Kommentar

kontertext: Vom Wetter reden – Spanien wählt

Beat Sterchi © Alexander Egger

Beat Sterchi /  Die Regionalwahlen haben stattgefunden, nationale folgen im Herbst. Dennoch wird in der Öffentlichkeit nicht sehr viel diskutiert.

Die anstehenden Probleme Spaniens sind zwar gross und bekannt, aber aus der Sicht des unbeteiligten Beobachters findet nur sehr beschränkt ein politischer Wettstreit der Ideen zu ihrer Lösung statt. Zumindest habe ich nicht den Eindruck, dass ausserhalb der Parteien gross um die Meinungsfindung gerungen wird. Unter Freunden und Bekannten wird kaum diskutiert, schon gar nicht gestritten.

Streiten tun nur die Politikerinnen und die Politiker. Die machen auch Wahlgeschenke als wäre Weihnachten und versprechen wie üblich das Blaue vom Himmel herunter. Der laut und heftig geführte Wahlkampf bestätigt aber vor allem, wie erschreckend schnell viele von diesen Damen und Herren gelernt haben, dass es auch ohne ein durchdachtes Programm geht. Gelernt haben sie dies natürlich von jenem Amerikaner, dessen Namen zu erwähnen man eigentlich zu vermeiden versucht.

Anstatt politisiert, wird polemisiert; anstatt argumentiert, wird diffamiert, und ja, es wird gelogen, was das Zeug hält. Man fragt sich als Zaungast dieses eigentlich grösstenteils unwürdigen Spektakels immer wieder, ob es zuhause, in der braven kleinen Schweiz, den Menschen eigentlich bewusst ist, dass sie allen Grund haben, zu der vorherrschenden, vergleichsweise zivilisierten politischen Kultur Sorge zu tragen. Das Gespräch oder gar den lösungsorientierten Austausch zwischen Rechts und Links gibt es in Spanien nicht mehr.

Auch wundert man sich wieder über gewisse Figuren, männlichen und weiblichen Geschlechts, denen man in den Zeitungen immer wieder begegnet, von denen man aber eigentlich lieber nichts wissen möchte.

Wie kann es bloss passieren, dass in einem Land, das unter einem nie gesehenen Anstieg der Temperaturen leidet, Männer und Frauen in ihren Parteien zu Einfluss und zu Ämtern kommen und jetzt bei den Wahlen im Rampenlicht stehen, die von einem menschlichen Einfluss auf den Klimawandel nichts wissen wollen?

Oder wie kann man so unehrlich sein und absichtlich übersehen, dass die – für sich betrachtet vielleicht fragwürdige – Abhängigkeit von separatistischen Parteien, in welche sich die Regierung begeben hat, das Land vor einer dramatischen Zuspitzung der Verfassungskrise bewahrt hat?

Oder wie kann man behaupten, Spanien habe kein Problem mit häuslicher Gewalt, wenn einen die Zahlen der erfassten Delikte schlicht erschaudern lassen?

Nichtsdestotrotz ist es angebracht, darauf zu verweisen, dass Spanien ein modernes und auch erfolgreiches Land geworden ist. Auch wenn meine Sicht als Teilzeit-Bewohner eines kleinen Dorfes mitten in dem sich entvölkernden ländlichen Spanien eingeschränkt ist, weiss ich doch, wie unglaublich schnell sich dieses Land gewandelt hat. Es wird noch immer gerne auf gewisse Klischees aus der Tourismuswerbung reduziert, aber unter der deklariert feministischen Regierung von Pedro Sanchez hat es sich seit den letzten Wahlen weiter zu einem urbanen, modernen europäischen Land entwickelt.

Auch wenn die oppositionellen Parteien das Gegenteil behaupten, haben Spanier und Spanierinnen heute mehrheitlich ein positives Verhältnis zu ihrem Land, und zwar zu Recht. Aus dem zurückgebliebenen Gastarbeiterland ist ein Einwanderungsland geworden. Die grossen Städte, wo noch vor nicht allzu langer Zeit an vielen Ecken der Mief der Diktatur hockte wie der Dreck unter den Fingernägeln, haben sich eigentlich unglaublich schnell, zu attraktiven kosmopolitischen Metropolen entwickelt. Es sind Städte, in welchen es Arbeitslosigkeit und auch eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit gibt, aber es sind lebensfrohe, bunte, für Mitteleuropäer vielleicht sogar vergleichsweise hedonistische Orte, in welchen man sich gerne aufhält. Allesamt haben sie sich gemacht, haben sich erneuert, sind begrünt und wohnlicher geworden, auch wird mancherorts der Privatverkehr reguliert, wie man das noch vor wenigen Jahren nie für möglich gehalten hätte. Der gestiegene Lebensstandard versteckt sich also nicht, er zeigt sich überall.

Und wenn sich heute junge Spanier und Spanierinnen trotzdem gezwungen sehen, auszuwandern, tun sie es unter völlig anderen Vorzeichen als ihre Eltern oder Grosseltern dies taten. Die junge Generation tut es, weil sie keine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit findet, aber von wirklichem Elend und von Ausbeutung sind heute nicht mehr sie, sondern vor allem die «neuen Gastarbeiter», die Migranten und Migrantinnen betroffen. Was deren Los betrifft, dürfte man bei den Wahlen wenig bis nichts hören.

Beim Problem der Trockenheit dagegen, die sich in diesem Frühjahr plötzlich zur Katastrophe entwickelte, wurde die Politik rundum, aber besonders die Opposition, auf dem falschen Fuss erwischt. Auch der fragwürdige und respektlose Umgang mit den Gewässern und den Wasserreserven allgemein scheint kein Thema zu sein, dazu hat fast niemand etwas zu sagen und man staunt, wie dürftig gerüstet vor allem die Konservativen diesen Problemen gegenüberstehen.

Rechts der Mitte hatte man sich offensichtlich darauf eingestellt, die Wahlen hauptsächlich mit der persönlichen Diskreditierung des Präsidenten und populistischen Angriffen auf umstrittene Ministerinnen zu führen; nun sollte man plötzlich ein Programm vorweisen können, das Lösungen für die nahe und ferne Zukunft präsentiert. Denn der Meeresspiegel steigt, der Grundwasserspiegel sinkt und die landwirtschaftlichen Produktionsmethoden, die sich für den mitteleuropäischen Markt etabliert haben, entpuppen sich, wie seit Jahren vorausgesagt, als wenig nachhaltig.

Lange ist es her, dass man sich etwas darauf einbilden konnte, von Wichtigerem zu reden als vom Wetter. «Alle reden vom Wetter. Wir nicht!» Das stand in grossen Buchstaben auf einem bekannten Achtundsechzigerplakat. In Spanien geht es nun wirklich nicht mehr anders. Noch nie war es im April so heiss gewesen wie in diesem Jahr, noch nie haben die Wälder so früh zu brennen angefangen.

In meinem Dorf auf der andern Seite des Ebro, in welchem ich auch in diesem Jahr einen Gemüsegarten mit einem Kartoffelacker angelegt habe, erfahre ich die Dürre buchstäblich am eigenen Leib. Ich komme ins Schwitzen, denn das Wasser ist so knapp geworden, dass das noch auf arabische Zeiten zurückgehende Bewässerungssystem nicht mehr funktioniert wie es sollte und ich mit dem Eimer nachhelfen muss. Noch scheint die Trinkwasserversorgung gewährleistet zu sein, ob das auch im Hochsommer so sein, wird, wenn sich das Dorf mit Feriengästen füllt, steht in den Sternen. Das heisst, man hat allen Grund auf ausgiebige Niederschläge zu hoffen.

Vielerorts herrschen auch schon weit dramatischere Zustände. In Kastilien gibt es Dörfer, in welchen es seit einem halben Jahr nicht mehr geregnet hat und wo die Ernte, wie auch sonst fast überall, hoffnungslos verloren ist. Und natürlich gibt es Streitereien um illegale Brunnen, und natürlich lässt es sich auch nicht mehr verheimlichen, dass die Behörden das Problem zu lange auf die leichte Schulter genommen haben und dass viel zu viel Wasser verschwendet wird, versickert oder wegen lecker Leitungen verloren geht.

Gerne erzählt man sich auch wieder die Anekdote von dem Politiker, der bei einer Wahlveranstaltung einem Dorf eine neue Brücke versprochen haben soll. Als man ihn darauf aufmerksam machte, dass das Dorf keinen Fluss habe, der überbrückt werden müsste, versprach der Politiker, auch für einen Fluss zu sorgen.

Würde mich nicht wundern, wenn gerade jetzt jemand der Wählerschaft vielleicht nicht einen Fluss, aber doch baldigen Regen versprechen würde.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Beat Sterchi ist freier Autor. Vor «Capricho» (Diogenes 2021) veröffentlichte er die Reisereportage «Going to Pristina» (essais agités 2018) und den Lyrikband «Aber gibt es keins» (Der gesunde Menschenversand, 2018). www.beatsterchi.ch

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.

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3 Meinungen

  • am 29.05.2023 um 18:59 Uhr
    Permalink

    Der Slogan «Alle reden vom Wetter – wir nicht» war von der Deutschen Bundesbahn, und wurde weit nach 1968 als Werbung lanciert.
    Schwere Verfehlungen in der spanischen Agrarpolitik können sowohl Brüssel als auch den hiesigen Politikern angelastet werden. Das Thema ist stachelig, in einem Artikel sollte es mit mehr Kenntnis analysiert werden.
    Ich lebe seit 31 Jahren in Nordspanien.

  • am 30.05.2023 um 08:25 Uhr
    Permalink

    Nach dem Lesen dieser spanischen Rundsicht aus der Vogelperspektive eines offenbar an den Gestaden des Ebro (oben oder unten?) lebenden Extranjeros bin ich ziemlich verwirrt. Ja, dieser Artikel kommt mir ziemlich spanisch vor.
    Nach 22 Jahren als Ausländer mit beiden Füssen auf Boden des Landes Valencia stehend habe ich da eine ziemlich radikale Meinung zumindest über Valencia entwickelt. Die Aussenwahrnehmung, vor allem im europäischen Norden, ist ja sehr positiv, Spanien ist der Musterknabe der EU. In meiner Innenwahrnehmung, zumindest der Generalitat Valenciana, habe ich sehr negative Gefühle und Eindrücke. Polizeistaat, Korruption, der Geist von Franco in vielen Kasernen der Guardia Civil, die Hackordnung, die brutale Ausübung der Macht des Stärkeren über den Schwächeren.
    Anfangs versuchte ich, diese Verhältnisse auf die «noch junge Demokratie» zurückzuführen. Das gelang mit zusehends nicht mehr. Heute sage ich: Die Geschichte von Spanien ist das System.
    Valencia, nein danke.

    • Portrait_Josef_Hunkeler
      am 30.05.2023 um 21:42 Uhr
      Permalink

      Meine Mutter sprach schon in den 60er Jahren von den vielen «rio seco» Erfahrungen, und das nicht nur im Süden Spaniens.

      Ich war in dieser Hinsicht wohl etwas toleranter, v.a. in der Erfahrung Nordafrikas, welches ich damals per Autostop kennengelernt hatte. Die Natur ist nicht auf Abruf zur Stelle. Manchmal sollten die Leute auch etwas zur konkreten Entwicklung beitragen.

      Aber schon die «alten» Römer haben die Zedern des Libanons für ihre Marine abgeholzt und die Kolonialwirtschaft hat sich kaum je um die Erhaltung natürlicher Ressourcen gekümmert.

      Meine Erfahrungen am Äquator haben mich eher positiv gestimmt. Die institutionellen Vorgaben des «Wertewestens» konnten aber diesem Potential nicht gerecht werden. Lokale Interessenwahrnehmung entsprach offensichtlich nicht den Interessen der internationalen Entscheidträger.

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