Sperberauge

«Landesverrat? So nicht!»

Sperber Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine © Bénédicte Sambo

Red. /  SVP-Präsident Toni Brunner bezichtigte den Bundesrat zweimal des «Landesverrats». Politikerinnen protestieren.

Am letzten Samstagabend hatte die «Tagesschau SRF» einen Ausschnitt aus einer Rede des Parteipräsidenten der SVP weiter verbreitet. Toni Brunner bezichtigte den Bundesrat des «Landesverrats» und bezeichnete seine Mitglieder als «Landesverräter». Diese «Landesverräter» würden gegen die Interessen der Schweiz handeln und man dürfe sie nicht machen lassen.
In einem offenen Leserbrief an die Medien protestieren die ehemaligen politischen Exponentinnen Cecile Bühlmann, Ursula Haller, Joy Matter, Judith Stamm, Monika Weber und Rosmarie Zapfl wie folgt:
ÖFFENTLICHER APPELL
«Mit der Sprache drücken wir unsere Überlegungen, unsere Gefühle, unsern Respekt oder unsere Verachtung aus. Wir lehren unsere Kinder, dass es verschiedene sprachliche Ebenen gibt: eine im Umgang mit Gleichaltrigen und eine etwas Bereinigte für den Umgang mit Erwachsenen. Auch in der politischen Diskussion gibt es einen Sprachcode und Ausdrücke, die man unter keinen Umständen Andersdenkenden an den Kopf wirft. Dazu gehört die Anschuldigung ‹Landesverräter›.

Auf Landesverrat stand bis 1992 unter dem Militärstrafgesetz die Todesstrafe, die letzte Hinrichtung unter Militärrecht fand in der Schweiz 1944 statt. Landesverrat ist das schändlichste Vergehen, das gegen das eigene Land gerichtet werden kann. Und nun wird ungestraft und unwidersprochen, ohne Krieg und ohne Not, mit Absicht und Kenntnis der Wirkung in ein und derselben Rede und quasi im selben Atemzug dieser Ausdruck für unsere Landesregierung gleich zweimal gebraucht.

Es ist dies eine Grenzüberschreitung, die wir nicht schweigend hinnehmen. ‹Indignez-vous, empört Euch›, riet uns der greise Widerstandskämpfer Stéphane Hessel. Das tun wir. Wir wehren uns gegen diese sprachliche Verrohung und wir rufen alle diejenigen, denen es auch wichtig ist, dass wir auf der politischen Bühne unseren demokratischen Institutionen gegenüber Anstand und Respekt wahren und mit der Sprache sorgfältig umgehen, auf, sich auch zu wehren.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

9 Meinungen

  • PortraitM_Bertchinger
    am 31.08.2013 um 00:35 Uhr
    Permalink

    SVP-Parteipräsident Toni Brunner hat am Samstag an der Delegiertenversammlung zum Rundumschlag ausgeholt. Mit Blick auf die Europapolitik des Bundesrates drohte Brunner, die SVP werde die «Landesverräter beim Namen nennen». Der Bundespräsident war bei dieser Versammlung anwesend und schwieg.

    Szenenwechsel. Am selben Samstag erzählte der ägyptische Unternehmer Samih Sawiris in einem Interview (erschienen im Tagesanzeiger) von einer Begebenheit, die sich in Ägypten zugetragen hatte: «Bei einem Anlass im Beisein Präsident Mursis hielt ein Gleichgesinnter eine Rede. Er sagte, die Schiiten seien Hunde, die man umbringen sollte. Mursi hörte zu und widersprach nicht. Vier Tage später wurden einige Schiiten in Ägypten gelyncht."

    Der Präsident der armeefreundlichen Gruppe Giardino verstieg sich kürzlich zur Aussage, man sollte alle Bundesräte erschiessen (mit Ausnahme von Ueli Maurer). So starkes Geschütz fuhr die SVP an ihrer Delegiertenversammlung zwar nicht auf. Doch der Gedanke, mit angeblichen Landesverrätern sei nicht zimperlich zu verfahren, liegt für den ressentimentgeladenen Wutbürger auf der Hand.

    Auch sind wir in der Schweiz noch nicht so weit, dass Stimmungsmache gegen Andersdenkende und alles Fremde und Fremdgesetzte Tote oder Verletzte fordert. Doch dieser Umstand macht Hassreden nicht besser. Die populistische Bewirtschaftung und Instrumentalisierung von Verbitterung und zurückgedrängten Racheimpulsen gehört nicht zum Meinungsbildungsprozess, der das Prädikat «demokratisch» verdient. Nicht jede Äusserung ist eine Meinung, die es zu respektieren gilt. Gegen Aufhetzung ist Einspruch gefordert – insbesondere und einmal mehr seitens des Bundespräsidenten.

  • am 31.08.2013 um 11:55 Uhr
    Permalink

    Danke für diesen notwendigen offenen Brief. Wir dürfen uns nie an diese sowohl auf Personen wie auch unsere demokratischen Institutionen zielenden Hetztiraden gewöhnen.

  • am 9.09.2013 um 16:07 Uhr
    Permalink

    Ich bin nicht Mitglied der SVP sondern war bis 1995 fast 50 Jahre Mitglied der FdP.
    Den Vorwurf des Landesverrates von NR Brunner versuche ich in einem grösseren Zusammenhang zu verstehen. Der frühere SR Dr. Letsch hat in seinem Buch „soziale Marktwirtschaft als Chance“ geschrieben, dass die bürgerlichen Politiker meist mit einem Kompromiss in die Verhandlungen über Forderungen der politischen Linken einsteigen. Es kommt dann zum Kompromiss mit dem Kompromiss. Damit kommen die eigentlichen Positionen nicht mehr klar auf den Verhandlungstisch. Gegen diese sanfte Wohlfühl-Politik wehrte sich NR Blocher auch als Bundesrat. Im Interesse der Sache sind klare Ausgangs-Ansichten nötig. Damit meine ich nicht die ruppige Art des Politisierens im Deutschen Bundestag welche uns hierzulande nicht gefällt.
    In den letzten Jahren sind eine ganze Reihe von Initiativen von der Regierung, dem Parlament und der Verwaltung zuerst belächelt und nicht ernst genommen worden. Dann sind sie vom Volk angenommen worden. Und jetzt beginnt das Drehen und Wenden um die ursprünglichen Absichten zu verwässern und in eine politisch korrekte Form umzugiessen. Folge davon ist der Vertrauensverlust der grösser ist als die veröffentlichte Meinung es aufzeigt. Für mich als Bürger scheint es immer offensichtlicher, dass zwar verdeckt und verklausuliert durch eine Mehrheit im Bundesrat und in der Bundesverwaltung einen Beitritt zur EU angestrebt wird. Aber für mich ist es ein Vorgehen mit verdeckten Karten, der Vertrauensverlust wird noch grösser.
    Ich habe vor vielen Jahren einen Vortrag von Prof. Grosjean im Grauholz gehört. Die Niederlage des mächtigen Bern wurde u.a. durch eine falsche Militärdoktrin verursacht. Das Gelände bis zur Grenze war gut befestigt für Widerstand. Aber die Truppen wurden jahrelang auf den geordneten Rückzug trainiert. Es erfolgte nie ein durchaus möglicher Gegenangriff. Und genau so kommt mir die Politik des Bundesrates gegenüber den Erpressungen der USA seit 1995 und der EU vor. Es wird nicht mit unseren Trümpfen in der Hand verhandelt sondern es werden laufend Positionen preisgegeben, alle Aktionen sind nur noch Rückzugsgefechte.
    Es ist uns über Jahrzehnte sehr gut gegangen, wir haben das Kämpfen verlernt und begreifen nicht, dass andere Länder andere politische Kulturen und einen viel härteren Umgang für ihre eigenen Interessen pflegen.
    NR Blocher wollte wachrütteln und NR Brunner auch, und das wurde in unserem Land bis heute noch nicht begriffen. Abgesehen davon argumentiert die politische Linke auch nicht besonders sanft wenn es um ihre Ziele geht.

  • PortraitM_Bertchinger
    am 11.09.2013 um 20:29 Uhr
    Permalink

    Es ist ein altes Rezept der Demagogen, dem Gegner vorzuwerfen, was man selbst betreibt.

  • am 12.09.2013 um 11:14 Uhr
    Permalink

    Herr Bertschinger wollen Sie mit diesem Satz mir etwas sagen, wenn ja, was?

  • PortraitM_Bertchinger
    am 12.09.2013 um 19:40 Uhr
    Permalink

    Nein, ich spreche immer noch von jenen, die politische Gegner eines Verbrechens bezichtigen, weil sie sich von der Stimmungslage, die sie dadurch erzeugen, einen Vorteil versprechen. Mit Demokratie, die vom Streit mit Argumenten lebt (und von keinem anderen Kampf!), hat das m.E. nichts mehr zu tun.

  • am 12.09.2013 um 21:16 Uhr
    Permalink

    ich war natürlich nicht an der Delegiertenversammlung in Genf, habe also das gesprochene Wort nicht gehört. Aber wenn ich die schriftliche Version in der NZZ vom 06.09.2013 lese muss ich gestehen, dass meine Einschätzung mit der von NR Brunner übereinstimmt.

  • PortraitM_Bertchinger
    am 12.09.2013 um 23:33 Uhr
    Permalink

    Nach Brunners «Logik» erfüllen alle Unterhändler der Schweiz den Straftatbestand des Landesverrats. Denn sie trachten in ihrem unrühmlichen Tun danach, die Schweiz vermittels verbindlicher Verträge mit dem schändlichen Ausland zu binden, insofern also die zukünftige Handlungsfreiheit des Landes zu schmälern und damit Unabhängigkeit preiszugeben…

  • am 13.09.2013 um 16:47 Uhr
    Permalink

    Ich war Delegationsleiter für die Verhandlungen um einen neuen Gesamtarbeitsvertrag. Vom Zentralvorstand erhielt ich einen Verhandlungsrahmen. Die Unterhändler erhalten vom Bundesrat die Eckdaten, und dafür sind die Departemente oder der Gesamtbundesrat zuständig. Ich glaube Brunner hat auf die richtigen Leute gezielt.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...