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Die EU gab grünes Licht für die breite Anwendung automatisierter Gesichtserkennung. © Tumisu/Pixabay

Das Nummernschild im Gesicht kommt

Markus Reuter /  Die KI-Verordnung der EU wird automatische Gesichtserkennung europaweit etablieren. Das ist schlecht für die Demokratie.

psi. Dieser Gastkommentar wurde von netzpolitik.org produziert. Infosperber publiziert ihn im Rahmen der Creative Commons-Lizenz BY-NC-SA 4.0 von netzpolitik.org.

Automatische Gesichtserkennung ist im Prinzip so, als würden wir alle ein gut erkennbares Nummernschild im Gesicht tragen. Ob wir einkaufen, in einen Zug steigen oder auf eine Demonstration gehen – ist die biometrische Technik einmal ausgerollt, sind wir überall über unsere Körperdaten erkennbar und mit Klarnamen unterwegs. Dieser düsteren Dystopie einer Zukunft ohne jegliche Anonymität im öffentlichen Raum sind wir mit der Einigung bei der europäischen KI-Verordnung einen gewaltigen Schritt näher gekommen.

Auch wenn noch schlimmere Forderungen abgewehrt wurden, gibt es nichts zu feiern: Das neue Regulierungswerk erlaubt es Staaten prinzipiell, zur Abwehr eines Terroranschlages oder in bestimmten Fällen zur Suche von vermissten Menschen und Tatverdächtigen Überwachungsvideos in Echtzeit mit Gesichtsdatenbanken abzugleichen. In Echtzeit können mit dieser Technik alle Menschen gesucht, gescannt und identifiziert werden, von denen der Staat die Aufnahme von einer Überwachungskamera und ein hinterlegtes biometrisches Foto hat.

Die Gesichtsdatenbanken sind bereits da

Die biometrischen Gesichtsdatenbanken haben die meisten europäischen Staaten im Rahmen von Reisepass- oder Einreisegesetzen bereits seit Jahren angelegt und aufgefüllt. Die Bilder sind vorhanden und ihre automatisierte Nutzung haben in Deutschland vergangene Bundesregierungen immer weiter vorangetrieben. Von hier aus ist die Nutzung für die Gesichtserkennung auch ausserhalb von Flughäfen und Passkontrollen nur noch ein kleiner Schritt.

Manche Kritiker der KI-Verordnung sagen, dass die Echtzeit-Überwachung ja strenge Kriterien habe. Doch das ist Augenwischerei: Das Gesetzeswerk erlaubt auch eine Hinterher-Gesichtserkennung mit deutlich weniger Einschränkungen – nämlich für die Suche nach Tatverdächtigen von „schweren Straftaten“ nach Richterbeschluss. Die Liste dieser Straftaten ist lang und wie wenig ein Richtervorbehalt wert ist, weiss jeder Bürgerrechtler. Und was „Hinterher“ im Vergleich zu „Echtzeit“ eigentlich bedeutet, ist auch nicht klar. Die Grenzen werden verschwimmen. Erfahrungen mit anderen Überwachungstechniken wie der Vorratsdatenspeicherung zeigen, dass am Anfang immer von Terror und schweren Straftaten die Rede war, am Ende die Überwachung aber auch für den kleinen Gras-Dealer und sogar dessen Kund:innen eingesetzt wird.

Die KI-Verordnung ist das Einfallstor

Klar ist auf jeden Fall, dass die KI-Verordnung das grosse Einfallstor ist, um die automatisierte Gesichtserkennung flächendeckend zu etablieren. Es gibt nun eine europaweite Rechtsgrundlage, um diese Technologie überall einzusetzen. Denn das Gesetz erlaubt das ja jetzt für bestimmte Fälle. Polizeien und Geheimdienste werden die gesetzlichen Möglichkeiten wie immer bis an den Rand der Unkenntlichkeit dehnen und per Salamitaktik versuchen, den Einsatz weiter zu normalisieren, während sie bei jeder Gelegenheit nach noch mehr „intelligenter Technik“ schreien.

Es droht eine Zukunft, in der niemand mehr im Park sitzen oder sich durch die Stadt bewegen kann – ohne Gefahr zu laufen, dass Gesichtsbiometrie oder andere biometrische Daten permanent gerastert und abgeglichen werden. Das Gefühl, dass wir permanent beobachtet werden, wirkt sich auch auf andere sensible Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit aus. Die Technik wird Menschen Angst machen, gegen Regierungen zu protestieren, wenn klar ist, dass es theoretisch technisch möglich ist, per Knopfdruck Teilnehmer:innen-Listen solcher Proteste zu erstellen.

Das Ende der Anonymität im öffentlichen Raum ist ein herber Schlag für Europas angeknackste Demokratien, die zudem von autoritären und rechtsradikalen Parteien massiv unter Druck stehen. Letztere werden sich freuen, diese neuen Befugnisse gegen alles einzusetzen, was nicht bei drei den rechten Arm oder ähnliches hebt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Markus Reuter ist Redaktor beim paywall-losen, leserfinanzierten und werbefreien Tech-Journalimus-Projekt netzpolitik.org. Derzeit läuft die jährliche Spendenkampagne.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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10 Meinungen

  • am 27.12.2023 um 11:43 Uhr
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    Da ist das Recht gefordert. Noch bis vor kurzem galt ein Videobild nicht als Beweismittel bei der Personenidentifikation, es brauchte die Auflösung der Silberfotografie. An die Beweiskraft diese «Nummernschildes» sind höchste Anforderungen zu stellen. Wir sind ja nicht in der EU! Wer ist der Autor des «Nummernschildes», KI wird nicht akzeptiert. KI ist keine Rechtsinstanz!

  • am 27.12.2023 um 11:57 Uhr
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    Vielen Dank für diesen Artikel. Ich teile Ihr Besorgnis zu 100%, ich bin aber der Meinung dass die europäischen Demokratien nicht etwa von ¨rechtsradikale¨ autoritären Parteien unter Druck stehen, sondern von linksradikalen sozialistischen Regierungen – wie uns die letzten vier Jahren gezeigt haben. Es sind diese linken Regierungen, die unserer Grundrechte verletzt haben, ihre sozialistische Ideologien aufdrängen (Klima-Massnahmen, Corona-Massnahmen), die uns auch bereits die Überwachung mit QR-Code aufgedrängt haben, die uns halt kontrollieren wollen. Es sind die linke Parteien, die unseren Rechten und Freiheiten bedrohen, nicht die rechte!

    • am 27.12.2023 um 23:54 Uhr
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      Ob linke oder rechte Regierung; Macht korrumpiert, und solch potente Technologien wie KI und Videoüberwachung werden eingesetzt und auch missbraucht, wer auch immer an der Macht ist. Klar wollen linke eher bevormunden, während rechte die Gewaltenteilung untergraben. Deshalb braucht es höchste Wachsamkeit, und eine klare Beschränkung für den Einsatz missbrauchsträchtiger Technologien.

    • am 28.12.2023 um 21:36 Uhr
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      Exakt Ihrer Meinung, Herr Schoon. Es befremdet mich, wie Herr Reuter hier Stimmung gegen die Gefahr von «rechts» macht. Es sind die Kollektivisten (nationale und internationale Sozialisten, grün, rot, braun), welche den Staat als Heilsbringer sehen und ihm alle Macht zuschanzen und jegliche Form von individueller Freiheit zu unterdrücken versuchen. Das Individuum ist im Kollektivismus nichts wert. Die KI-Üverwachung wird von linken, woken Kreisen vorangetrieben.

      • am 29.12.2023 um 13:25 Uhr
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        Ich möchte daran erinnern, dass in Ländern, die von rechts regiert werden, in der Coronazeit drakonische Kontrollmassnahmen herrschten, z. B. Ungarn.

  • am 27.12.2023 um 13:35 Uhr
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    Wer macht solche Gesetze?
    Wie kann man sich wehren?

  • am 27.12.2023 um 15:47 Uhr
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    Zum Glück darf man jetzt auch am Post- und Bankschalter Maske tragen – Satyre aus

    • am 29.12.2023 um 00:27 Uhr
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      Raffinierte Gesichtserkennungsprogramme können Gesichter auch mit Maske erkennen. Man sollte einen Motorradhelm tragen.

      • am 29.12.2023 um 13:37 Uhr
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        Gesichtserkennung ist eigentlich schon überholt. Optisch ist die Gang-Analyse weit überlegen, weil sie kaum zu täuschen ist, ausser man ergibt sich dem Silly Walking nach Monty Python… Und akustisch gilt das gleiche für den Stimmabdruck, den schon bald jeder Kundendienst von uns hat; Stimme verstellen oder flüstern nützt da gar nichts mehr.

  • am 29.12.2023 um 11:11 Uhr
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    Unheimlicher «Fortschritt›, wobei das mit der GE Gesichtserkennung ja schon länger läuft, wie auch beschrieben durch moderne Pässe etc.. Aehnlich unheimlich finde ich die Erfassung der Iris, zb beim Eröffnen eines walets und Aehnlichem (Letzteres habe/ mache ich nicht; ist ja ((noch) freiwillig)
    Doch jedes Mal, wenn ich zb Geld aus dem Automaten hole, hats ja auch von allen Seiten Kameras und das Gesicht wird ausgeleuchtet (erfasst?) Seit längerem schon….
    Da trauert man ja fast schon der ‹Maskerade nach… ((Zwinker!
    Gewisse Entwicklungen ausbremsen, wo immer es geht, ist wichtig. Eine weitere Möglichkeit ist, ‹auf die Angst zuzugehn› UND ZWAR; ‹auf die Angst der Anderen›;
    das bedeutet, dass man zu seiner Meinung/ Haltung/ Handlungen grundsätzlich steht und ‹unmaskiert› durchs Leben geht.

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