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Atomaufsicht Ensi behauptet: «Die Schweizer Atomkraftwerke sind gegen Flugzeugabstürze geschützt.» © Klaus Brüheim

Flugzeug-Risiko für AKW: Persilschein per Verordnung

Kurt Marti /  Stets behauptet die Atomaufsicht Ensi: Die AKW sind sicher gegen Flugzeugabstürze – dank einer vorpräparierten Bundes-Verordnung.

Spätestens seit den Terroranschlägen auf das «World Trade Center» am 11. September 2001 (9/11) weiss die Welt um das Risiko von vorsätzlichen Flugzeugabstürzen auf Atomkraftwerke.

Seither verbreitet das «Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat» (Ensi) und seine Vorgänger-Institution «Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen» (HSK) stets die gleiche «Sicherheits»-Behauptung: «Die Schweizer Atomkraftwerke sind gegen Flugzeugabstürze geschützt.»

Letztmals stellte das Ensi den AKW-Betreibern den obligaten Persilschein im letzten Sommer aus, nachdem die geheimen Untersuchungen der AKW-Betreiber und des Ensi sage und schreibe fünf Jahre lang gedauert hatten:

«Die Kernkraftwerke in der Schweiz verfügen über einen ausreichenden Schutzgrad gegen einen vorsätzlichen Flugzeugabsturz. Dies bestätigt eine Aktualisierung der entsprechenden Analysen, die das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi im Jahr 2013 verlangt hat. Details bleiben aus Gründen der Sicherung unter Verschluss.»

Die Schweizer Medien berichteten nur in Randnotizen und im Ensi-Ton darüber: «Schweizer AKW gegen vorsätzlichen Flugzeugabsturz gut geschützt», lauteten die Titel.

Flugzeuge aus der Zeit der ersten Mondlandung

Wer nun meint, die Atomkraftwerke seien genügend gegen den Absturz eines modernen Grossraumflugzeuges geschützt, der sollte den folgenden Satz lesen:

«Er (der AKW-Betreiber; Anm. d. Red.) hat für den Nachweis des ausreichenden Schutzes gegen Flugzeugabsturz den zum Zeitpunkt des Baubewilligungsgesuchs im Einsatz befindlichen militärischen oder zivilen Flugzeugtyp zu berücksichtigen, der unter realistischen Annahmen die grössten Stosslasten auf Gebäude ausübt.»

Dabei handelt es sich um Art. 5 Abs. 5 der «Verordnung des Uvek über die Gefährdungsannahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen» («Gefährdungs-Verordnung»). Diese Verordnung des «Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation» (Uvek) stammt nicht etwa aus den Anfangsjahren der Schweizer AKW, sondern wurde erstaunlicherweise erst im Jahr 2009 in Kraft gesetzt. Acht Jahre nach 9/11.

Unglaublich: Die AKW-Betreiber müssen laut der gültigen Verordnung nur Flugzeuge aus der Anfangszeit der Schweizer AKW berücksichtigen. Die fünf Schweizer Atomkraftwerke wurden in den Jahren 1969 (Beznau 1), 1971 (Beznau 2), 1972 (Mühleberg), 1979 (Gösgen) und 1984 (Leibstadt) in Betrieb genommen und die Baubewilligungsgesuche wurden mehrere Jahre zuvor eingereicht. Beispielsweise das Axpo-AKW Beznau 1 ging im Jahr der ersten Mondlandung in Betrieb.

Ensi bestätigt den fragwürdigen Persil-Artikel

Im Juni 2014 bestätigte das Ensi in einer Stellungnahme zur Studie «Risiko Alt-Reaktoren Schweiz», welche die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) und Greenpeace Schweiz vier Monate zuvor publizierten, die Gültigkeit von Art. 5 Abs. 5 der «Gefährdungs-Verordnung».

Die Studie hatte gezeigt, dass die fünf Schweizer AKW nicht ausreichend gegen den gezielten und unfallbedingten Flugzeugabsturz von grossen Zivilflugzeugen (B747, A380) geschützt sind und forderte deshalb den Schutz vor Flugzeugabstürzen von grossen Zivilflugzeugen.

In seiner Stellungnahme hielt das Ensi fest, diese Forderung der Studie gehe «weit über die gesetzlichen Anforderungen hinaus», und verwies dabei auf den Persil-Artikel 5 Abs. 5 der ominösen «Gefährdungs-Verordnung» aus dem Jahr 2009:

«In der Schweiz gilt die Massgabe, dass der Nachweis des ausreichenden Schutzes gegen Flugzeugabsturz auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Baubewilligungsgesuchs im Einsatz befindlichen militärischen oder zivilen Flugzeugtyps zu führen ist, wobei derjenige Typ zu berücksichtigen ist, der unter realistischen Annahmen die grössten Stosslasten auf Gebäude ausübt. Diese Bestimmung ist für das Ensi bindend.»

AKW-Sicherheit bleibt eine Black-Box

Aufgrund dieser Stellungnahme wollte Infosperber einen Monat später vom Ensi wissen: «Sind die Schweizer AKW gegen einen Absturz der beiden Flugzeugtypen B747 und A380 geschützt oder nicht?»

Nach einigen Eiertänzen liess das Ensi die Katze aus dem Sack: «Wir können aus Gründen der Geheimhaltung diese Informationen nicht mitteilen.»

Laut Ensi sind also die Schweizer AKW gegen Flugzeugabstürze geschützt, aber es untersteht der Geheimhaltung, ob dies auch für die grossen Zivilflugzeuge B747 und A380 gilt, deren Berücksichtigung laut Ensi «weit über die gesetzlichen Anforderungen» hinausgeht.

Alles klar? Nein, im Gegenteil, die Geheimhaltung und der Ausschluss grosser Zivilflugzeuge per Verordnung geben Anlass zu grossen Fragezeichen zur Untersuchung der AKW-Betreiber und des Ensi. Die Sicherheit der AKW gegen Flugzeugabstürze bleibt eine Black-Box.

Erst nach der Vernehmlassung hineingerutscht

Erstaunlich ist die Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 5: Im Verordnungs-Entwurf, den das Uvek unter der Federführung des Bundesamtes für Energie (BFE) im Juni 2007 in die Vernehlassung schickte, sucht man den folgenschweren Atomschutz-Artikel vergeblich. Auch im Bericht zum Verordnungs-Entwurf ist davon mit keinem Wort die Rede.

Der atomfreundliche Artikel taucht erst in der gültigen Verordnung auf. Er ist also erst nach der abgeschlossenen Vernehmlassung in die Verordnung hineingerutscht. Auf diese Weise vermieden das Uvek/BFE und die Atomlobby elegant die Konfrontation mit den an der Vernehmlassung beteiligten, atomkritischen Umweltverbänden.

Wirklich sicher ist in dieser «Sicherheits»-Diskussion nur eines: Mit dieser präparierten Verordnung wird nicht die Bevölkerung vor einer AKW-Katastrophe durch mögliche Flugzeugabstürze geschützt, sondern vor allem die AKW-Betreiber vor den finanziellen Folgen einer Nachrüstung oder einer Stilllegung.

«Kommission für nukleare Sicherheit» geht viel weiter

Wie fragwürdig der Atomschutz-Artikel des Jahres 2009 ist, zeigt eine Stellungnahme der «Kommission für nukleare Sicherheit» (KNS) zum Bewilligungsgesuch, das die AKW-Betreiber für den Bau neuer Atomkraftwerke noch vor der Fukushima-Katastrophe eingereicht haben.

In einer Medienmitteilung vom 10. Januar 2011 fordert die KNS das Ensi ausdrücklich auf:

«Es sollen nicht nur die zum Zeitpunkt des Baubewilligungsgesuchs im Einsatz befindlichen militärischen oder zivilen Flugzeugtypen, sondern auch die künftige Entwicklung von Flugverkehr und Flugverkehrsflotte berücksichtigt werden.»

Angesichts solcher Zusammenhänge stellen sich zwei Fragen:

  1. Was sind die neusten Untersuchungen und «Sicherheits»-Behauptungen der AKW-Betreiber und des Ensi überhaupt wert, wenn sie auf dem Art. 5 Abs. 5 der «Gefährdungs-Verordnung» aus dem Jahr 2009 basieren?
  2. Welche Atomlobbyisten und Bundesbeamten sind dafür verantwortlich, dass der Art. 5 Abs. 5 in die «Gefährungs-Verordnung» aufgenommen wurde, nachdem die Vernehmlassung bereits abgeschlossen war?

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Ensi

Atomaufsichtsbehörde Ensi

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi entscheidet darüber, ob AKWs noch sicher genug sind.

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4 Meinungen

  • am 23.11.2018 um 12:32 Uhr
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    Der Artikel mag technisch stimmen. Aber das ist Schnee von gestern. Es wird immer und überall verheimlicht und vertuscht. Was ist die Konsequenz? Sollen wir die Meiler nachrüsten, dass sie auch grösseren Flugzeugen und Meteoriten-Einschlägen standhalten? Sie werden sowieso spätestens in 20 Jahren abgeschaltet. Ein Rest-Risiko gibt es immer, es ist eine Sache der Gewichtung. In gleichem Zusammenhang müsste man die Sicherheit der Staumauern überprüfen. Für jede Einzelne genügt eine Bombe.

  • am 23.11.2018 um 13:58 Uhr
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    Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Artikel. Deep State am Werk, so wie es auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten läuft.
    Schön finde ich, dass in der heutigen Zeit immer mehr dieser Machenschaften ans Tageslicht kommen und damit der Bevölkerung die Möglichkeit gegeben wird, etwas gegen Missstände zu unternehmen.

  • am 23.11.2018 um 18:09 Uhr
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    Da stellt sich wohl auch die Frage, ob ein Artikel in einer Verordnung gilt, wenn er nie vernehmlasst wurde? Also von einem Beamten «einfach» hineingesetzt wurde.

  • am 26.11.2018 um 13:39 Uhr
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    Wie Herr Stolzer sagt, ist es eine Gewichtung der Risiken. Im Falle einer Abschaltung (offensichtlich die Obsession von Herrn Marti) entfällt zwar dieses sehr kleine Risiko. Was er verschweigt: Dadurch bleibt man mit mehr Kohlestrom hängen (etwa 22’000 frühzeitige Todesfälle durch Umweltverschmutzung pro Jahr, nur in Europa, 1)… Oder lieber mit dem Kamin statt mit der Wärmepumpe heizen (61’000 entsprechende Todesfälle, 2)?
    Dieses Wochenende wurde eben darüber in Taiwan abgestimmt (3): Der durch die Regierung beschlossene Atomausstieg wurde per Volksabstimmung gekippt, teilweise wegen der entsprechenden Umweltverschmutzung. Blackouts, Klima und Kosten waren auch Themen.

    1) CAN / HEAL / Sandbag / WWF, Europe’s dark cloud, 2016
    2) WHO, Residential heating with wood and coal: health impacts and policy options in Europe and North America, 2015
    3) M. Shellenberger, Pro-Nuclear Activists Win Landslide Electoral Victory In Taiwan, Forbes, 24.11.2018.

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