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Albert Stahel: «Von der Schweiz aus werden Söldnergeschäfte abgewickelt» © zvg

Söldner auf dem Vormarsch

Jürg Müller-Muralt /  Der Bundesrat will Söldnerfirmen verbieten und private Sicherheitsfirmen kontrollieren. Doch sein Verhalten ist widersprüchlich.

Das Söldnerwesen hat keinen guten Ruf. Der libysche Diktator Muammar Ghadhafi versuchte sich bis kurz vor seinem Sturz im Oktober 2011 mit ausländischen Söldnertruppen über Wasser zu halten. Und die Uno warnte kürzlich vor einem Besorgnis erregenden Anstieg des Söldnerwesens in Afrika.

Renaissance eines alten Gewerbes

Das uralte Gewerbe erlebt derzeit eine Renaissance. Söldner – also meist im Ausland gegen Bezahlung angeworbene, auf Zeit vertraglich verpflichtete Militärpersonen – gab es schon immer. Sie wurden und werden meist für das ganz Grobe eingesetzt und operieren ausserhalb der regulären Streitkräfte. Nach Einführung stehender Heere und der allgemeinen Wehrpflicht verlor das Söldnerwesen an Bedeutung.

Doch heute, da Staaten vermehrt Sicherheitsaufgaben an Privatfirmen vergeben, ist nicht immer ganz klar, wo der Unterschied zwischen einem privaten Sicherheitsexperten und einem Söldner liegt. Nicht zuletzt deshalb bezeichnet der ehemalige stellvertretende Uno-Generalsekretär für Abrüstung, Jayantha Dhanapala, die schleichende Privatisierung der Sicherheitsaufgaben als «zutiefst beunruhigend».

Bundesrat will handeln

Auch in der Schweiz sind militärische Dienstleistungen, wie sie Sicherheitsunternehmen und Söldnerfirmen anbieten, gesetzlich nicht geregelt. Nun will der Bundesrat handeln: Er hat Mitte Oktober dieses Jahres einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung geschickt, der ein Verbot von Söldnerfirmen vorsieht. Demnach soll es gemäss Medienmitteilung untersagt sein, «unmittelbar an Feindseligkeiten im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Ausland teilzunehmen (Verbot des Söldnertums).» Zudem wäre es verboten, «zum Zweck der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten Sicherheitspersonal in der Schweiz zu rekrutieren, auszubilden, zu vermitteln oder zur Verfügung zu stellen.» Sicherheitsdienstleistungen, die mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden sind, sind ebenfalls verboten. Zudem soll eine umfassende Meldepflicht für die staatliche Kontrolle der privaten Sicherheitsfirmen sorgen, die von der Schweiz aus Dienstleistungen im Ausland erbringen.

Britische Söldnerfirma fördert Umdenken

Das sind neue Töne. Noch 2008 verzichtete der Bundesrat ausdrücklich auf eine Bundesregelung für Sicherheitsfirmen. Die Regierung zum Umdenken gebracht hat die britische Söldnerfirma Aegis Defence Services, die im August 2010 einen Holdingsitz in Basel eingerichtet hat. Die Firma ist gemäss Angaben des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) «einer der wichtigsten, global tätigen Akteure im Bereich der privaten Sicherheits- und Militärfirmen.» Rund 20 000 Söldner stehen bei der Firma unter Vertrag. Sie sind im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums vor allem in Afghanistan und Irak im Einsatz. Die britische Firma organisiert «nach eigenen Angaben ihre operativen Tätigkeiten weiterhin von London aus», schreibt das EJPD.

Albert Stahel, Leiter des Instituts für Strategische Studien an der Universität Zürich, bezeichnet die Behauptung als «Unsinn», von der Schweiz aus würden keine Geschäfte abgewickelt: «Bei dieser Firma handelt es sich um eine Holding. Und diese ist ganz klar mit anderen Unternehmenseinheiten in Grossbritannien vernetzt», erklärte Stahel gegenüber dem Online-Portal Swissinfo. Für Stahel ist mit Blick auf den Holdingsitz in Basel auch klar: «Wenn Sicherheitsunternehmen wie Aegis in Konflikte in Iran, Irak oder Afghanistan verwickelt sind, ist das nicht mit der Schweizer Neutralität vereinbar.»

Aegis für die Schweiz in Tripolis

Pikanterweise bewacht nun ausgerechnet die derart kritisierte Firma Aegis die Schweizer Botschaft in Tripolis seit ihrer Wiedereröffnung am 15. Oktober. Es handelt sich um ein auf drei Monate befristetes Mandat. Der Einsatz dieser Firma hat Ende Oktober bereits zu einer Rüge der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates an die Adresse des Bundesrates geführt: Die Situation sei «höchst peinlich» und schade den Interessen der Schweiz, heisst es in einer Mitteilung. Die Kommission erwarte, dass der Bundesrat solche Einsätze der Armee übertrage.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) sieht hier allerdings kein Problem. Es habe verschiedene Offerten geprüft, erklärt EDA-Sprecher Adrian Sollberger gegenüber Infosperber: «Das Angebot der Firma Aegis entsprach dem Auftragsprofil am besten. Unter anderem war die Firma bereits vor Ort tätig und hatte gute Kenntnisse der lokalen Verhältnisse.» Zudem entspreche das Mandat der Firma Aegis den Vorgaben des erwähnten, in der Vernehmlassung stehenden Gesetzesentwurfes. Sollberger unterstreicht, Aegis habe «den internationalen Verhaltenskodex für Sicherheitsfirmen unterzeichnet» und sich zudem vertraglich zur Einhaltung dieser Normen verpflichtet. «Dieser Kodex gründet auf einer Initiative der Schweiz und verpflichtet die Firmen zur Achtung und Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts.»

Bundesrat gegen Uno-Antisöldnerkonvention

Die offizielle Schweiz ist sich also einerseits der Problematik bewusst und versucht Gegensteuer zu geben. Sie hat zwischen 2006 und 2008 auch das so genannte «Montreux-Dokument» ausgearbeitet, das von verschiedenen Staaten unterstützt wird. Dort wird unter anderem festgehalten, dass das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte auch für Sicherheits- und Militärfirmen gelten. Doch anderseits bremst der Bundesrat: Dem Uno-Übereinkommen gegen die Anwerbung, den Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern will er nicht beitreten. Die Regierung beantragte im Mai 2011 eine entsprechende Motion der St. Galler SP-Nationalrätin Hildegard Fässler abzulehnen.

Auslöser von Fässlers Motion war das brutale Vorgehen Ghadhafis gegen seine Gegner. Dies zeige einmal mehr, «welch verheerende Folgen von Söldnertruppen ausgehen.» Der Bundesrat dagegen argumentierte, die Antisöldnerkonvention fasse den Söldnerbegriff sehr eng, weshalb das Regelwerk «in der Praxis keine Anwendung findet». Da es erst von 32 Staaten ratifiziert worden sei, gelte es in der Staatengemeinschaft auch nicht als universell anerkannt. Aus diesem Grund ist der Bundesrat der Ansicht, dass ein Engagement zugunsten der erwähnten «pragmatischen Lösungen sinnvoller ist.»

Einst gefragter Kriegsdienstleister

Vor dem Hintergrund verstärkter Aktivitäten von Söldnertruppen in der Gegenwart ist ein Blick in die Schweizer Geschichte besonders aufschlussreich. Gelegenheit dazu bietet ein kürzlich erschienenes Buch des Journalisten Jost Auf der Maur mit dem Titel «Söldner für Europa». Während eines halben Jahrtausends gehörte die Eidgenossenschaft nämlich zu den gefragtesten Kriegsdienstleistern Europas. Auf den Schlachtfeldern des Kontinents kämpften weit über eine Million Schweizer Söldner. Sie waren bekannt für ihre Brutalität und ihr Draufgängertum – und deshalb heiss begehrt und stark gefürchtet zugleich. Für fast alle europäischen Mächte standen sie im Einsatz. Zeitweise stammte jeder dritte Infanterist der französischen Armee aus der Schweiz. Und im 19. Jahrhundert mussten Befreiungsbewegungen nur zu oft gegen Schweizer Söldnertruppen im Dienste untergehender Fürstenhäuser kämpfen.

Auf der Maur wundert sich, wie wenig diese «Scheusslichkeiten unserer Söldner» im allgemeinen Bewusstsein der Schweiz verankert sind. Die offizielle Schweiz berufe sich heute «sehr gern und beinahe rituell auf ihre humanitäre Tradition. Diese gründet auf der Schlacht von Solferino von 1859 und dem Wirken von Henry Dunant. Wie kurz diese Tradition aber auch ist verglichen mit der langen Zeit der fremden Dienste: Es gelingt, damit den düsteren Charakter eines im Grunde kriegerischen Volkes zu verdecken.»

Nun reisst Auf der Maur die Decke über diesem irritierenden, turbulenten und weit unterschätzten Kapitel helvetischer Geschichte weg. In seinem Buch bietet er, ausgehend von seiner eigenen Familiengeschichte, neue Einblicke und verweist auf die aktuelle Forschung, die zu neuen historischen Erkenntnissen führen werde, «die zeigen, wie sehr das Schicksal der Schweiz, ihre Kultur und das Selbstverständnis – fernab militärhistorischer Aspekte – verflochten ist mit dem Dienst im Sold fremder Mächte.»

Eine verschwiegene Geschichte

Zwar seien die rein militärische Aspekte der fremden Dienste gut erforscht, nicht jedoch die politischen, kulturellen und zivilisatorischen Aspekte. Es sei eine Geschichte, die in ihrer wahren Bedeutung bis heute nicht erzählt wird «eine grandiose Geschichte über den Zufluss von Wissen und Können in die Schweiz. Eine Geschichte aber auch über die Ausbeutung und die ungeheure Kultur der Gewalt. Eine Geschichte der Mächtigen, die in diesem Land als Militärunternehmer zu Reichtum und politischer Dominanz gekommen sind.»

Ein «Drecksgeschäft» sei es einerseits gewesen, das eine Solddienst-Aristokratie hervorgebracht habe, die auch politisch das Sagen hatte. Im illustrierten Anhang des Buches kann der zu Architektur gewordene finanzielle Erfolg helvetischer Kriegsunternehmer bestaunt werden – im wahrsten Sinne des Wortes auf Blut gebaute Herrschaftshäuser in vielen Teilen der Schweiz. Denn wer als einfacher Söldner nicht auf dem Schlachtfeld starb, kehrte häufig verwahrlost, verstümmelt und alkoholkrank nach Hause. Der Bevölkerungsverlust für die Eidgenossenschaft war massiv.

Beisshemmung gegenüber Söldner-Reservoir

Anderseits führten die langen Auslandaufenthalte auch zu einem Wissenstransfer: Wer es zu etwas brachte und gesund und möglicherweise gar wohlhabend zurückkehrte, importierte auch Kultur und Kenntnisse auf verschiedensten Gebieten in die Heimat. Auf der Maur wagt gar die Behauptung, dass die Schweiz ohne fremde Kriegsdienste gar nicht überlebt hätte: Die europäischen Höfe seien derart stark auf Schweizer Truppen angewiesen gewesen, dass sie eine «Beisshemmung» gegenüber ihrem Söldner-Reservoir entwickelt haben. Bei Eigenbedarf hätten die Eidgenossen ihre Truppen nämlich heimgeholt. Da wurde ein Mechanismus eingeübt, der allmählich ins immer stärkere Bekenntnis zur Neutralität mündete.

Und das ist nicht alles. Eine weitere Schweizer Spezialität entwickelte sich rund um das lukrative Söldnerwesen: Bankhäuser begannen Gelder zur Verfügung zu stellen, damit die fremden Machthaber ihre Kriege führen – und die Schweizer Söldner entlöhnen und die eidgenössischen Militärunternehmer ihre Gewinne einstreichen konnten.

Eine aufschlussreiche Lektüre, dieses Buch von Jost auf der Maur, gerade mit Blick auf die weltweite Renaissance des Söldnerwesens und die beunruhigende Privatisierung des Sicherheits- und Militärwesens.

Das Buch: Jost Auf der Maur, «Söldner für Europa: Mehr als eine Schwyzer Familiengeschichte.» Echtzeit Verlag, Basel 2011, 106 Seiten, CHF 29.- (siehe Link unten)

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