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«Liebe Schwedenfreunde»: SD-Parteichef Jimmie Åkesson inszeniert sich als einziger wahrer Verteidiger des Vaterlandes. © Sverigedemokraterna (Youtube)

Trollfabrik: Schwedendemokraten im Gegenangriff à la Trump

Pascal Sigg /  Die entlarvte Partei zeigt keine Reue. Nach der Undercover-Recherche könnte Schweden eine Regierungskrise drohen.

Am Dienstagabend strahlte der schwedische TV-Kanal TV4 die zweite Folge der Undercover-Recherche zum systematischen Desinformationsprogramm der Schwedendemokraten (SD) aus (Infosperber berichtete).

Zusammen mit dem ersten Teil zeigt die Recherche eindeutig: Schwedens zweitgrösste Partei produziert massenweise irreführende Inhalte über Schweden und über ihre politischen Gegner. Dabei ist es für sie selber entscheidend, dass sie als Absenderin unerkannt bleibt.

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Filmt sich mit versteckter Kamera bei der Arbeit: TV4-Reporter Daniel Andersson (rechts).

Einerseits entsteht so der Eindruck, dass die fremdenfeindlichen Positionen populärer erscheinen, als sie tatsächlich sind. Andererseits verschiebt sie mit offenen Denunziationen laufend die Grenzen des Sagbaren. Damit vergiftet sie die öffentliche Debatte. Das ist gesellschaftlich gefährlich.

Politisch brisanter aber ist: Weil die Partei nicht nur die Oppositionsparteien verdeckt angreift, verletzt sie auch einen Teil des sogenannten Tidö-Abkommens, die Parteien zur Regierungsbildung schlossen. Darin verpflichten sie sich, ihre zentralen VertreterInnen respektvoll zu behandeln. Die SD-Kommunikationsverantwortlichen aber machen sich online anonym lustig über die Mitteparteien, stellen sie als schwach dar, hacken auf Fehlern bei öffentlichen Auftritten herum und verbreiten Hass.

Posts als Drogen

Reporter Daniel Andersson, der verdeckt auf der Kommunikationsabteilung arbeitete, zeigt verschiedene Äusserungen, die belegen, dass dieses Vorgehen System hat. SD-Kommunikationsleiter Joakim Wallerstein zum Beispiel sagt auf Band: «Leute, welche den Schwedendemokraten schon stark verbunden sind, brauchen ihre Drogen. Leute, die etwas später dran sind, brauchen eine mildere Form. Man verteilt kein Heroin auf Pausenplätzen, sondern beginnt mit Zigaretten. Wir haben gemerkt, dass Tiktok wichtig ist. Was wir auf Tiktok bringen, läuft dann auch auf anderen Kanälen gut. Alles hängt zusammen, wir bauen ein Ökosystem.»

Einer der jungen Männer, welche die Konten bewirtschaften, sagt bei einem Mittagessen mit Andersson: «Wir müssen Teil der Populärkultur werden. Wir müssen also auch hip sein können, wo die gute Musik und die Trends sind und Trends selber aufbauen. Wir wollen die coolen Jungs in den Klassen erreichen. Sie sollen unsere Memes reposten, Witze reissen. So werden die Leute uns gegenüber entspannter. Auf lange Sicht sind wir die coolen Kids.»

Namen der Konten durften nie genannt werden

Wichtig dabei sind grosse Userkonten auf Facebook, Youtube und Tiktok mit jeweils mehreren Zehntausend Followern. Diese können wiederum gebraucht werden, um User mit tieferer Reichweite bekannter zu machen. Hin und wieder landen sie virale Hits. Auf Tiktok erreichte zum Beispiel ein einzelner Post eines verdeckten SD-Kontos 800’000 User. Drei junge Männer bewirtschaften alleine die Konten.

Einmal sagt ein Parteivertreter, dass es sich um 50 Konten handeln soll. Diese werden aber so geheim behandelt, dass nicht einmal der in derselben Abteilung arbeitende Reporter Daniel Andersson erfährt, wie viele es genau sind. Mit seinem Kollegen kann er 13 Konten auf Tiktok, drei auf Youtube, drei auf Instagram und vier auf Facebook zweifelsfrei identifizieren, die unerkennbar von der Kommunikationsabteilung der Partei kontrolliert werden.

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Immer wieder Tiktok: Die Recherche identifizierte 13 verdeckte Userkonten.

Stimmen-Deepfakes auf Tiktok

Undercover-Reporter Andersson wird mit der Zeit Teil des Unterfangens. Er beginnt, selber Clips und Konten zu erstellen, Follower zu generieren. Und so erlebt er mit, wie seine Arbeitskollegen Deepfakes der Stimmen ihrer politischen Gegner erstellen, um ihnen Dinge in den Mund zu legen, die sie nie gesagt haben. So sagt Magdalena Andersson, Parteipräsidentin der Sozialdemokraten in einem gefälschten Wahlvideo: «Zusammen können wir unser Schweden vernichten. Wählt die Sozialdemokraten.»

Die Oppositionsparteien forderten in den letzten Tagen eine polizeiliche Untersuchung der SD-Kommunikationsabteilung und eine neue Sicherheitsprüfung der SD-Mitglieder, die in der Regierungskanzlei arbeiten. Magdalena Andersson verlangte eine ID-Pflicht für Social-Media-Konten in der EU. Dies plane man schon länger als Antwort auf russische Propaganda. «Das hat sich jetzt ja aktualisiert, indem bewiesen wurde, dass Schwedens zweitgrösste Partei russische Methoden anwendet.»

Auch die Regierungsparteien äusserten sich zusehends entschiedener. Sie konstatierten einen groben Verstoss gegen die Tidö-Vereinbarung. Ministerpräsident Ulf Kristersson sagte an einer Pressekonferenz im Rahmen des Treffens mit dem deutschen Bundeskanzler Scholz: Die Schwedendemokraten müssen alle Fragen beantworten, die sich nach dieser Recherche stellen. Sie haben offensichtlich ernsthafte Probleme auf ihrer Kommunikationsabteilung.» Zudem verlangte er eine Entschuldigung.

Trumpistische Rede an die eigene Basis

Eine solche lieferte SD-Präsident Jimmie Åkesson zunächst nicht. Die Schwedendemokraten wollten auch gegenüber TV4 zu den konkreten und gut belegten Vorwürfen keine Stellung nehmen. Kurz vor der Ausstrahlung des zweiten Teils veröffentlichte die Partei aber eine Rede Åkessons auf Youtube. Darin ging er zum Gegenangriff über. Er klagte die Medien und das «gesamte linksliberale Establishment» an. Vor der anstehenden EU-Wahl würde eine grosse politische Beeinflussungskampagne gegen die Schwedendemokraten betrieben. Zur Trollfabrik-Recherche sagte er: «TV4 konnte einzig zeigen, dass man selber tut, was man uns vorwirft.» Eine Recherche der Abendzeitung Aftonbladet zeigte, dass die Partei bereits 2012 mit der Anstellung Wallersteins als Kommunikationschef anonyme Onlinekommunikation plante. Das wusste auch Jimmie Åkesson.

Gestern Donnerstagnachmittag hielten die Regierungspartner eine Krisensitzung ab. Die Schwedendemokraten sollen sich darin zwar teilweise für einzelne Posts entschuldigt haben. Sie weigerten sich aber weiterhin, die anonymen Konten zu löschen und sehen kein grundsätzliches Problem in ihrem Vorgehen.

Die Zeitung Dagens Nyheter zitierte eine anonyme Parteiquelle, welche meinte: «So entsteht vor den Wahlen ein Bild, dass die Schwedendemokraten gegen alle anderen antreten. Das kann uns auch nützen, denn es ist die Wahrheit.» Für die Regierungsparteien könnte das Problem grösser werden als für die Schwedendemokraten. Darin sind sich die medialen Analysen bisher weitgehend einig.

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Im Dilemma: Regierungschef Ulf Kristersson verlangt erfolglos Reue.

Denn die Mitteparteien um die Moderaterna als drittstärkste Partei haben selber zu wenig politische Macht. Zeigen sie sich jetzt schwach gegenüber den Schwedendemokraten, riskieren sie, die eigene Wählerbasis zu verprellen. Wollten sie die Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten abbrechen, müssten sie die Regierung neu mit den Sozialdemokraten bilden. Und dann könnten diese als stärkste Partei wählen, mit wem sie kooperieren wollen. Das Risiko des Machtverlusts ist beträchtlich.

Oppositionsführerin Magdalena Andersson sagte: «Die Schwedendemokraten versuchen das schwedische Volk zu täuschen, indem sie ein falsches Bild davon zeichnen, was Menschen denken und finden.» Sie nehme wahr, dass die Regierung diese Enthüllung als blosse Verletzung des Tidö-Abkommens behandle. «Damit schmälern sie ernsthaft, worum es hier geht.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

4 Meinungen

  • am 18.05.2024 um 17:52 Uhr
    Permalink

    Das ganze ist sicher unschön. Ich bin überzeugt, das läuft anderso und bei uns genau so. Ob links oder rechts, es wird immer alles schöngeredet oder gänzlich Schlecht gemacht. Abereines ist sicher, Schweden hat ein grosses Problem mit Imigranten-Banden. An den abgelegeneren Orten mit Bürgerwehr, da die Polizei lange Anfahrtswege hat. Schweden ist ein tolles Land mit netten Menschen, das wird von kriminellen Banden schamlos ausgenutzt. Morde sind ebenfalls an der Tagesordnung. Wenn das mit der Zuwanderung zusammenhängt, was ja in Europa per se bestritten oder geschönigt wird, wird sich das im Verhalten der «angestammten» Bevölkerung zeigen. Aber ja, wir haben ja andere Probleme, wie ein 3. Geschlecht oder dergleichen. Schöne Pfingsten!

    • Portrait Pascal.Sigg.X
      am 21.05.2024 um 10:39 Uhr
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      Das Problem besteht tatsächlich und es ist gross. Bei diesem Artikel geht es allerdings nicht um Einwanderung, sondern darum, wie eine demokratische Gesellschaft darüber diskutieren soll. Wenn andere Parteien auch so verfahren, wird es auch Kritik hageln.

  • am 19.05.2024 um 17:20 Uhr
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    Schade: Es geht um die Politik in Schweden und im Titel ein Trump-Bashing, um sich bei gewissen Lesern positiv zu framen? Ich werde jedenfalls bei solch billigem approval phishing skeptisch.

    • Portrait Pascal.Sigg.X
      am 21.05.2024 um 10:32 Uhr
      Permalink

      Ich stimme zu, der Titel war nicht besonders originell. Inhaltlich stimmt der Vergleich aber: Bei unwiderlegbarer Kritik auf Gegenangriff setzen, um bei der eigenen Basis keine Zweifel an der eigenen Position aufkommen zu lassen. Approval phishing, was auch immer das sein mag, ist da nicht einmal nötig.

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