Parade 1. August in Vevey 2019 ppohudka

Traditionelle Parade am 1. August in Vevey (2019) © ppohudka/depositphotos

Eine ökologische Bundesverfassung als Inspiration zum 1. August

upg. /  Vor fast 30 Jahren entwarf Ökologe Beat von Scarpatetti eine zukunftsgerichtete Utopie. Jetzt schrieb Marcel Hänggi eine neue.

upgMarcel Hänggi ist Journalist und Buchautor. Bis 2024 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Gletscherinitiative respektive für das Klimaschutzgesetz als Gegenvorschlag tätig. In seinem neusten Buch macht Hänggi «Vorschläge für eine ökologische Bundesverfassung». Im Folgenden einige seiner allgemein gehaltenen Vorschläge. Die Artikel beziehen sich auf diejenigen der geltenden Bundesverfassung.
Im Kasten am Schluss die Utopie einer Bundesverfassung von Beat von Scarpatetti aus dem Jahr 1998.


Vorschläge von Marcel Hänggi

Bundesverfassung Art. 6 (Individuelle und gesellschaftliche Verantwortung)
Jede Person nimmt Verantwortung für sich selbst, ihre Umwelt und künftige Generationen wahr.
Das Recht auf Leben und persönliche Freiheit soll die Freiheit künftiger Generationen berücksichtigen.

Art. 26 (Eigentumsgarantie)
Das Eigentum verpflichtet gegenüber Mitmenschen und Umwelt.
Zu prüfen: Auch nichtmenschliche natürliche Entitäten sollen Grundrechte erhalten.

Art. 54 (Auswärtige Angelegenheiten)
Die Schweiz anerkennt die Verantwortung für die Wirkungen ihres Handelns ausserhalb des eigenen Territoriums.

Art 73 (Nachhaltigkeit)
Bund und Kantone befriedigen die Grundbedürfnisse der heutigen Generation auf eine Weise, welche die Chancen künftiger Generationen nicht schmälert, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.

Art. 74 (Umweltschutz)
Das Verursacherprinzip ist konsequent anzuwenden, wo es anwendbar ist.
Ab spätestens 2050 sorgt der Bund dafür, dass der Atmosphäre mehr Treibhausgase dauerhaft entzogen als emittiert werden.

Art. 75 (Raumplanung)
Die Raumplanungspolitik bezweckt eine gute Durchmischung, kurze Wege und hohe Erreichbarkeit, namentlich auch für Menschen mit Beeinträchtigungen, Kinder und alte Menschen.

Art. 87 (Eisenbahnen und andere Verkehrsträger)
Die Kapazitäten von Flughäfen und Flugplätzen werden nicht erhöht.
Die Kapazitäten der Eisenbahnen werden nur insoweit erhöht, als die Kapazitäten der Strasse im entsprechenden Umfang reduziert werden.

Art. 89 (Energiepolitik)
Bund und Kanton gewährleisten die Grundversorgung.

Art. 104a (Ernährungssicherheit)
Der Bund stärkt kleinbäuerliche Strukturen und den lokalen Konsum landwirtschaftlicher Produkte.

Art. 111ff (Sozialversicherungen)
Die Sozialversicherungen sind so auszugestalten, dass sie unabhängig vom Wirtschaftswachstum funktionieren.

Art. 131 (Besondere Verbrauchssteuern)
Auf den Verbrauch natürlicher Ressourcen kann der Bund eine progressive Verbrauchssteuer erheben. Der für ein würdiges Leben benötigte Verbrauch ist abgabefrei.

Art. 135 (Finanz und Lastenausgleich)
Subventionen, die sich auf die Umwelt potenziell negativ auswirken, sind nur ausnahmsweise zuzulassen und bedürfen im Parlament eines qualifizierten Mehrs.

Art. 190 (Massgebendes Recht)
Das Bundesgericht soll Gesetze nicht mehr als massgebend akzeptieren müssen, sondern sie auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen können.


Die Utopie einer Bundesverfassung des Historikers Beat von Scarpatetti*

upgDie «Helvetische ökologische Verfassung» aus dem Jahre 1998 räumt auf mit dem Nationalstaat, stellt ökologische Nachhaltigkeit ins Zentrum, bindet Eigentum an Gemeinwohlpflichten und fordert Rechte nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere, Pflanzen sowie Lebensgemeinschaften. Adolf Muschg schrieb in seinem Nachwort: «Immerhin verlangt das Büchlein nicht nur als Schönschrift, sondern auch als Letzte Mahnung gelesen zu werden.»

1. Der Planet Erde ist ein und unteilbar. Für das Leben und Überleben gibt es keine Grenzen mehr. Die Einheit der Biosphäre ist das Vaterland. Sie hebt die alten nationalen Trennungen und die Ungleichheiten im Verhalten auf.

2. Die Universalität aller Lebewesen bildet den Souverän. Der Mensch ist ihr zugehörig. Er hat keinen Eigentumsanspruch auf die Natur und kein Recht, sich abzusondern und eine absolute Herrschaft zu fordern.

3. Alle Menschen, Tiere und Pflanzen, Lebensgemeinschaften und Landschaften haben ihre eigenen Rechte.

5. Die Freiheit jedes Menschen ist unveräusserlich, aber nicht schrankenlos. Der gemeinsame Vorteil einer unversehrten ökologischen Ganzheit geht der absoluten Freiheit vor. Der Allgemeinnutzen besteht in einer Ökobilanz jedes Einzelnen, die mit den Ressourcen der Erde übereinstimmt.

6. Eine neue ökologische Verantwortung obliegt den Weltreligionen. Diese haben ihre Lehren mit den ökologischen Realitäten, mit den Wertordnungen der Natur zu harmonisieren, vor allem in der Sexualität. Die Souveränität der Frau muss umfassend sein.

7. Die grosse Freiheit der heutigen Medien soll sich neu rechtfertigen durch eine vorrangige Aufklärung aller Menschen über die Bedingungen für unser ökologisches Überleben.

8. Es gibt kein Erbrecht auf Macht, Rang und Ehrenstellung.

9. Es gibt für die reichen Nationen kein ererbtes oder ersessenes Recht auf einen Konsum auf Kosten ärmerer Völker und späterer Generationen. Die stolze Arroganz gegenüber bescheideneren Ländern und Kulturen, die weniger Ressourcen verbrauchen, führt zu Unterdrückung, Terror und Krieg.
Die elementaren Lebensbedürfnisse sollen durch eine Wirtschaft gedeckt werden, die sich nach den Prinzipien der geographischen Nähe, der Selbstversorgung, des gerechten Handels und einer massvollen Arbeitsteilung richtet.

10. Das Privateigentum ist neu zu bewerten gemäss dem ökologischen Gemeinnutzen. 

11. Alle Berufe und Industrien sollen einer ökologischen Konversion zugeführt werden. Nachhaltiges Produzieren in vernünftigem geographischem Rahmen ist zu privilegieren. Insbesondere der Rüstungsindustrie sind neue Aufgaben aufzuerlegen, die weltweit dem Verschleiss, der Bodenzerstörung, den Knappheiten und dem Krieg vorbeugen.

12. Ein ökologisches Steuersystem garantiert allen nachhaltigen Tätigkeiten fiskalische und wirtschaftliche Vorteile. Die Kriterien sind Bescheidenheit des Verbrauchs, sozialer Nutzen und langfristige Naturverträglichkeit aller Tätigkeiten und jeder Nutzung des Vermögens.

13. Die öffentlichen Dienste und Gemeinschaftswerke sollen der demokratischen Kontrolle unterstehen, nicht käuflich gemacht und nicht privatisiert werden.

14. Insbesondere der Besitz von Wald und Agrarland soll der Erhaltung unserer Lebensquellen anheimgestellt sein. Die Erde darf nicht mit dem Servitut einer irreversiblen Schadstoffeinbringung belastet werden.

15. Die Heimat jedes Menschen, jedes Tieres und aller Pflanzen sind eine wohltuende Umwelt und ein günstiger Lebensraum.

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*Von Scarpatetti hat den Verfassungsvorschlag von Peter Ochs aus dem Jahr 1798 für eine herlevtische Republik als Modell genommen. Das erklärt die etwas feierliche und antiquierte Sprache. Hier die helvetische Verfassung von 1798.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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