Kommentar

Höchste Zeit für einen Tessiner Bundesrat, aber …

Beat Allenbach © zvg

Beat Allenbach /  Seit 16 Jahren ist die italienische Schweiz nicht mehr im Bundesrat vertreten, doch Norman Gobbi ist nicht der Richtige.

Regierungspräsident Norman Gobbi, der seit seinen Jugendjahren der Lega dei ticinesi angehört, beruft sich gerne auf jenen Satz in der Bundesverfassung, wonach die Landesteile und die Sprachregionen in der Regierung angemessen vertreten sein sollen. Da seit Flavio Cottis Rücktritt Ende April 1999 niemand mehr aus der italienischen Schweiz im Bundesrat sitzt, hat Gobbis Argument grosses Gewicht. Als einer der drei von der SVP-Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten – Gobbi ist vor Kurzem der SVP beigetreten – könnte der 38-Jährige Bundesrat werden.

Bundesverfassung für und gegen Gobbi

Es ist meiner Meinung nach unbestritten, dass wieder ein Tessiner in den Bundesrat gehört, doch ist Gobbi der Richtige? Ich glaube nicht. Zwar wird seine Kandidatur durch die Bundesverfassung gestärkt, aber gleichzeitig auch gebremst. Der Tessiner sagt, er stehe voll und ganz auf der SVP-Linie. Das bedeutet, dass er die Durchsetzungsinitiative für die Ausschaffung straffälliger Ausländer unterstützt, d.h. dass Ausländer auch für kleinere Vergehen ohne Wenn und Aber ausgeschafft werden müssten. Diese Bestimmung steht jedoch in Widerspruch zum Prinzip der Verhältnismässigkeit, das in der Verfassung verankert ist. Noch weiterreichende Folgen hätte die SVP-Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», welche die Schweiz zwingen könnte, die Europäische Menschenrechtskonvention zu künden, was ein verheerendes Signal an Europa wäre. Die zwei anderen SVP-Kandidaten unterscheiden sich in diesem Zusammenhang nicht von Gobbi. Sie sind deshalb im Prinzip ebenfalls nicht wählbar, solange die Bundesverfassung vorbehaltlos respektiert wird und Konkordanz kein leerer Begriff ist.

Wegen Gobbis «Jugendsünden» sollte man dem Tessiner Kandidaten wohl keinen Strick drehen, obschon er damals bereits Grossrat war. Er hatte z.B. in Ambrì einen schwarzen Spieler mit rassistischen Ausdrücken bedacht – er wurde vom Eishockeyverband dafür gebüsst. Jetzt hört man solche Töne nicht mehr, denn der für Polizei, Justiz und Inneres zuständige Regierungsrat, muss sich auch mit der Integration der ausländischen Bevölkerung befassen.

Worte an die Öffentlichkeit, nicht an die Lega

An den jährlichen Informationstagen des kantonalen Integrationsdelegierten spricht jeweils Regierungsrat Gobbi einige schöne Worte, empfiehlt Respekt für andere Kulturen und die ausländische Bevölkerung. Das steht in krassem Widerspruch zu den Äusserungen von Parteikollege Lorenzo Quadri und der Tonlage der von ihm geleiteten Lega-Sonntagszeitung «il Mattino della domenica». In diesem Blatt werden Asylbewerber sowie Ausländer beschimpft, Italien verächtlich gemacht und der Bundesrat dumm hingestellt beziehungsweise verspottet. Die vulgäre Sprache sowie die dauernden Verleumdungen und Beschimpfungen von Personen, die mit der Lega nicht einverstanden sind, pflegt der Lega-Regierungsrat nicht mehr, doch die schönen Worte an die Ausländer wiederholt er vor seinen Freunden an Parteiversammlungen nicht. Denn gewählt wurde der vom verstorbenen Lega-Gründer Giuliano Bignasca geförderte Gobbi nicht dank seinem als Regierungspräsident staatsmännischem Gehabe, sondern weil «Super-Norman» bei seinen Leuten ein markiger Vollblut-Lega-Mann ist und im «Mattino» entsprechend dargestellt wird. Dieser Widerspruch zwischen menschenverachtenden sowie absurden Lega-Forderungen und verantwortungsvoller Regierungstätigkeit ist typisch für alle in Exekutiven gewählten Lega-Politiker. Derart widersprüchliche Politiker gehören meiner Meinung nach nicht in den Bundesrat; auch nicht, obschon eigentlich wieder ein Tessiner in der Regierung Einsitz nehmen sollte.

Fragwürdiger Eintrag auf Facebook

Der Tessiner Regierungspräsident verlangte im Frühling zur Bekämpfung der Kriminalität für Grenzgänger und Jahresaufenthalter, die im Tessin um eine Arbeitsbewilligung nachsuchen, einen Strafregisterauszug. Die Bundesbehörden versuchten, ihn zu überzeugen, davon abzusehen, auch weil es zusätzlich die Beziehungen zu Italien belasten würde. Einige Professoren erklärten auf Anfrage von Tessiner Medien, ein Strafregisterauszug bringe nichts. Darauf versuchte Gobbi, die Kritik auf seiner Facebook-Seite mit dem Hinweis zu entkräften, die drei Professoren seien alle Sozialdemokraten und hätten überdies ihre Parteibindung verschwiegen, wie die Internetplattform «ticinonews» meldete. Gobbi schrieb u.a. Professor D’Amato habe eine aktive Rolle in der Berner SP. Auf unsere Anfrage entgegnete Professor Gianni D’Amato (Universität Neuenburg), er sei nie in der SP aktiv gewesen. Offenbar nimmt es der Lega-Politiker, jedenfalls auf Facebook, nicht so genau mit dem Überprüfen seiner Aussagen.

Schroff gegen den Bundesrat

Starke Vorwürfe an die Adresse des Bundesrats richtete Gobbi auch als Tessiner Regierungspräsident im August in Locarno vor versammelten schweizerischen und ausländischen Diplomaten. Angesichts der schweren Probleme auf dem Arbeitsmarkt grollte Gobbi, der Bundesrat habe das Tessin bewusst aufgegeben und dem eigenen Schicksal überlassen. Als Tessiner Regierungsmitglied hat Gobbi Verachtung und Antipathie gegenüber Italien nur etwas gemildert. Während der schweizerisch-italienischen Verhandlungen über Steuerfragen, sagte er nämlich, es sei sinnlos, weiter mit Italien zu verhandeln – ein Rückenschuss gegen Finanzministerin Eveline Widmer Schlumpf. Wie kann eine Person, die dem Nachbarland derart negativ gegenübersteht, im Bundesrat zu entkrampften, besseren Beziehungen beitragen? Da der Bundesrat seit Jahren von Lega-Politikern sowie der Zeitung «il Mattino» ständig beleidigt und lächerlich gemacht wird, darf man fragen, weshalb Lega-Mann Gobbi plötzlich unbedingt der viel geschmähten Landesregierung angehören will?


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2 Meinungen

  • am 25.11.2015 um 12:40 Uhr
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    Ich habe mir das politische Profil Gobbis angesehen. Richtig, er ist ein Hardliner und passt eigentlich nicht in unsere Landesregierung. Aber: Es gibt derzeit drei offizielle SVP-Kandidaten.Neben Gobbi der Waadtländer Parmelin und der Zuger Äschi. Der letztere ist der rechteste, er lehnt z.B. den Sozialstaat zu 100% ab, ist zu 100% ein Law und Order-Typ. Bei Äschi ist es übrigens nicht bei Jugendsünden geblieben, sondern er machte auch in den letzten Tagen Schlagzeilen wegen eines (indiskreten) Leserbriefs in Sachen Asylzentrum Baar, womit er sich sogar eine Strafanzeige einhandelte. Auch Parmelin ist weniger sozial und ein noch stärkerer Hardliner als Gobbi. Ganz klar: Die SVP rechnet mit Äschi. Sollte die Bundesversammlung wirklich einer der offiziellen SVP-Männern akzeptieren, dann könnte die Linke und die Mitte durchaus das kleinere Übel aufgleisen. Geschlossen den Tessiner wählen. Und die SVP würde in die eigene Grube fallen.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 27.11.2015 um 02:39 Uhr
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    Gobbi ist tatsächlich am wenigsten von der Partei beeinflusst, sowohl institutionell als auch geographisch. Er ist im Stil nicht «schlimmer» als der FDP-Präsident, der vor 2 Jahren von «Vernegerung» sprach, und zwar nicht auf einem Hockeyplatz. Das nur als Feststellung gesagt, weil die Wortwahl heute eine Frage der Dressur ist. An der Polizeischule haben wir es den Leuten systematisch abdressiert, was immer das bedeuten mag. Es war sicher korrekt so, beweist aber nichts gegen Leute mit der Wortwahl, wie sie Hermann Hesse und Max Frisch noch verwendeten. In die «eigene Grube fallen» ist wohl zu viel gesagt. Das wäre, wenn schon, mit Ueli Maurer passiert. Ich kenne Leute aus der Partei, die, wenn es nicht eine dumme Gattung machen würde, ihn reif zur Abwahl sehen. Bei einem Tessiner weiss man nie. Flavio Cotti kannte ich persönlich. Er war ehemals Internatsschüler im Kollegium Sarnen, Vorgänger meines Bruders als Senior der dortigen Verbindung. Er wurde aber dann leider ein Ankündigungsminister. Mit dem EU-Beitrittsgesuch 1992 hat er der Schweiz ein politisch dummes Ei gelegt. Alle Bundesräte, die damals mitmachten, waren Versager. Otti Stich machte nicht mit. Dies u. weil er etwas für Arbeiterliteratur übrig hatte, als Bundespräsident mal ein Buch von mir rezensierte, bewirkte, dass ich seinem Andenken die 6.Auflage meines Paracelsus widmete. Ein Bundesrat von dieser Glaubwürdigkeit wäre vielleicht bei der SVP als Ausnahme denkbar, ist aber derzeit als Kandidat nicht in Sicht.

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