass in solch dramatischen Phasen der Rettungsring weniger für die vom Untergang bedrohte Nation ausgeworfen wird als vielmehr für jene internationalen Grossbanken, die sich mit hochgradig spekulativen Engagements in jenen Ländern bereichert hatten.
Liberalisierung der Wechselkurse
Trumps Angebot umfasst (vorderhand) rund 40 Milliarden US-Dollar – und eine Reihe harter Konditionen. Die wichtigste wird eine mittel- und langfristige Liberalisierung der Wechselkurse beinhalten. In dieser Hinsicht ist Argentinien ein gebranntes Kind. Mehrmals in der jüngeren Geschichte des Landes hat sich dieses oberste Gebot der liberalen Wirtschafts- und Finanzpolitik als Stolperstein erwiesen. Schon die berüchtigte Junta, die in den 1970er Jahren am Ruder war, verrannte sich unter dem mächtigen Minister José Martínez de Hoz in eine Pleite, die den gesamten Bankensektor erschütterte und Milliardenvermögen zerstörte. Ein ebenso bitteres Ende erlebte die Nation am La Plata unter dem rechtsliberalen Peronisten Carlos Menem und dessen ebenfalls demokratisch gewählten Nachfolger Fernando de la Rua. Ein heftiger Volksaufstand beendete ihre Experimente mit Liberalismus und Neoliberalismus.
Die jüngsten Erfahrungen in Sachen «Öffnung» der Wirtschaft nach IWF-Rezepten machte der konservative, ebenfalls an den Urnen gewählte Präsident Mauricio Macri. Er gab dem Drängen der USA im Zusammenhang mit dem vorletzten Rettungsplan nach und öffnete die Schleusen der Devisenkontrolle in der Hoffnung, damit das Vertrauen der privaten Anleger und Grossinvestoren zu gewinnen. Doch der Schuss ging nach hinten los: Kaum war diese Schranke gefallen, floh das nationale und fremde Kapital mitsamt den Gewinnen ins Ausland, wo immer ihnen lokale Regimes Schutz und Diskretion versprachen. Der grösste Teil des damaligen über 50 Milliarden Dollar hohen Kredits – des grössten an ein einzelnes Land in der Geschichte des IWF – löste sich in Schall und Rauch auf.
Wahlsieg ist «kein Blankoscheck»
Die grosse Frage ist nun: Wird Milei mit seiner neoliberalen Sparpolitik, die einer Kettensäge bedarf, um durchgesetzt zu werden, dauerhaften Erfolg haben? Der erste Ansatz im April dieses Jahres endete wie immer: im Misstrauen. Die ersten 10 Milliarden waren nach wenigen Wochen weg, das Vertrauen in die Kettensägenpolitik angeschlagen. Gelingt es Milei nun, die wirtschaftliche Zukunft des Landes zu formen? Oder wird alles wieder nur ein Pyrrhussieg sein?
Die Börsen in Buenos Aires und New York feierten den Wahlerfolg von Mileis Partei mit Rekordsprüngen bei den Aktien sowie bei staatlichen und privaten Schuldpapieren. Das Länderrisiko Argentiniens sank von 1100 auf momentan rund 600 Punkte. Kabinettchef Guillermo Francos war einer von wenigen, die den Übermut in den Reihen der Regierungspartei LLA zu dämpfen versuchten. Der Wahlsieg vom Sonntag, so warnte er mit väterlich ernster Stimme, sei «kein Blankoscheck».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war 33 Jahre lang Korrespondent in Südamerika, unter anderem für den «Tages-Anzeiger» und die «Frankfurter Rundschau».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.









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