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Gegen das Burkaverbot: Die Operation Libero entstand aus Protest gegen die SVP und ist zu einer Kraft in der Schweizer Politik geworden. © operation libero

Gegen den rechten Mief: zwei Aufbrüche von 2016

Jürg Müller-Muralt /  Für zwei zivilgesellschaftliche Projekte wurde die SVP-Durchsetzungsinitiative vor fünf Jahren ein Schlüsselereignis.

2016 war ein grosses Jahr für den Rechtspopulismus: Die Annahme des Brexits in Grossbritannien, das Auftrumpfen der AfD in Deutschland und der Wahlsieg Donald Trumps in den USA zeugen davon. In der Schweiz dagegen markierte ausgerechnet das Jahr 2016 den Beginn einer Sinnkrise der Schweizerischen Volkspartei: Am 28. Februar lehnten die Stimmenden die SVP-Durchsetzungsinitiative ab. Dann folgten fast nur noch Abstimmungsniederlagen, und die eidgenössischen Wahlen von 2019 liessen die stärkste Partei als grosse Verliererin zurück. Zwei unterschiedliche, erfolgreiche zivilgesellschaftliche Projekte verbinden dagegen die Durchsetzungsinitiative mit einem Signal zum Aufbruch: die Operation Libero und das Online-Magazin Geschichte der Gegenwart.

Eine Gründung aus Frustration

Die Operation Libero entstand aus einer Frustration heraus und erreichte einige Zeit später eine erstaunliche Schlagkraft. Die Gründung erfolgte als Reaktion auf den knappen Sieg der SVP mit ihrer Masseneinwanderungsinitiative von 2014. Einige junge Leute taten sich zusammen und fanden, es dürfe nicht nochmals passieren, dass die Zivilgesellschaft eine so wichtige Abstimmung einfach verschlafe. Im Visier der Operation Libero war klar die SVP. Im Herbst 2015 erreichte die Volkspartei den Zenit ihrer Macht: Sie gewann bei den eidgenössischen Wahlen einen Stimmenanteil von fast 30 Prozent; seit der Einführung des Proporzsystems war keine Partei stärker. Es war deshalb zu erwarten, dass das Stimmvolk auch die Durchsetzungsinitiative im Februar 2016 durchwinken würde, die einen automatischen Landesverweis für straffällige Ausländerinnen und Ausländer ohne Einzelfallprüfung und ohne richterlichen Ermessensspielraum einführen wollte.

Die Stunde der Operation Libero

Doch nun kam die Stunde der Operation Libero: Während sich in der etablierten Politik Resignation breitmachte, legte sie sich erst so richtig ins Zeug. Im Abstimmungskampf bezeichnete sie die Initiative als «Abrissbirne gegen die Schweiz: gegen die Grundwerte unserer Demokratie, gegen die Säulen unseres Rechtsstaats, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Sie macht kaputt, was uns alle schützt». Verschiedene regierungsunabhängige Organisationen spannten zusammen und starteten eine eigene Kampagne. Geleitet wurde diese von Flavia Kleiner, der Co-Präsidentin von Operation Libero, «und sie machte das so unerschrocken und laut und elegant, dass sie zum Gesicht des Widerstands gegen die SVP wurde», schreibt Philipp Loser im Magazin vom 19.09.2020.

Fehlt mittlerweile der Punch?

Natürlich ist Operation Libero nicht die alleinige Architektin des schliesslich deutlichen Neins zur Durchsetzungsinitiative. Aber sie hat wesentlich dazu beigetragen, die Öffentlichkeit aufzurütteln. Die nächste Zeit war erfolgreich: Die Gruppe kämpfte für die erleichterte Einbürgerung, gegen No Billag, gegen die Selbstbestimmungsinitiative und gegen die Begrenzungsinitiative der SVP – und stand immer auf der Seite der Siegerinnen und Sieger. Jetzt steigt die Operation Libero wieder gegen die Initiative für ein Burkaverbot auf die Barrikaden, die am 7. März 2021 zur Abstimmung kommt. Doch zwischenzeitlich wurde ihre Lage ungemütlich: Die kampagnenstarke Organisation machte im vergangenen Dezember mit dramatischen Worten ein Finanzloch publik. Ein Crowdfunding sicherte in kurzer Zeit zumindest vorläufig das Weiterbestehen. Wie es längerfristig weitergeht, ist unklar. Im Januar machte Operation Libero auf Optimismus: «In unseren politischen Herzensanliegen wollen wir vermehrt den entscheidenden Pass selber nach vorne spielen.»

Der Politologe Michael Hermann zeigte sich im September 2020 im Magazin noch zurückhaltender und liess sich wie folgt zitieren: «Der Operation fehlt mittlerweile der Punch, vielleicht haben sich ihre Methoden abgenützt, vielleicht hat sich aber tatsächlich auch etwas bewegt.» Denn das sei die grosse Leistung der Operation Libero: dass sie den Funken gezündet hat – seht her, man kann etwas gegen die SVP erreichen, man muss sich nur trauen.

Geschichte der Gegenwart: ein Reflexionsmedium

Auch ein völlig anderes zivilgesellschaftliches Projekt geht auf die Debatte um die Durchsetzungsinitiative zurück: das Online-Magazin Geschichte der Gegenwart (GdG). Es ist kein polit-aktivistisches Projekt, sondern ein reflektierendes, doch mit durchaus politischer Absicht. Gegründet wurde es im Januar 2016 von fünf Geistes- und Kulturwissenschaftler/-innen der Universität Zürich. Heute sind es zehn Herausgeber/-innen, die alle an Universitäten der Schweiz und Deutschland forschen. Das Projekt wird durch einen gemeinnützigen Verein und durch eine wachsende Zahl von Abonnentinnen und Abonnenten getragen, zudem durch viele Einzelspenden sowie durch die Basler Stiftung für Medienvielfalt. Herausgeber und Autorinnen arbeiten unentgeltlich.

Durchsetzungsinitiative als «Gründungsszene»

Die Historikerin Brigitta Bernet schreibt auf der Homepage: «Es gibt ja so etwas wie eine Gründungsszene von GdG: die Durchsetzungsinitiative, über die die Schweiz im Februar 2016 abgestimmt hat.» Diese Konstellation gehöre zum Ausgangspunkt von GdG. «Sie beinhaltete – mit einigen Ausnahmen – auch eine Medienlandschaft, die sich immer weniger gegen politische und intellektuelle Strömungen weit rechts im politischen Spektrum abgrenzt.»

GdG versteht sich als politisch unabhängig, aber durchaus angriffslustig und nicht neutral, machtkritisch und intellektuell neugierig. Die Beiträge sollen auch ein Gegengewicht bilden zu den immer stärker ökonomischem und ideologischem Druck unterworfenen Medien. Das Online-Magazin wird jedoch nicht von Journalistinnen und Journalisten gemacht, sondern von einem grossen Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die allerdings ohne Fachjargon und Fussnoten auskommen. Sie greifen aktuelle Fragen auf, «intervenieren in öffentlichen Debatten oder thematisieren Probleme, die eher im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen, aber dennoch Relevanz haben», wie es im Editorial heisst.

«Historische Grundierung» der Debatten

Aus Anlass des Fünf-Jahre-Jubiläums debattierten die Herausgeber/-innen über ihr Selbstverständnis und über den Anspruch ihres Magazins. Sylvia Sasse, Professorin für Slawistische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, sagt: «Als wir vor fünf Jahren begonnen haben, war der rechtspopulistische, zum Teil rechtsradikale oder einfach politisch desinformative Eingriff in die Wahrnehmung der Gegenwart und die Sprache der Öffentlichkeit massiv. Wir wollten mit unserer Perspektive zu einer historischen Grundierung und zu einer sprachlichen Sensibilisierung beitragen.»

Distanzierte Sicht als Moment der Kritik

Die Beiträge des GdG-Magazins untersuchen immer wieder aktuelle Sachverhalte mit einem Blick in die Geschichte, dies aber nicht in erster Linie, um in der Vergangenheit nach Parallelen zu suchen. Es geht mehr darum, einen Schritt zurückzutreten und Ereignisse historisierend einzuordnen. «Das Substanzielle, das GdG zur öffentlichen Debatte beisteuert, liegt für mich darin, Gegenwartsthemen von der öffentlichen Diskurslogik zu befreien und auf ihre anderen, übersehenen Seiten hinzuweisen, in diesem Sinne also Einspruch zu erheben», sagt Christian Geulen, Professor für Geschichte an der Universität Konstanz.

Fundierte Einschätzung statt blosse Meinung

Grosses Gewicht wird auf begriffliche Klarheit gelegt, nicht selten werden auch gewisse Reizwörter untersucht, häufig auch in medienkritischer Absicht. Svenja Goltermann, Professorin für Geschichte an der Universität Zürich, etwa hat den Eindruck, «dass seit etwa zwei, drei Jahren viel öfter von ‘Meinung’ die Rede ist, vor allem werden auch wissenschaftliche Beiträge so behandelt, als ginge es um blosse Meinungen – und dies trifft nicht nur die Geisteswissenschaften. Diese Sprechweise hat den Effekt, wissenschaftliche Aussagen zu delegitimieren (was von manchen ja auch dezidiert so gewollt ist), und sie verstärkt die Tendenz, Fakten in den Wind zu schiessen, kurz: Ein solches Sprechen desensibilisiert auch gegenüber Fake News.» Selbst «für viele Studierende ist der Unterschied zwischen einer auf Argumenten und Analysen beruhenden These und einer Meinung schwer zu verstehen», sagt Christine Lötscher, Privatdozentin für Kulturanthropologie an der Universität Zürich. Und Sandro Zanetti, Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, illustriert das Selbstverständnis von GdG so: Es gehe eben gerade nicht um Meinungen, sondern um wissenschaftlich fundierte Einschätzungen.

Gegen Regulierung des öffentlichen Sprechens

Obschon GdG immer auch genau hinschaut, wenn faktenfreie Meinungen, Hassreden und Fake News das öffentliche Sprechen in irritierender Weise dominieren, warnt Svenja Goltermann vor Überreaktionen – was zeigt, in welch intellektueller Offenheit und Toleranz das Magazin agiert: «In jüngerer Zeit sind wiederholt Forderungen nach neuen Gesetzen laut geworden, um gegen verletzende Äusserungen besser vorgehen zu können. Ich glaube, wir alle kennen Momente, in denen wir einem solchen Anliegen gerne zustimmen würden. Allerdings zeigt der Blick ins 19. und 20. Jahrhundert eben auch, dass Gesetze, die freies öffentliches Sprechen regulieren wollen, zu einem Bumerang werden können, der sich gegen eine demokratische Opposition richtet. Auch Gesetze, die sich dazu eignen, Sprache zu reglementieren, um Identitäten nicht zu verletzen, können eine solche unintendierte Kehrseite haben. Dies im Auge zu behalten, und zwar gerade in dem Moment, wo uns diskriminierendes Sprechen auf die Palme bringt, halte ich für zentral.»

Ein gelungenes Wagnis

Es ist den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hoch anzurechnen, dass sie sich mit qualitativ hochstehenden Beiträgen an ein breiteres Publikum wenden und somit der öffentlichen Debatte stellen. Doch es ist auch ein Wagnis: «Einerseits bezieht man innerhalb einer gesellschaftlichen Debatte deutlich Stellung; andererseits tut man dies als Wissenschaftler/-in und ist dem Ethos der eigenen akademischen Disziplin verpflichtet», sagt Albert Gleb, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Zürich. Diesen Spagat trauen sich nicht alle zu. Aber es ist ein Experiment, das in den ersten fünf Jahren beste Ergebnisse vorweisen kann.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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