Kies2_quer-1

Bunte Magerwiesenflora: Natur braucht in Siedlungen mehr Raum © bm

Beim dichten Bauen vergessen Baugesetze die Natur

Beatrix Mühlethaler /  Im Siedlungsraum verlangt ein Bundesgesetz den Ökoausgleich. Doch am Vollzug hapert’s. Es breitet sich monotones Siedlungsgrün aus.

Verdichtetes Bauen spart Boden, verdrängt aber oft die letzten natürlichen Ecken aus einer Ortschaft. Was an Restgrün um Neubauten gedeiht, ist naturfern und monoton: Ein bisschen Rasen oder Schotterflächen, dazwischen Grenzhecken aus Scheinzypresse, Wacholder oder Thuja. So verarmt die Siedlungsnatur.

Was für die Bauern gilt, müsste auch für die Städter gelten

Es fehlt ein «ökologischer Ausgleich», wie er in der Landwirtschaft durchgesetzt wird. Dort sind die Bauern verpflichtet, einen ökologischen Leistungsnachweis zu erbringen. Ohne diesen erhalten sie keine staatlichen Direktzahlungen. Unter anderem müssen sie sieben Prozent ihrer Flächen extensiv nutzen, beispielsweise in Form von Buntbrachen oder artenreichen Wiesen.
Das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz sieht einen ähnlichen ökologischen Ausgleich nicht nur im Kulturland vor, sondern auch für bebautes Gebiet: «In intensiv genutzten Gebieten inner- und ausserhalb von Siedlungen sorgen die Kantone für ökologischen Ausgleich mit Feldgehölzen, Hecken, Uferbestockungen oder mit anderer naturnaher und standortgemässer Vegetation.»
Keine bundesweite Ausführungsverordnung
Innerhalb von Überbauungen «sorgen» die Kantone jedoch bis heute für keinen Ausgleich. Für das landwirtschaftliche Kulturland hat der Bund detaillierte Ausführungsverordnungen erlassen, nicht aber für Bauland. Beim ökologischen Ausgleich innerorts hätten die Kantone deshalb einen grossen Spielraum. Doch in den kantonalen Richtplänen und Bauvorschriften findet man kaum etwas darüber, wie die Bauherren eine diversifizierte Natur in Städten und Ortschaften erhalten sollenl.
So sind denn auch die Bauordnungen der meisten Gemeinden bezüglich Umgebungsgrün minimalistisch – ganz im Unterschied zu den detaillierten Vorschriften über Erschliessung, Entsorgung und Sicherheit. Höchstens dort, wo naturkundige Gemeinderätinnen und Bausekretäre amten, hat die Natur noch eine Chance. Etwas besser ist die Situation in denjenigen Städten, die über Naturfachstellen verfügen.
Bedingung für höhere Ausnützungsziffern
Dabei könnten die Kantone – analog zu den Bundesverordnungen für die Landwirtschaft – konkret vorschreiben: Wer ein Grundstück besser ausnutzen darf, muss einen Gegenwert bieten: nämlich eine qualitativ hochwertige Umgebung mit natürlichen Strukturen und einheimischen Wildpflanzen. Oder generell ausgedrückt: Verdichtetes Bauen verlangt ein ökologisches Konzept für den Raum zwischen den Bauten.

Weder teuer noch pflegeintensiv

Natürliche Strukturen sind weder teurer, noch bedürfen sie aufwändigerer Pflege als die üblicherweise verwendeten Rasensaaten und Ziergehölze. Im Gegenteil. Ein Beispiel: Ausgesprochen pflegearm und wertvoll ist eine Fläche mit Pionier- und Magerrasenflora. Als mageres Bodensubstrat kann man Wandkies ausbringen, wie er in jeder Kiesgrube anfällt. Die Blumen lassen sich wahlweise ansäen oder pflanzen – daran haben nicht nur Bienen Freude, die Honig produzieren möchten. Damit sich nicht Fettwiesenpflanzen wie Löwenzahn ausbreiten, muss der Kies tiefgründig sein (ca. 40 cm), der Untergrund durchlässig. Zuerst schmücken Pionierpflanzen wie Mohn, Natternkopf und Wegwarte die Kiesfläche, später werden eher mehrjährige Blumen wie Malve, Karthäusernelke, Hornklee, Färberkamille und wilder Majoran den Raum für sich beanspruchen. Wer mag, kann den Pionieren immer wieder Lücken frei hacken. Sonst beschränkt sich die Pflege darauf, im Herbst oder Frühling die verdorrten Stängel und einige Grasbüschel zu entfernen.

Zu viel Ordnung verdrängt Leben

Einen ähnlichen Bewuchs kann man auf gewalztem Strassenkies erzielen. Diese Variante mit einer etwa 25 Zentimeter dicken Kiesschicht eignet sich auch für grosse Flächen rund um ganze Häuser. Die Nutzung ist flexibel: Wo es erwünscht ist, werden hohe Blumen gepflanzt, anderswo Magerrasen gesät. Wege und Plätze lassen sich mit der Mähmaschine offen halten. Geeignet ist diese Lösung auch für schattigere Partien, wo Rasen schlecht, einheimische Schattenflora aber gut gedeiht. Der Strassenkies, allenfalls auch ein Streifen kleinkörniger Rundkies, ersetzt im Übrigen das hässliche Band aus Bollensteinen, das sich vielerorts als Spritzschutz rund ums Haus zieht. Damit entwickeln sich aus langweiligen Restflächen bunte Bänder und Plätze mit Nektarbesuchern. Die lebensfeindliche Ordnung als oberstes Prinzip der Umgebungsgestaltung würde abgelöst durch Toleranz gegenüber einer manchmal eigenwilligen Natur.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ist im Naturschutz aktiv und berät eine Gemeinde für eine naturnahe Umgebungsgestaltung.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.