Die Anerkennung Palästinas ist eine kaum überbietbare Heuchelei

Grossbritannien, Frankreich, Belgien, Portugal, Kanada und Australien haben Palästina soeben als Staat anerkannt oder angekündigt, dies im Rahmen der bevorstehenden UN-Generalversammlung zu tun.
Die gleichen Staaten haben jahrelang zugeschaut, wie Israel mit einer Besiedlungspolitik das Westjordanland zerstückelte und eine Zweistaatenlösung damit sabotierte: Reagiert hatten sie mit mahnenden Worten, aber mit keiner einzigen Tat. Keine Sanktionen, keine Zölle. Im Gegenteil: Sie verkauften Israel weiterhin Güter, die Israel auch für die Rüstung verwenden konnte.
Seit Monaten schauen diese westlichen Regierungen ebenfalls mit verschränkten Armen zu, wie Israel in Gaza ein Kriegsverbrechen nach dem anderen begeht: ethnische Vertreibung im grossen Stil, systematische Missachtung des humanitären Völkerrechts.
Netanyahus Rachefeldzug hat bereits über 60’000 Tote gefordert, doppelt so viele Schwerverletzte – darunter unzählige Kinder, Frauen und Alte. Über 80 Prozent aller Häuser in Schutt und Asche. Hunger, Seuchen, traumatisierte Generationen.
Keine Gefahr mehr für Israel
Die Hamas ist längst zerschlagen, eine reale Gefahr für Israel existiert nicht mehr. Doch Netanyahu will Gaza weiter dem Erdboden gleichmachen, seine rechtsextremen Minister träumen offen von der Vertreibung aller Palästinenser, damit Siedler den Küstenstreifen kolonisieren können.
Und Europa? Höchstens Kritik in Form von wohlklingenden Worthülsen. Wohlfeiles Gerede, um die eigene Bevölkerung zu beruhigen statt Taten. Kein Druck, keine Konsequenzen – jedenfalls keine nennenswerten.
Mitte September sagte Kommissionspräsidentin von der Leyen: «Die entsetzlichen Dinge, die sich täglich im Gazastreifen abspielen, müssen aufhören.» Und EU-Ratspräsident António Costa teilte mit, Europa könne die Massnahmen der israelischen Regierung in Gaza und im Westjordanland nicht akzeptieren, da sie «weit über das legitime Recht Israels auf Selbstverteidigung hinausgehen».
Wiederum folgenlose Worte, um Besorgte unter den eigenen Bevölkerungen zu besänftigen. Dann schlug von der Leyen der EU doch noch «folgenreiche Sanktionen» gegen Israel vor. Sie tat dies extrem spät und im Bewusstsein, dass sich die EU-Staaten – ausser dem Unterbruch bescheidener Hilfszahlungen – auf keine Sanktionen werden einigen können und es bei Worten bleiben wird.
Immerhin: Kanzler Friedrich Merz schränkte kürzlich deutsche Waffenlieferungen ein. Allerdings handelt es sich um höchstens die Hälfte der deutschen Waffenlieferungen an Israel (eine genaue Aufstellung der betroffenen Waffen veröffentlicht die Bundesregierung nicht). Israel bezieht rund ein Drittel seiner schweren Waffen ausgerechnet aus Deutschland. Den grossen Rest aus den USA.
Währenddessen mimt Netanyahu in den Schlagzeilen den wütenden Gegenspieler. Er verurteilt die Staaten, die Palästina als Staat anerkennen – im Wissen, dass er seine Politik ungehindert weiter verfolgen kann.
Wenn westliche Staatschefs heute Palästina publikumswirksam als Staat anerkennen und eine Zweistaatenlösung fordern, ist dies zynisch. Sie haben nie etwas getan und tun noch heute nichts, um Israel im Westjordanland und in Gaza zu stoppen. Ihre «Forderungen» sind Heuchelei.
Eine groteske Inszenierung: Sie lenkt davon ab, dass Israel eine Zwei-Staaten-Lösung längst sabotiert hat: fortgesetzte Besatzung, ständig mehr illegale und völkerrechtswidrige Siedlungen, jüngst sogar neue Ankündigungen zur Landnahme – und keinerlei westliche Sanktionen.
Möglich wären insbesondere:
- Sanktionen gegen Personen und Unternehmen.
- Zölle auf israelischen Waren.
- Exportbeschränkungen für Güter, die Israel auch für die Rüstung verwenden kann (dual-use).
- Eine Wiedereinführung der Visumsplicht für israelische Beamte, Vertreter der Rüstungsindustrie – oder schlicht für alle Israelis
Erst seit 2011 können alle Israelis ohne Visum in den Schengenraum einreisen, obwohl Israel nicht Mitglied des Schengenraums ist. Allein schon eine Wiedereinführung der Visumspflicht würde in Israel massiven innenpolitischen Druck erzeugen.
Der stärkste Hebel liegt freilich in Washington. Ein Stopp der US-Waffenlieferungen brächte Netanyahus Regierung rasch zum Einlenken.
Fazit: Wer heute grossspurig von Anerkennung eines palästinensischen Staates oder einer Zweistaatenlösung schwadroniert, ohne gleichzeitig zu Sanktionen, Zöllen oder Visumspflicht zu greifen, ist nicht Friedensstifter, sondern Komplize.
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Dies ist ein aktualisierter Beitrag vom 23.8.2025.
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Ich stimme in allen Punkten zu. Gleichzeitig darf man die Heuchelei nahezu aller arabischen (Feudal-)Staaten nicht übersehen: In den letzten Jahrzehnten hätten sie einfach den Öl- und Gashahn zudrehen oder die Zusammenarbeit mit den USA, der NATO sowie mit Hamas und anderen Extremisten verweigern können – so lange, bis ein palästinensischer Staat in den Grenzen von 1967 Wirklichkeit geworden und die Extremisten auf beiden Seiten endlich in die Schranken gewiesen worden wären.
Genau diese Überschrift fiel mir ein, als ich von der Anerkennung eines Palästinensischen Staates las. So traurig es ist, das Gemetzel und der Genozid werden mit Unterstützung von USA und EU weitergehen bis zum bitteren Ende. Palästina wird es nur noch in den Geschichtsbüchern geben. Die aktuelle israelische Regierung hat sich das ganz offiziell vorgenommen, frühere Regierungen waren nur wenig anders. Und gewählt hat diese Regierung(en) das israelische Volk mehrheitlich! Das deutsche Volk wurde wiederholt dafür verantwortlich gemacht, dass es eine faschistische Regierung trotz aller Warnungen vor deren Programm («Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.») gewählt hat. Die Warnenden waren früher wie heute in der Minderheit. Im kriegsbesoffenen Deutschland (inklusive EU!) scheint sich dieser Prozess jetzt zu wiederholen, jetzt im moralisch grün-schwarz-roten Gewand und medial befeuert.
Danke U.P. Gasche für ihre immer engagierteren Beiträge.
Die von ihnen vorgeschlagenen Sanktionen lassen sich relativ rasch und problemlos umsetzen. Da müssten die Mächtigen einfach nur handeln!
Ich selber boykottiere Israel und seine Produkte schon seit Jahrzehnten. Das begann als die Israelis den Palästinensern für ihre Orangenkulturen das Wasser abgegraben haben.
Neuerdings gehe ich sogar so weit, dass ich hier jüdische Geschäfte und Produkte meide. Dies weil sich die Inhaber und Produzenten nie gegen das brutale Vorgehen Israels gewendet haben. Ferner lese und höre ich mir Beiträge von jüdischen Journalisten besonders kritisch an. Dann merke ich relativ schnell, wann diese Berichte geschönt sind und was alles unter den Tisch gekehrt wird. Und wenn man wirklich das Ganze gut beobachtet, merkt man, dass das sehr oft der Fall ist.
Da wundert man sich nicht über die ganze laue Politik.
Um dem heutigen Trend was entgegen zu setzen braucht es viel Mut und einen geraden Rücken.
Es gibt Stimmen, die aus guten Gründen sagen, es gebe keinen Staat Palästina, den man anerkennen könnte. Dazu fehle es diesem an rechtlichen Voraussetzungen, wie definiertes Staatsgebiet und Souveränität nach Jelinek/Konvention von Montevideo.
Andere sagen, ebenfalls gut begründet, das sei be Kosovo auch so gewesen, trotzdem habe man diesen als Staat anerkannt, anders als zum Beispiel die Republik Nagorno-Karabach, die auch nach dreißig Jahren Existenz und alle Bedingungen der Staatlichkeit erfüllend, von niemandem(!) anerkannt wurde und schließlich unterging.
Ein Staat entsteht nicht oder besteht nicht weiter, lediglich deshalb, weil ihn jemand als Staat anerkennt, sondern weil er sich behaupten kann, was kaum der Fall sein wird, wie Israel bereits kommunizierte.
Kurz, meiner Meinung spielt es keine Rolle auf den Gang der Dinge, wie sich die Schweiz entscheidet. Also wird man den Entscheid fällen, der den Schweizer Interessen am besten dient.
Da Israel keine Verfassung hat, ist Israel nicht als Staat definiert. Israel vermeidet ein Verfassung bewusst, daher ist die ganze Anerkennungswelle gegenstandslos und verlogen.
In der gesamten Region wird Verrat als Führung choreografiert. Ägypten erzwingt die Belagerungslogik und behauptet, zu vermitteln. Saudi-Arabien testet die Normalisierung durch mediale Konditionierung. Der Libanon absorbiert Luftangriffe, bleibt aber politisch gelähmt. Syrien ist zersplittert und schweigt. Der Irak ist an konkurrierende Interessen gebunden. Der Iran kalibriert die Unterstützung auf Druckmittel, nicht auf Befreiung. Jordanien betreibt Mäßigung als Neutralität – eine Gratwanderung zwischen westlichen Bündnissen und arabischen Gefühlen, während sich sein Luftraum verschließt und seine Diplomatie ins Stocken gerät. Ein Schauplatz von Stellvertreterkriegen und humanitärem Zusammenbruch, in dem Hungersnöte strategisch wichtig sind und Waffenstillstände taktische Pausen sind. Keiner von ihnen bildet einen Widerstandsblock.
Alle arabischen Führer wurden durch den Westen an die Macht gepuscht. Ihr gewünschter Widerstandsblock, wurde vom Westen seit dem ersten Weltkrieg unterdrückt, diffamiert und vertrieben. Also müssten sie nicht mit dem Finger auf die arabischen Staaten zeigen, sondern auf unsere westlichen Staaten. In der Schweiz gibt es nicht einmal eine einzige in der Regierung vertretene Partei die hinter den Palästinenser stehen. Diese Feigheit, hat nichts mit arabischen Gefühlen zu tun, sondern mit Profit.
Nie seit 1945 sind das Versagen und die Heuchelei der westlichen sogenannten Wertegemeinschaft deutlicher geworden als beim Wegschauen und Unterstützen des Völkermords von Israel an den Palästinensern. Alle Staaten, die Mitglied der Genozid-Konvention von 1948 sind, hätten gemäss deren Artikel 1 schon längst handeln müssen, um einen Völkermord im Gazastreifen zu verhüten. Das gilt auch für die Schweiz. Angesichts der „Kriegsführung“ von Israel in den letzten zwei Wochen ist sogar besondere Dringlichkeit geboten.