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Während Jahrzehnten erhielten Pensionierte eine AHV-Rente, obwohl sie nie oder nur kurz AHV-Beiträge entrichtet hatten. Bezahlt haben die Renten die Boomer. Gemurrt haben sie nie. © SRF

Die Boomer – lauter Egoisten! Oder doch nicht?

Marco Diener /  Ob AHV-Rente oder Eigenmietwert– Journalisten beschimpfen die Abstimmungssieger als Egoisten. Aber sie könnten sich täuschen.

Es begann vor gut anderthalb Jahren – als sich langsam abzeichnete, dass das Volk die 13. AHV-Rente annehmen könnte:

  • Der damalige Chefredaktor der «Berner Zeitung», Simon Bärtschi, schrieb: «Eine 13. Rente für Pensionierte zulasten der Jüngeren wäre unanständig.»
  • Die «Tages-Anzeiger»-Chefredaktorin Raphaela Birrer forderte: «Eine andere Denkhaltung in Politik und Gesellschaft: weg von Ideologie und egoistischer Perspektive.»
  • Später stellte «NZZ»-Wirtschaftsredaktor Hansueli Schöchli fest: «Die Bürger sind tendenziell linker, etatistischer und egoistischer geworden.»

«Die Schweiz wird zum ‹Ego-Land›»

Und nun, nach der Abstimmung zur Abschaffung des Eigenmietwerts geht es von neuem los:

  • Noch am Abstimmungssonntag sagte die Politologin Cloé Jans gegenüber «20 Minuten»: «Immer wieder zeigen Abstimmungen, dass wir uns nach dem eigenen Portemonnaie richten. Das war bei der 13. AHV so, und es gab auch beim Eigenmietwert den Ausschlag.»
  • Noch deutlicher wurde «Watson». Unter dem Titel «Die Schweiz wird zum ‹Ego-Land›» schrieb das Online-Magazin: «Die Schweiz stimmt immer egoistischer ab.» «Das Stimmvolk schaut bei Abstimmungen auf den eigenen Vorteil.» Und: Die Politik habe «den Trend zur Ego-Gesellschaft verpennt».
  • Die «Berner Zeitung» ihrerseits warf die rhetorische Frage auf: «Stimmt es, dass die älteren Generationen zunehmend eigennützig abstimmen?» Und antwortete gleich selber: «Die jüngsten Abstimmungsergebnisse erwecken den Eindruck, als würde sich eine Gratismentalität ausbreiten.»

Ob die Besteuerung des Eigenmietwerts sinnvoll ist – diese Frage schien nur am Rande zu interessieren.

«Wer profitiert?»

Der Egoismus-Vorwurf ist verlogen. Denn in ihren Abstimmungs-Vorschauen haben viele Medien das eigennützige Denken geradezu propagiert:

  • Allen voran der «Tages-Anzeiger» mit dem Titel: «In fünf Klicks wissen Sie, was die Abschaffung des Eigenmietwerts für Sie heisst.»
  • Aber auch die «NZZ»: «Wer gewinnt, wer verliert?»
  • Ganz ähnlich SRF: «Wer profitiert, wer verliert.»
  • Und auch «Watson» hatte zwei Wochen vor dem «Ego-Land»-und-«Ego-Gesellschaft»-Artikel darüber geschrieben, «wer von der Abschaffung des Eigenmietwerts wirklich profitiert».

Auch ohne egoistische Hintergedanken

Der Egoismus-Vorwurf ist nicht nur verlogen – er ist auch falsch. Denn bei der Abstimmung ging es ja nicht nur um die Abschaffung des Eigenmietwerts, sondern auch um die Abschaffung der Schuldzinsabzüge und der Unterhaltsabzüge. Haus- und Wohnungsbesitzer mit hoher Hypothek und mit grossem Unterhaltsaufwand profitieren nicht von der Abschaffung des Eigenmietwerts – erst recht nicht, wenn die Hypothekarzinsen steigen sollten. Dann müssten sie mehr Steuern zahlen.

Manch ein Haus- oder Wohnungsbesitzer dürfte ganz ohne egoistische Hintergedanken für die Abschaffung des Eigenmietwerts gestimmt haben. Zum Beispiel weil die ganze Bürokratie mit Eigenmietwert, Schuldzins- und Unterhaltsabzügen ein Unsinn ist. Oder weil das heutige Steuersystem mit seinen Anreizen zum Schuldenmachen eine Gefahr ist. Vielleicht haben gerade die Boomer daran gedacht, weil sie die Immobilienkrise von Anfang der neunziger Jahre noch nicht vergessen haben.

Von der 13. AHV-Rente profitieren alle

Auch das Ja zur 13. AHV-Rente dürfte weniger mit Egoismus als viel mehr mit der Krise der 2. Säule zu tun haben. Der Umwandlungssatz der Pensionskassen betrug einst 7,2 Prozent. Wer ein Alterskapital von 500’000 Franken ansparte, rechnete damit, dereinst eine Rente von 36’000 Franken pro Jahr zu erhalten. Doch heute wenden viele Pensionskassen einen Umwandlungssatz von um die 5 Prozent an. Die Rente beträgt somit noch 25’000 Franken pro Jahr. Angesichts der Erosion der Renten aus der 2. Säule ist eine Stärkung der Renten aus der 1. Säule also durchaus sinnvoll.

Das Ja zur 13. AHV-Rente ist auch deshalb nicht egoistisch, weil sie nicht nur den Boomern zugutekommt. Alle bisherigen Rentner werden davon profitieren. Und auch alle neuen. Selbst jene, die erst in ein paar Jahrzehnten in Rente gehen werden. Denn aller Schwarzmalereien zum Trotz: Die AHV ist grundsolide finanziert.

Und noch etwas zum Egoismus-Vorwurf. AHV-Renten gibt es seit 1948. Anfangs gingen Leute in Pension – und erhielten natürlich eine AHV-Rente –, die nie Beiträge in die AHV eingezahlt hatten. Und noch bis 1992 wurden Leute pensioniert, die nur während einem Teil ihres Erwerbslebens AHV-Beiträge bezahlt hatten. Bezahlt wurden die Renten von den vielgescholtenen Boomern. Haben sie sich deswegen jemals beklagt?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine, aber der Autor gehört dem drittgrössten Jahrgang an, den es in der Schweiz je gegeben hat. Er ist ein Boomer.
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Die Zukunft der AHV und IV

Die Bundesverfassung schreibt vor, dass die AHV- und IV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken müssen.

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