Rodrigo Paz Pereira

Der Sieger des ersten Wahlgangs: Rodrigo Paz Pereira (rechts). © Rodrigo Paz Pereira / x. com

Triumph der Christdemokraten in Bolivien

Romeo Rey /  Bei der ersten Wahlrunde am 17. August wurde der Vertreter des «Movimiento al Socialismo» aus dem Wahllokal gejagt.

Der erste Urnengang zur Wahl des nächsten Präsidenten und des neuen Parlaments hat in Bolivien ein allen Umfragen widersprechendes Resultat gebracht. Beide Kandidaten, die sich für die Stichwahl vom 19. Oktober qualifiziert haben, stehen der Democracia Cristiana (DC) nahe und verheissen dem 11-Millionen-Volk eine gemässigt konservative Regierung.

Mit rund 32 Prozent der Stimmen hat Senator Rodrigo Paz Pereira diese erste Runde gewonnen. Er ist der Sohn des früheren Staatsoberhaupts Jaime Paz Zamora. Dieser entstammt einer seit Jahrzehnten politisch einflussreichen Familie aus dem südlichen Landesteil Tarija, in deren Mittelpunkt der mehrfach gewählte Staatspräsident Victor Paz Estenssoro stand.

Der 57-jährige Paz Pereira verspricht seinen Anhängern einen «Kapitalismus für alle». Dieser Slogan mag populistisch klingen – aber er stimmt mit der soziologischen Zusammensetzung des Landes gut überein. Millionen Bolivianer und vor allem Bolivianerinnen überleben seit jeher dank eifrigem Handel mit allem Erdenklichen auf den überaus regen und farbigen Strassenmärkten in den Städten wie auch auf dem Land.

Herausforderer bei der Stichwahl stammt aus der gleichen Partei

Einziger Rivale des Senators wird bei der Stichwahl der 65-jährige (kurzzeitige) Ex-Präsident der Republik Jorge «Tuto» Quiroga sein. Er gehört einer konservativeren Fraktion der DC an, kam in der ersten Runde auf 27 Prozent der Stimmen und stellt seiner Gefolgschaft in erster Linie eine Politik der Sanierung, also vor allem des Sparens in Aussicht. Zu diesem Zweck will er sowohl den Internationalen Währungsfonds als auch die Weltbank um neue Kredite bitten, was wie üblich mit harten Auflagen verbunden wäre.

Das politische und wirtschaftliche Erbe, das die fast zwei Jahrzehnte umfassende Herrschaft des «Movimiento al Socialismo» (MAS) seinen Nachfolgern hinterlässt, kommt einer schweren Hypothek gleich. Oberste Verantwortliche des Niedergangs sind der Parteigründer und mehrmalige Staatschef Evo Morales und sein ebenfalls langjähriger Wirtschaftsminister und scheidender Präsident Luis Arce. Dabei hatte man bei Halbzeit, also um 2015 herum, auf eine Bilanz zurückschauen können, die sich sehen liess – sofern man nicht zu genau hinschaute.

Das kleine Wirtschaftswunder, damals von praktisch ganz Lateinamerika als Beispiel für Wachstum ohne Inflation beneidet, beruhte auf zwei grundlegenden Faktoren, die ihre Problematik in diesem Erdteil schon oft aufgezeigt hatten: erstens einer mehrere Jahre andauernden Hausse bei den Rohstoffpreisen und zweitens auf einer schleichenden Überbewertung der lokalen Währung, in diesem Fall des Boliviano.

Der «König des Zements» erhielt knapp 20 Prozent der Stimmen

Beides konnte nicht ewig dauern. Die Bonanza bei dem für Bolivien wichtigsten Rohstoff, dem Erdgas, schwand von Jahr zu Jahr, weil einerseits die besten Kunden – Brasilien und Argentinien – selber als Produzenten auf dem Markt auftauchten und dadurch zur Erosion des Gaspreises beitrugen, während die Bolivianer, wie sich bald einmal erweisen sollte, zu wenig zur Förderung neuer Vorkommen unternahmen. Zwar liess sich andererseits die interne Teuerung bei starren Wechselkursen noch einige Jahre lang nahe bei null einfrieren. Doch was man auch in anderen Ländern des Subkontinents erfahren hatte: Die Korrektur dieser Politik erfolgte explosionsartig, der US-Dollar kostete aus heiterem Himmel plötzlich das Doppelte bis Dreifache. Schluss mit Wirtschaftswunder.

Als Helfer in der Not hatte sich in der Wahlkampagne Samuel Doria Medina mit knackigen Losungen angeboten. Er heisst im Volksmund «König des Zements» und war als solcher zum reichsten Unternehmer des Landes avanciert. Aber damit hatte Bolivien auch schon seine Erfahrungen gemacht. 2002 hatte der damalige Krösus der Nation, Gonzalo Sánchez de Losada, die Präsidentenwahl im Galopp gewonnen. Seine Amtszeit dauerte kaum mehr als ein Jahr, er strauchelte mit Privatisierungsplänen nach dem Gusto des IWF. Bei der jetzigen Wahl hielten immerhin noch knapp 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler Doria Medina die Stange. Zu wenig, als dass er in die engere Wahl gekommen wäre.

Mit Steinwürfen davon gejagt

Noch viel schlimmer erging es den einstigen Grössen des «Movimiento al Socialismo». Evo Morales durfte aufgrund eines Entscheids des Obersten Wahlgerichts nicht mehr kandidieren, weil er schon früher (2019) vor lauter Machthunger die von ihm selber initiierte Staatsverfassung missachtet hatte. Luis Arce verzichtete auf eine Kandidatur, weil sie laut Umfragen ohnehin völlig aussichtslos war. Andrónico Rodríguez, ein 36-jähriger Newcomer aus den Reihen des MAS, der die beiden Hauptverantwortlichen des Debakels beerben wollte, wurde am vergangenen Sonntag mit Steinwürfen aus dem Wahllokal verjagt.

Ob der Sieger zum Schluss Paz oder Quiroga sein wird: Die Option zwischen zwei Vertretern der Democracia Cristiana wirkt schon fast als Glücksfall. Bolivianerinnen und Bolivianer haben es in ihren Händen, wer der Auserwählte sein soll. Beide verkörpern eine moderat konservative Herrschaft. Viel mehr als das kann man sich angesichts des Zusammenbruchs der Linken kaum wünschen. Ihrer Partei war jahrzehntelang das Dasein eines innenpolitischen Mauerblümchens reserviert geblieben, dessen Beliebtheit im Volk bei Umfragen und Wahlen kaum je über den einstelligen Prozentsatz hinausgekommen war. Jetzt können sie ihr Schicksal selber bestimmen. Entweder mit Hilfe des IWF oder ohne.

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Der frühere Lateinamerika-Korrespondent Romeo Rey fasst die Entwicklung regelmässig zusammen. Auch Beiträge von anderen Autorinnen und Autoren.

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