Depositphotos_793142168_XL(1)

Donald Trumps Politik scheint unberechenbar zu sein. Oder doch nicht? © rokas91/Depositphotos

Optimisten glauben: Trumps narzisstisches Chaos hat System

Christof Leisinger /  Regelbasierte Weltordnung – das war einmal. Die Amerikaner spielen nicht mehr «Weltpolizist». Höhe Zölle dienen der Aussenpolitik.

Der brutale russische Überfall auf die Ukraine, der menschverachtende Umgang Israels mit der Bevölkerung in Gaza, die aussen-, wirtschafts- und finanzpolitische Unberechenbarkeit der Amerikaner, der Egoismus der Bevölkerungsriesen China und Indien sowie die wankelmütige Feigheit der Europäer, sich vom keynesianischen Schlaraffenland zu verabschieden und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – kaum etwas zeigt deutlicher, dass sich die regelbasierte Weltordnung überlebt hat.

Das disruptive Verhalten des amerikanischen Präsidenten Donald Trump stellt den globalen Rahmen mit gemeinsamen Regeln, Normen und Institutionen (etwa die Vereinten Nationen, der Internationalen Währungsfonds oder auch die Weltbank) endgültig infrage.

Zwei wesentlich Mankos killen die regelbasierte Weltordnung

Dieser war nach dem zweiten Weltkrieg als Reaktion auf die Zerstörungen und drohende Instabilitäten konzipiert worden und sollte die politische Zusammenarbeit, die friedliche Beilegung von Streitigkeiten, den wirtschaftlichen Aufschwung und die Werte der liberalen Demokratie fördern. Er hatte nur zwei wesentlich Mankos: Er setzte erstens voraus, dass die viel gescholtenen Amerikaner freiwillig den «Weltpolizisten» spielen und auf eigene Kosten die internationalen Handelsrouten sichern. Zweitens, dass sich die Handelsströme zwischen den verschiedenen Ländern langfristig ausgleichen.

Beides trifft nicht mehr zu. Donald Trump ist zu ersterem nicht länger bereit, weil sich in seinen Augen Handelstheoretiker wie David Ricardo in ihren Elfenbeintürmen geirrt haben. Der Welthandel in der bisherigen Form habe zu riesigen Aussenhandels- und Budgetdefiziten, zu rasant steigenden Staatsschulden in den USA und zur Benachteiligung der amerikanischen Mittelschicht geführt. Die ausgeprägte Neigung der Industriestaaten, der Wirtschaft im Zweifel mit billigem Geld und Staatsausgaben auf Pump auf die Sprünge zu helfen, habe zudem die Preise nach oben getrieben und zur allgemeinen Unzufriedenheit beigetragen.

unhaltbarer zustand usa schulden
Die Freunde hoher Staatsausgaben müssen sich immer stärker verschulden, um sich Wachstum zu erkaufen. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Trump und seine Entourage werfen vor allem den Europäern vor, die in den vergangenen Jahren angefallenen Handelsüberschuss-, Friedens-, Energie- und Billiggeld-Dividenden auf Kosten der Amerikaner verfrühstückt zu haben. Sie hätten den grössten Teil ihrer hohen Staatseinnahmen und der wachsenden Schulden für alles Mögliche verkonsumiert, statt geopolitische Risiken zu erkennen und genügend in die eigene Verteidigung, in die Diversifikation der Energie- und Rohstoffversorgung sowie in die Modernisierung der Infrastruktur für künftiges Wachstum zu investieren.

Donald Trumps Politik sorgt scheinbar für Chaos

Aus diesem Grund hat er gleich am Anfang seiner zweiten Amtszeit beinahe alles in der Vergangenheit Gewohnte über Bord geworfen und mit prägnanten Ansagen für chaotische Furore gesorgt. Als 47. Präsident der Vereinigten Staaten wollte er den «Ukrainekrieg in einem Tag zu beenden», den «korrupten, bürokratischen Sumpf in Washington austrocknen», enorme Handelsungleichgewichte, Staatsdefizite und Schulden verringern, Steuern senken, den amerikanischen Mittelstand durch Reindustrialisierung wiederbeleben und vor allem auch die geopolitischen Interessen der Amerikaner verstärkt in den Vordergrund rücken.

Hohe Zölle sind in seinen Augen ein Allheilmittel für die Lösung aller strukturellen Probleme der USA. Sie sollen auf dem Rücken der Importeure für hohe Staatseinnahmen sorgen und sie sollen in Verhandlungen mit anderen als Druckmittel und sogar dem Schutz der nationalen Sicherheit dienen.

Die Bilanz ist bisher durchwachsen. Das Morden in den ukrainischen Weiten geht munter weiter, «Putins Fleischwolf» frisst täglich hunderte Menschen. Auch vom Trockenlegen des Sumpfes kann keine Rede sein. Kritiker behaupten, die Trump-Familie schlage hemmungslos Kapital aus ihrer Macht. Beispiele: Ein luxuriöser Boeing-Jet als Geschenk aus Katar, die intransparente Ausgabe von Kryptowährungen zweifelhaften Wertes zur Selbstbereicherung und zur verdeckten Entgegennahme von Bestechungsgeldern sowie dubiose Immobiliengeschäfte in aller Welt.

Ihre Bilanz ist durchwachsen – verstärkt sie die Probleme?

Mit dem OBBBA (One Big Beautiful Bill Act) hat Trump zwar ein Gesetzespaket durch alle Instanzen gebracht, das angeblich das Wirtschaftswachstum beleben soll. In den Augen von Skeptikern ist es aber nur gut für die Unternehmen und die Gutverdiener, und eher schlecht für den Rest. Es sieht dauerhaft niedrige Steuern für gutverdienende Privatpersonen und Unternehmen vor, starke Kürzungen bei Sozialleistungen, erhöhte Ausgaben für Verteidigung und Grenzschutz, die Rücknahme zahlreicher Klima- und Umweltanreize sowie eine Kombination aus neuen Gebühren und Steuern vor.

Die Budgetwächter vom überparteilichen Congressional Budget Office fürchten, das Gesetz werde das amerikanische Defizit bis 2034 markant erhöhen und etwa 11 Millionen Menschen ihren Krankenversicherungsschutz kosten. Hätten sie recht, würde Trump auch das Ziel verfehlen, die Defizite zu verringern. Und das, nachdem schon «Sparkommissar» Elon Musk mit dem Department of Government Efficiency grandios gescheitert ist. Er wollte die Staatsausgaben um ein, zwei Billionen Dollar senken, herausgekommen sind ein paar Milliarden. Mittlerweile ist er von der politischen Bildfläche in Washington verschwunden.

durchschnittzölle
Die amerikanischen Importzölle sind so hoch wie lange nicht mehr. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Inzwischen verdichten sich Hinweise darauf, dass die Trumpsche «Zollkeule», die radikale Abschiebung angeblich illegaler Immigranten in grossem Stil, die Spannungen wegen der innenpolitischen Spaltung des Landes, die zunehmende Gängelung der Notenbank (Trump drängt trotz drei Prozent Inflation auf tiefere Zinsen, um die enorme Staatsschuld günstiger zu machen), die Verunsicherung der Handelspartner und weitere Faktoren das amerikanische Wirtschaftswachstum belasten. Das würde das Chaos verstärken.

Allerdings sind nicht alle so skeptisch. Beobachter wie der ehemalige Hedge-Fund-Manager Michael Kao wollen eine konsistente Strategie ausmachen. Kao betrachtet die Zolloffensive nicht als Handelspolitik, sondern als wirtschaftspolitisches Manöver – ein bewusstes Instrument, um China zu isolieren und um konzessionsorientierte Investitionsabkommen zu erreichen. Trump trete in der Öffentlichkeit bewusst narzisstisch und unberechenbar auf, um etwa vorteilhafte Verträge mit Grossbritannien, Vietnam, Japan oder auch der EU möglich zu machen.

Ist das Chaos Teil einer übergeordneten Strategie?

Ein strategisches Konzept also, statt willkürlicher Theatralik. Was wie Chaos daherkomme, sei in Wirklichkeit staatspolitisches Handwerk. Zölle seien mehr als Handelsbarrieren, weil sie sowohl als Einnahmequelle als auch als diplomatische Druckmittel dienten. Sie verwandelten sich im Rahmen der «wirtschaftspolitischen Staatskunst» in aussenpolitische Werkzeuge. Der Zugang zu den amerikanischen Konsumenten diene als Hebel, um globale Lieferketten und Allianzen neu zu gestalten.

Die Fachleute der niederländischen Rabobank sehen das ähnlich. Auch sie glauben an eine übergeordnete Strategie, in der die aussenpolitischen, die militärischen und die wirtschaftlichen Stränge der amerikanischen Staatskunst zusammenkämen. Nur die Umsetzung erscheine chaotisch, weil man andere absichtlich destabilisieren wolle – und weil sich sonst die erwünschten Veränderungen nicht schnell und radikal genug umsetzen liessen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Trump_cc

Donald Trump scharf beobachtet

Manche wollen ihm «eine Chance geben» und ihn nicht an Worten messen. Es wäre besser, auf der Hut zu sein.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

3 Meinungen

  • am 20.09.2025 um 11:49 Uhr
    Permalink

    Für diejenigen, die es noch nicht gemerkt haben, die USA sind auf dem Weg zum Staatsbankrott und die sozialen Spannungen treiben es auf einen Bürgerkrieg zu.
    Die einzige Chance, dies zu verhindern, liegt in einem recht radikalen Umbau der innenpolitischen Strukturen und außenpolitischen Verpflichtungen. Warum sollte die USA, z.B. heute immer noch die Verteidigung von Europa übernehmen? Die Sowjetunion ist schon 30 Jahre weg, und Russland militärisch und politisch nicht mal ein Drittel der damaligen Bedrohung.
    In den letzten dreißig Jahren haben sich durch die Globalisierung auch zu den Staaten parallele Organisationen gebildet, welche nun für die Freiheiten in den demokratischen Staaten zur existentiellen Gefahr werden. In Europa schreitet die Auflösung der (National)Staaten voran und auch wirtschaftlich ist Europa im Niedergang. Da ist Trump wohl das kleinste Problem der EU.
    Ich gehe davon aus, dass die USA die Kurve kriegen werden, die EU nicht.

    • am 21.09.2025 um 07:47 Uhr
      Permalink

      Ich glaube es ist schon zu spät, auch für die USA.
      Ausser sie würden es überstehen mit der Notenpresse die Schulden abzubezahlen.
      Die logischr Konsequenz ist, dass der Dollar nicht mehr Weltreservewährung ist…. Entweder eine andere Währung nimmt schnell den Platz ein (Brics Währung) oder wir landen, wie immer nach Fiat-Geldsystemen wieder beim Gold.
      Deswegen kaufen alle Zentralbanken so viel Gold ein. Sie wissen was auf sie zukommt. Nur die EU und auch die Schweiz scheint zu schlafen.

  • am 20.09.2025 um 18:33 Uhr
    Permalink

    Deutschlanfunk 31.07.2025: «Mit Vizepräsident JD Vance sitzt ein Mann im Machtzentrum der US-Politik, bei dem persönliche Netzwerke und Ideen des Silicon Valley zusammenfließen. So nennt Vance den einflussreichen neoreaktionären Milliarden-Investor Peter Thiel einen „engen Freund»…Thiel finanzierte dann Vance‘ Einstieg in die Politik und machte ihn mit Donald Trump bekannt.»

    Zur Aussage der Hauptzeile: «Optimisten glauben: Trumps narzisstisches Chaos hat System» Ist eine eine Antwort: Donald Trump hat den Glauben, die USA ist der Nabel der Weltwirtschaft, und er könne alle Staaten mit hohen Zöllen einschüchtern und gefügig machen. Das ging wohl in die Hosen. Die Trump’sche Zollpolitik macht die BRICS-Staaten mächtig. Die USA können nicht mehr die Weltpolitik alleine bestimmen. Möglich, dass Vizepräsident Vance und seine High-Tech-Guys die Geschäfte des Präsidenten im Auge haben und warten ab bis die Falle zuschnappen kann und Mr. Trump ist Schachmatt.
    Gunther Kropp, Basel

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...