Kommentar

Lega dei ticinesi: Ein Toter als Stimmenfänger

Beat Allenbach © zvg

Beat Allenbach /  Giuliano Bignasca hat das politische Tessin verändert: Der Ton wurde rüder und die Vorurteile gegen alles Fremde sind gewachsen.

Auch nach seinem Tod am 7. März macht der Präsident der Lega dei ticinesi Schlagzeilen. Gut fünf Wochen nachdem der 67jährige Präsident auf Lebenszeit der Lega dei ticinesi, Giuliano Bignasca, gestorben ist, finden am 14. April in Lugano die mit Spannung erwarteten Gemeindewahlen statt. Bignasca, seit 2000 in der Exekutive, wollte mit dem gegenwärtigen Tessiner Regierungspräsidenten, Marco Borradori, dem langjährigen freisinnigen Stadtpräsidenten Giorgio Giudici das Präsidium entreissen.

Viele Tessiner finden es fragwürdig

Die Lega versucht, in Lugano die Jahrzehnte dauernde Vorherrschaft der Freisinnigen zu brechen und zur stärksten Partei aufzurücken. Bereits vor einem Jahr entthronte sie in den kantonalen Wahlen die FDP, als die Lega als einzige Partei zwei Sitze in der fünfköpfigen Regierung eroberte. Die Lega hat offiziell mitgeteilt, dass der Verstorbene weiterhin Nummer eins ihrer Wahlliste bleibe. Das Tessiner Wahlgesetz verhindert das nicht, sofern erst nach dem offiziellen Einreichen der Wahllisten der Tod eines Kandidaten eintritt wie im Falle von Bignasca. Viele Tessiner finden es fragwürdig, ja unhaltbar, dass die Stimmen für einen Toten gültig sind und im Fall einer Wahl dessen Ersatzmann in die Exekutive befördern.

Ein Rekurs gegen das Verbleiben Bignascas auf der Wahlliste wurde vom Tessiner Verwaltungsgericht als nichtig erklärt, weil er lediglich als Fax und nicht ordnungsgemäss als eingeschriebener Brief eingereicht worden war. Die Lega kann also mit einem Toten auf Stimmenfang gehen. Das scheint mir pietätlos und zeugt überdies von wenig Respekt gegenüber dem Verstorbenen.

Erstaunlich ist ebenfalls, dass in den zwei vorletzten Nummern der Lega-Wochenzeitung «Mattino della domenica» der verstorbene Giuliano Bignasca im Impressum weiterhin als verantwortlicher Redaktor aufgeführt wurde, was zu einer Beanstandung führte, worauf die Redaktion in der Osterausgabe das Impressum einfach unterschlug. Inzwischen wurde die Staatsanwaltschaft Lugano auf die Unregelmässigkeit hingewiesen, die gemäss Strafgesetzbuch mit einer Busse sanktioniert wird.

Nicht der Lega-Präsident allein war masslos

Giuliano Bignasca gibt also auch nach seinem Tod Anlass zu Auseinandersetzungen. Der Gründer und Präsident auf Lebenszeit der Lega wird seit 20 Jahren von den Einen verehrt, von den Andern heftig kritisiert. Über eine Eigenschaft dürften sich praktisch alle einig sein: er war masslos. Und masslos waren auch die Zeitungen, die über seinen Tod berichteten. Der «Corriere del Ticino» und «LaRegione», die zwei grössten Tageszeitungen, widmeten dem verstorbenen die sieben ersten Seiten; mehr noch als im Jahr 2000 beim plötzlichen Tod des damaligen populären Regierungspräsidenten Giuseppe Buffi.

Es ist verständlich, dass nach dem Tod eines Menschen vor allem die guten Eigenschaften hervorgehoben werden. Doch einen Politiker, der so viele Menschen beschimpft und verleumdet hat, sollte man nicht in einen liebenswürdigen Menschen verwandeln, der nach Beleidigungen jeweils eine Entschuldigung auf der Zunge gehabt habe, wie das die Tessiner Presse getan hat. Nüchterne Würdigungen fanden sich vor allem in ausserkantonalen Medien.

Er hat den Kanton verändert

Kein Politiker hat in den letzten 60 Jahres das politische Tessin verändert wie Giuliano Bignasca. Er ist in jenem Zeitpunkt auf die Bühne getreten, als der vormals revolutionäre Partito Socialista Autonomo in die Regierungsverantwortung eingebunden war und die zuvor kämpferischen Auseinandersetzungen abgeklungen und kaum noch kritische Stimmen zu hören waren. Trotz der grossen Anfangserfolge der Lega dei ticinesi kümmerten sich FDP, CVP und SP, die sich seit Jahrzehnten in die Regierungsverantwortung teilten, kaum darum, wo den Tessinerinnen und den Tessinern der Schuh drückte; sie verschwendeten weiterhin viel Energie für interne Machtkämpfe.

Überrissene Kritik verunmöglichte Diskussion

Die Ziele von Bignascas Angriffen waren manchmal gut gewählt, doch seine Kritik war meistens so pauschal und verletzend, dass sie eine sachliche Diskussion verunmöglichte. Er verstand es, die Interessen des Volkes in den Vordergrund zu rücken, doch er war sehr geschickt in der Pflege seiner Interessen. Er hatte den tonangebenden Familien und der Klüngelwirtschaft den Kampf angesagt, doch längst sind die Bignascas eine mächtige Familie geworden und er und seine Leute sitzen an vielen Schalthebeln. Nur wenige wagten es, ihn öffentlich zu kritisieren, da sie fürchteten im «Mattino» gemassregelt zu werden. Bignasca setzte Verleumdungen als politisches Instrument ein, und er wetterte während 20 Jahren gegen Ausländer, Asylsuchende, Italien, die Europäische Union, den Bundesrat, aber auch gegen die Tessiner Regierung, Beamte und die Justiz. Das hat die Vorurteile gegen alles Fremde und gegen «Bern» im Tessin gestärkt.

Seine Gratiszeitung, «Mattino della Domenica», hat Bignasca weit über 200 Klagen wegen übler Nachrede, Beschimpfungen und anderer Vergehen beschert. Der Lega-Präsident wurde mehrfach von Gerichten als schuldig befunden, doch er stellte sich über die Justiz und klagte über «politische Urteile». Die rohe Stammtischsprache, gespickt mit Schimpfworten, bestimmt heute die Tessiner Politik weit über die Lega hinaus und ein rüder Ton hat sich auch in zahlreiche Gemeinden ausgebreitet. Gleichwohl sind viele überzeugt, Bignasca habe das Tessin in positiver Weise verändert. Man kann ihm zum Beispiel zugute halten, dass er die Gründung der Hochschulfakultäten in Lugano mitgetragen hat.

Gespannt schauen die Tessiner jetzt nach Lugano und fragen sich: Wird die Lega im Tessiner Wirtschaftszentrum die machtgewohnten Freisinnigen überflügeln oder wird ihre Macht allmählich zerbröckeln?


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Keine

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