Philipp_Mller

Philipp Müller in einem Interview mit der Tagesschau © srf

«Heisses Eisen»: Freie Immigration aus Kroatien

Urs Zurlinden /  FDP-Präsident Philipp Müller sieht Abstimmungen über Einwanderungspolitik und Wachstumsbegrenzung mit Sorge entgegen.

Red. Der Schweizer Souverän ist kritischer geworden und entscheidet häufiger gegen Bundesrat und Parlamentsmehrheit. Beispiele sind die Verwahrungsinitiative, die Minarett-, Ausschaffungs-, Zweitwohnungs- und jetzt auch die Minder-Initiative.

INTERVIEW MIT FDP-PRÄSIDENT PHILIPP MÜLLER
Was folgern Sie aus diesen Abstimmungen?
Philipp Müller: Die Schweizer Bevölkerung misstraut immer mehr der Politik. Es geht also immer weniger darum, welche Argumente überzeugen, sondern um die Botschaft: Es bestehen Missstände im Land – bitte regelt das endlich! Diesen neuen Trend betreffen insbesondere Abstimmungen zur Migration und zu Fragen des Wachstums und des Landverlustes. Das sind Entwicklungen, die in Zukunft noch ausgeprägter kommen werden. Wenn das Volk der Politik auf die Finger schaut, ist das gut.

Die Abstimmung zum Raumplanungsgesetz hatte der Gewerbeverband lanciert – und verloren. Die Wirtschaftsverbände verlieren die Bodenhaftung?

Ich kann nicht für die Wirtschaftsverbände sprechen. Aber es ist offensichtlich auch beim Raumplanungsgesetz zum Ausdruck gekommen: Die Leute hinterfragen zunehmend das Wachstum. Man nimmt zwar zur Kenntnis, dass die Schweizer Wirtschaft wächst, fragt sich aber zu welchem Preis. Wir müssen also einsehen: Es kann auf Dauer nicht mehr so weiter gehen, dass wir unsere Ressourcen verschleudern. Diese Sensibilitäten des Schweizer Volkes sind zum Ausdruck gekommen.

Eine weitere Grossbaustelle bleibt die Einwanderung. Das haben Sie mit Ihrer 18-Prozent-Initiative voraus gesehen?

Ja, im August 1995 haben wir die Unterschriften eingereicht und am 24. September 2000 darüber abgestimmt. Immerhin hatten damals 750’000 Schweizerinnen und Schweiz zugestimmt. Sie wurde dann deutlich abgelehnt, aber man hat schon damals gesehen: Die Einwanderung ist ein hoch emotionelle Frage, welche die Schweiz noch lange beschäftigen wird.

War Ihre Forderung damals allzu radikal?

Wir hatten damals ein Ausländergesetz aus dem Jahre 1931! Meine Volksinitiative sollte aufrütteln und dem Parlament zeigen, dass Handlungsbedarf bestand. Tatsächlich ist dann etwas geschehen: Es gab einen indirekten Gegenvorschlag, nämlich das heutige Ausländergesetz, das seit 2008 in Kraft ist. Letztlich hat die 18-Prozent-Initiative ihr Ziel erreicht und wir haben ein gutes, modernes Ausländergesetz. Dass es nicht konsequent angewendet wird, ist heute das eigentliche Problem.

Bundesbern setzte in der Folge auf die Personenfreizügigkeit mit der EU. War das ein Fehler?

Nein, das war kein Fehler. Die Personenfreizügigkeit ist der Schlüssel zum ersten Paket der Bilateralen. Dabei geht es um den Marktzugang zum europäischen Wirtschaftsraum. Und wir haben pro Arbeitstag ein Handelsvolumen von einer Milliarde Franken mit der Europäischen Union. Das zu riskieren, ist grobfahrlässig. Allerdings: Wir müssen uns Gedanken machen über die Einwanderung. Sie ist zu gross, und es kann nicht sein, dass wir jedes Jahr ein Wachstum der Gesamtbevölkerung von 80’000 bis 90’000 Menschen haben. Aber der Schlüssel liegt nicht darin, die Personenfreizügigkeit zu kündigen. Sondern es geht um die 40’000 bis 45’000 Einwanderungen aus Drittstaaten, die eigentlich über das Ausländergesetz geregelt werden müssten. Da kommen ganz klar zu viele Leute.

Demnächst soll die Personenfreizügigkeit auf Kroation ausgedehnt werden – ein heisses Eisen?

Das wird ein sehr heisses Eisen werden. Es wird uns ein eisiger Wind entgegen wehen.

Gegen die Freizügigkeitsabkommen mit der EU sind die Initiative der SVP gegen Masseneinwanderung und die Ecopop-Initiative. Was halten Sie davon?

Beide Initiativen sind nicht kompatibel mit der Personenfreizügigkeit. Und wenn wir die Personenfreizügigkeit verlieren, verlieren wir auch die Bilateralen Verträge des ersten Paketes. Die FDP hat schon 2009 aufgezeigt, dass man im Rahmen der Personenfreizügigkeit Massnahmen ergreifen kann, die in der Umsetzung konsequenter sind als die heute ergriffenen, ohne das Vertragswerk zu verletzen. Diese Massnahmen wurden bis heute nicht umgesetzt. Das ist verheerend, weil so das Terrain vorbereitet wird für die Annahme dieser beiden Initiativen, welche die Personenfreizügigkeit und damit auch die Bilateralen Verträge eliminieren würden.

Die Wirtschaft hält dezidiert fest, die Schweiz brauche die Zuwanderung. Sie auch?

Ich habe Mühe mit gewissen Wirtschaftsvertretern, die wie ein Mantra herunterbeten: Wir brauchen die Zuwanderung, nur das sichert uns den Wohlstand. Mit Verlaub: So einseitig darf man das nicht sehen. Zuwanderung darf man nicht einfach unter dem Aspekt der Ökonomie betrachten, sondern dabei sind auch gesellschafts- und integrationspolitische Fragen zu berücksichtigen. Mehr Zuwanderung = mehr Wachstum = mehr Wohlstand: Das ist zu banal. Es braucht qualifizierte Arbeitskräfte, aber wir müssen Mass halten. Wenn wir die deutlichen Signale von Volksabstimmungen nicht ernst nehmen, dann wird es ziemlich hart, in Zukunft noch irgendwelche Migrationsfragen vor dem Volk zu vertreten.

Eine nächste Niederlage kündigt sich bereits an: Die 1:12-Initiative der Jungsozialisten findet gemäss ersten Umfragen eine klare Zustimmung?

Die Zustimmung von rund 50 Prozent ist wohl zu niedrig, um ins Ziel gerettet zu werden. Normalerweise müssen Volksinitiativen so weit vor dem Abstimmungstermin 70, 75 Prozent Zustimmung haben, um zu gewinnen. Bei dieser Initiative hat die FDP den Lead der gegnerischen Kampagne, und diese wichtige Abstimmung müssen wir gewinnen. Einzige Sorge: Haben alle Unternehmen heute wirklich begriffen, dass Freiheit und Eigenverantwortung für die Wirtschaftselite Selbstbeschränkung verlangt? Die hohen aktuellen Entschädigungen der UBS helfen uns dabei überhaupt nicht.

Mit welchen Argumenten wollen Sie in der Gegenkampagne punkten?

Bei der 1:12-Initiative werden Bruttolöhne verglichen. Also beispielsweise: 50’000 versus 600’000 Franken in einem Betrieb. Nun wissen wir aber: Wer 600’000 Franken verdient, muss rund die Hälfte abgeben an Sozialversicherungs-Beiträgen und an Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern. Also ist das Verhältnis nicht mehr 1:12, sondern 1:6 oder 1:7.

Das ist doch reine Arithmetik?

Ein weiteres Argument ist: Würde diese Initiative angenommen, hätten wir umgehend ausländische Anbieter etwa im Bereich Reinigungen, Pflege, Catering etc., die mit ihren Dienstleistungen über die Grenze dringen. Dann wäre die 1:12-Initiative ausgehebelt – und in der Schweiz gingen niederschwellige Arbeitsplätze verloren. Das wird die Schweizer Bevölkerung nicht schlucken. Dazu kommt: Bei dieser Initiative wird es Positionsbezüge im klassischen Links-Rechts-Schema geben. Denn es geht um Umverteilung, es geht um eine Neid- und Missgunst-Abstimmung. Das werden ganz andere Voraussetzungen sein als bei der Abzocker-Initiative.


Dieses Interview ist eine etwas gekürzte Version aus der «Südostschweiz am Sonntag» vom 17.3.2013.


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