«Es zählt, wie wichtig die Geschichte für die Menschen ist»
Edward Snowden schaut die Journalisten in einem Hotelzimmer in Moskau im Juni 2018 fragend an und sagt: «Diese liberalen, offenen Gesellschaften, die wir geerbt haben, sind nicht garantiert. Sie existieren nur dank der kollektiven Bemühungen vieler Menschen. Uns stehen dunklere Zeiten bevor. Ich glaube, das sehen und fühlen wir alle. Die Dinge verändern sich.»
Zwei der drei Journalisten im Raum sind Frederik Obermaier und Bastian Obermayer. Damals waren sie als Investigativ-Reporter der «Süddeutschen Zeitung» unterwegs. Heute führen die beiden gemeinsam ein Recherche-Büro.
Die Szene mit Edward Snowden zeigt der Film «Hinter den Schlagzeilen». Dafür begleitete Dokfilmer Daniel Sager die beiden Journalisten in den Jahren 2017 bis 2019. Der Film ist noch bis 2. August in der SRF-Mediathek zu sehen.
Der Film zeigt, wie anspruchsvoll die Arbeit von Investigativ-Journalisten ist – und wie international. So beleuchtet er die unterschiedlichen Auswirkungen der Panama-Papers-Recherche, welche durch die beiden deutschen Investigativ-Journalisten angestossen wurde. Während der Dreharbeiten wird die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet. Galizia arbeitete im Rahmen der Recherche mit den beiden zusammen. Bastian Obermayer reist deshalb nach Malta, um bei der Aufklärung der Tat mitzuhelfen. Wenige Monate später, im Februar 2018, wird ein weiterer Journalist ermordet, der an den Panama-Papers mitarbeitete: der Slowake Ján Kuciak.
Nähe gegen Vertrauensverlust
Die Herabstufung von Journalisten als Lügner, auch in Deutschland, mache ihm Sorgen, so Obermayer im Film. «Man kommt da ganz schnell in Sphären, in die wir nicht wollen. Und in denen andere Länder schon sind.»
Jeder Journalist weiss: Transparenz dient als Mittel gegen den Vertrauensverlust. Dies kann erklären, weshalb die Reporter den Filmer Sager ganz nah ranlassen.
Die Einblicke, die Sager erhält, sind denn auch bemerkenswert. So begleitet er die Journalisten bei den Arbeiten rund um die sogenannte Ibiza-Affäre, welche zum Rücktritt des damaligen österreichischen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache führte. Zusammen mit einem Parteikollegen hatte der FPÖ-Politiker vor den Nationalratswahlen 2017 auf Ibiza eine vermeintliche Nichte eines russischen Oligarchen getroffen. Diese bot ihm unter anderem an, die Kronen-Zeitung zu kaufen und auf FPÖ-Kurs zu trimmen. Im Rahmen des gefilmten Treffens nahm Strache das Angebot an.
Was tun mit anonym zugespielten Videos?
Besonders interessant ist, wie die Journalisten mit dem Videomaterial umgehen. Es ist nämlich sehr heikel, handelte es sich bei der russischen Nichte doch um einen Lockvogel – und wer hinter den Aufnahmen steckt, bleibt unklar. Auch deshalb fragt Obermayer anlässlich eines Treffens mit Kollegen des «Spiegel»: «Kann es sein, dass uns jemand eine Falle stellt, hier?»
Es steht viel auf dem Spiel. Dies zeigt auch ein Treffen mit einem Anwalt, in dem die Journalisten diskutieren, inwiefern das öffentliche Interesse an dem Videomaterial dessen klandestine Herstellung übertrifft. Drei Jahre Haft könnten drohen. Die Entscheidung, das Treffen öffentlich zu machen, fällt ihnen nicht leicht.
Konfrontieren, präzisieren, publizieren
Sehenswert ist deshalb insbesondere, wie die Journalisten Strache und seinen Kollegen vorwarnen und mit ihren Recherchen konfrontieren. Wie werden sie reagieren? Sagers Kamera ist im Raum, als die Journalisten ihre Fragen abschicken, als Straches Mediensprecher anruft, und als die schriftlichen Antworten eintreffen.
Dabei wird klar: Strache und Co. wollen auch insbesondere rausfinden, was die Journalisten wissen und auch beweisen können. Dieser Austausch ist sehr wichtig, denn er zwingt die Journalisten zu präziser Arbeit. Obermeier sagt denn auch vor der Publikation: «Was wir hier recherchieren und zu veröffentlichen planen kann das Leben von den Leuten schon verändern. Und da will man sich natürlich hundert Prozent sicher sein. Da gibts immer noch was, was man nachschauen oder überprüfen will.»
Dazu gehört auch eine umfangreiche Prüfung eines Video-Forensikers, der bestätigt, dass es sich beim zugespielten Video-Material nicht um eine Fälschung handelt.
Die Veröffentlichung des Materials führte darauf zum Rücktritt Straches und einem Misstrauensvotum gegen den damaligen Kanzler Sebastian Kurz. Strache reichte später eine Strafanzeige gegen die Journalisten ein. Diese wurde jedoch abgewiesen, weil das öffentliche Interesse überwiege. Als Macher des Videos wurde später der österreichische Privatdetektiv Julian Hessenthaler identifiziert.
Schweizer Angriff auf den Quellenschutz
Und doch spüren die beiden Journalisten die dunkleren Zeiten, welche Snowden meinte, auch selber. Derzeit müssen sie nämlich einen Bogen um die Schweiz machen. Unter anderem weil sie dank Material eines Whistleblowers über Credit-Suisse-Kunden oder jüngst die Bank Reyl berichteten.
«Wenn Journalisten Daten aus einer Bankgeheimnisverletzung veröffentlichen, gehen sie heute ein grosses Risiko ein, dass eine Staatsanwaltschaft gegen sie Ermittlungen aufnehmen wird», sagt David Zollinger, Strafrechtsexperte und ein langjähriges Mitglied in der Aufsicht der Bundesanwaltschaft gegenüber dem Tages-Anzeiger. «Dabei spielt es keine Rolle, wer die Kunden sind, ob die Kunden im Umfeld von Autokraten sind oder ob ein Alt-Bundesrat im Verwaltungsrat der Bank sass.»
Eine Festnahme sei zwar nicht wahrscheinlich. Dass Journalisten einvernommen werden könnten, jedoch sehr wohl. Frederik Obermaier sagte dazu dem Tages-Anzeiger: «Genau dieses Risiko möchte ich gar nicht erst eingehen. Der Quellenschutz ist mir heilig», sagt Obermaier. «Ich will nicht, dass eine Quelle fälschlicherweise den Eindruck gewinnt, ich würde mit Behörden über sie sprechen.»
Sein Kollege Bastian Obermayer sagt zu Beginn des Films: «Es gibt viele Whistleblower, die aus niedrigen Motiven gearbeitet haben. Aber es zählt, wie wichtig die Geschichte für die Menschen ist. Wenn die Geschichte am Ende wichtiger ist als das Drumherum, muss man sie machen.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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