Aasif Sultan. Maktoob

Die indischen Behörden liessen Journalist Aasif Sultan auch nach 1000 Tagen nicht frei. © Maktoob

Indiens Willkürherrschaft in Kaschmir: Modi bleibt unbehelligt.

Christa Dettwiler /  Journalisten und Oppositionelle in wiederholter Präventivhaft – ohne Verfahren. Seit 2019 gibt es keinen Autonomie-Status mehr.

Vier lange Jahre wartete der Journalist Aasif Sultan aus Kaschmir im Gefängnis auf sein Verfahren. Sein Vergehen: «Unterstützung von Aufständischen». Im April wurde ihm vom Gericht Freilassung auf Kaution gewährt, und Sultan freute sich auf seine Freilassung. Aber daraus wurde nichts. Die Behörden klagten ihn wegen ähnlicher Vergehen unter einem anderen Gesetz an und steckten ihn in ein anderes Gefängnis.

Es sei nur das jüngste Beispiel von vielen, erklärten Menschenrechtsaktivisten der New York Times. Indische Behörden nützten das (Un-)Rechtssystem, um Redefreiheit einzuschränken und unliebsame Journalistinnen zu schikanieren – vor allem in dem von Indien kontrollierten Teil der umkämpften Kaschmir Region, wo mehrheitlich Moslems leben.

Zwei Jahre rechtlos ins Gefängnis

Aasif Sultan.
Aasif Sultan vor seiner Verhaftung

Aasif Sultan wird jetzt unter dem strengen Jammu und Kaschmir Public Safety Act festgehalten. Dieses Gesetz erlaubt präventive Inhaftierungen und erlaubt es den regionalen Behörden, Verdächtigte bis zu zwei Jahre gefangen zu halten – ohne formelle Anklage, ohne Gerichtsverhandlung und ohne Möglichkeit der Freilassung auf Kaution. Es reicht, dass die lokalen Behörden entscheiden, eine Person stelle ein Sicherheitsrisiko oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.

«Der Public Safety Act basiert auf der Annahme, dass jemand etwas Illegales tun könnte, und nicht, dass er etwas getan hat», erklärte Shafqat Nazir gegenüber der New York Times. Er ist Anwalt am Obersten Gerichtshof von Srinagar, der grössten Stadt Kaschmirs. «Auf Grund von reinen Vermutungen kann jemand für zwei Jahre im Gefängnis verrotten.»

In den letzten Monaten erlitten mindesten zwei weitere Journalisten dasselbe Schicksal wie Aasif Sultan. Fahad Shah, der Chefredakteur der Nachrichten-Website «The Kashmir Walla» wurde im Februar festgenommen. Seither wurde er drei weitere Male mit immer neuen Anklagen verhaftet, sobald ihm ein Gericht eine Freilassung auf Kaution gewähren wollte. Sajad Gul, ein Juniorreporter für dieselbe Plattform, wurde am 5. Januar festgenommen. Er hatte ein Video hochgeladen über die Familie eines getöteten Aufständischen, in dem Familienmitglieder anti-indische Slogans zeigten. Bevor er gegen Kaution freigelassen werden sollte, informierten ihn die Behörden, dass er unter dem Public Safety Act weiterhin festgehalten werde.

Das Schicksal der beiden Journalisten zeigt, wie locker die indische Regierung den nationalen Public Safety Act interpretiert, um Medienschaffende mundtot zu machen. Fahad Shah, der für zahlreiche internationale Medien über Kaschmir berichtete, ist laut Polizei ein «anti-nationales Element unter dem Deckmantel des Journalismus», das «ständig Geschichten propagiert, die gegen die Interessen und die Sicherheit der Nation verstossen».

Yashraj Sharma, der «The Kashmir Walla» interimistisch leitet, sagte zur New York Times: «Jedes Mal, wenn wir einen Artikel hochladen, wissen wir nicht, ob er uns ins Gefängnis bringt. Die lokalen Medien werden ausradiert.» 

Indien isoliert Kaschmir im Jahr 2019

Nach der Aufhebung der Autonomierechte im mehrheitlich von Muslimen bewohnten indischen Teil Kaschmirs kritisierte die Uno in Genf die Unterbrechung von Internet- und Telefonverbindungen, Ausgangssperren, willkürlichen Festnahmen von Politikern und das Verbot friedlicher Versammlungen. Dass kaum Informationen aus der Region nach draussen gelangten, sei allein schon Anlass zu grosser Sorge, sagte der Sprecher von UN-Hochkommissarin Michelle Bachelet.

Auf mehrfache Anfragen bei verschiedenen Behörden, wie sie den Public Safety Act auslegten, erhielt die New York Times eine einzige ausweichende Antwort. Man wende ihn keinesfalls dafür an, Medienschaffende zum Schweigen zu bringen. Allerdings prangern Aktivistinnen, Autoren, Studierende, Akademikerinnen und Medienschaffende im ganzen Land ein Klima zunehmender Einschüchterung an, mit dem Premierminister Narendra Modi seine Kritiker mundtot machen will. 

Tatsächlich sind Anklagen wegen Aufwiegelung in den letzten Jahren stark gestiegen. Das Gesetz stammt noch aus der britischen Kolonialzeit. Tausende Menschen – Dichter, politische Organisationen und ein katholischer Priester wurden unter dem «Unlawful Activities Prevention Act» ins Gefängnis gesteckt. 

Aktivistinnen stellen fest, dass die Verfolgung von Medien in Kaschmir seit 2019 stark zunahm, seit Modis Regierung den Spezialstatus von Kaschmir aufhob, der der Region eine gewisse Autonomie zugestand. Modi löste die lokal gewählte Regierung auf und stellte die Region unter die Kontrolle der Landesregierung. 

Journalistinnen und Journalisten werden aufgerieben zwischen Militanten, welche die Unabhängigkeit von Indien anstreben, und der Regierung, welche die mehrheitlich muslimische Bevölkerung fest im Griff hält.

Nach Ansicht von Shesh Paul Vaid, Polizeipräsident von Jammu und Kaschmir zwischen 2016 und 2018, sei das alles kein Problem: «Hunderte Medienschaffende arbeiten hier. Wenn diese drei festgenommen wurden, heisst das nichts anderes, als dass die Behörden klare Hinweise auf eine Gefährdung der Sicherheit unseres Landes oder von Gesetz und Ordnung haben.» Zudem müsse ein Beirat die Fälle innerhalb von drei Monaten prüfen, und die Anklagen könnten von einem höheren Gericht abgewiesen werden.

Aasif Sultan wird weiterhin im Gefängnis bleiben. Zwar durfte sein Vater ihn besuchen, mit ihm sprechen durfte er aber nicht. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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