11:4: Das ist nicht Fussball, sondern Politologen-Logik
«Es steht 11:4.» Das erklärte Politologe Lukas Golder in der SRF-Radiosendung «Forum» kürzlich. Golder bezog sich dabei auf die Masterarbeit von Silvan Gamper mit dem Titel «Abstimmungsverhalten der Babyboom-Generation».
Von 2020 bis 2024 gab es in der Schweiz 42 eidgenössische Abstimmungen. Die Masterarbeit zeigt nun, dass in 15 davon die Alten anders stimmten als die Jungen. In elf Fällen gewannen die Alten die Abstimmung, in vier Fällen die Jungen. So kam Golder zu seiner Aussage.
«Jetzt diskutiert man die Regeln»
Golder weiter: «Jetzt diskutiert man die Regeln.» Damit meinte er die Diskussionen um die angebliche Dominanz der Alten, welche die Politologin Rahel Freiburghaus kürzlich angestossen hatte, und ihren Vorschlag.
Sie hatte gesagt: «Um die Entwicklung zur Gerontokratie zumindest zu verlangsamen, müssten wir früher im politischen Prozess ansetzen. Junge Stimmen stärker zu gewichten oder sogar das Wahlrecht ab einem gewissen Alter zu streichen, würde die Dominanz der Senioren brechen.»
«Man sagt auch nicht: Shaqiri raus»
Reto Cavegn, Ko-Präsident des Schweizerischen Seniorenrats, liess sich in der Radiosendung auf die Fussball-Logik von Lukas Golder ein, und sagte: «Wenn Basel 11:4 führt, dann sagt man auch nicht: Jetzt müsst ihr den Shaqiri auswechseln.»
Golder konterte: «Shaqiri wollen wir ja nicht einfach aus dem Spiel nehmen. Im Moment haben wir die Situation, dass bei den Älteren plötzlich eine zwölfte Figur auf dem Spielfeld ist.»
Doch das Bild ist falsch. Und das müsste ein Politologe eigentlich wissen. Die Alten haben nicht mehr «Spieler» auf dem Platz, sondern deutlich weniger als die Jungen. Das hat Infosperber kürzlich vorgerechnet:
- Ende 2024 gab es rund 5,4 Millionen Schweizer und Schweizerinnen, die älter sind als 18 Jahre – also stimm- und wahlberechtigt.
- Die 18- bis 64-Jährigen machen davon 71 Prozent aus.
- Die Älteren machen bloss 29 Prozent aus.
Die Alten zeigen mehr Einsatz
Die Alten sind also in der Minderheit. Aber sie stimmen fleissig ab. Ganz im Gegenteil zu den Jungen. Wenn wir bei der Fussball-Sprache bleiben wollen: Die Alten haben deutlich weniger Spieler auf dem Platz. Aber sie zeigen mehr Einsatz.
Wahrscheinlich ist schon der Denkansatz all der Politologen, die nach dem Rösti- und dem Stadt-Land-Graben auch noch einen Altersgraben herbeireden wollen, falsch. Es gibt kaum Abstimmungen, welche bloss den Interessen der Alten oder bloss den Interessen der Jungen dienen.
AHV-Gegner pfeifen auf die Verfassung
Beispiel 13. AHV-Rente: In der Bundesverfassung steht zur AHV: «Die Renten haben den Existenzbedarf angemessen zu decken.» Die heutige AHV tut das nicht. Das Ja zur 13. Rente ist demnach bloss ein kleiner Schritt zu einer existenzsichernden und verfassungskonformen AHV. Daran müssten alle ein Interesse haben: Rechte wie Linke, Junge wie Alte. Die 13. Rente ist nicht einfach ein Ego-Projekt der Boomer.
Beispiel Eigenmietwert: Bei der Abschaffung des Eigenmietwerts ging es nicht um den Eigenmietwert allein, sondern auch um die Abschaffung von Schuldzins- und Unterhaltsabzügen. Je nach Hypothekarzins-Niveau und Unterhaltsbedarf kann sich das auch negativ auf die Steuern von Wohneigentümern auswirken. Auch das war kein Ego-Projekt der Wohneigentümer – sondern ein Schritt zu weniger Bürokratie.
Willkürliche Altersgrenzen
Doch zurück zum Fussball-Resultat: Wie kommt der Spielstand von 11:4 überhaupt zustande? Silvan Gamper hat für seine Masterarbeit untersucht, wie Leute von 18 bis 30 Jahren sowie Leute ab 65 Jahren gestimmt haben. Die Altersgrenzen – das ist die erste Kritik – sind willkürlich gezogen.
Die Gruppe der Jungen macht an der gesamten Zahl der Stimmberechtigten nur 17 Prozent aus. Die Gruppe der Alten hingegen 29 Prozent. Dass 29 Prozent der Stimmberechtigten mehr Gewicht haben als 17 Prozent ist eigentlich naheliegend. Umso mehr, als die 29 Prozent deutlich fleissiger abstimmen als die 17 Prozent.
Gar nicht berücksichtigt sind bei Golders 11:4-Ergebnis die 31- bis 64-Jährigen. Sie machen aber eine Mehrheit der Stimmberechtigen aus: nämlich 54 Prozent. Wären die Altersgrenzen anders gezogen und wären auch die 31- bis 64-Jährigen berücksichtigt worden, wäre das Ergebnis möglicherweise ganz anders ausgefallen. Infosperber hätte gerne Einsicht in die Masterarbeit genommen. Doch bis Redaktionsschluss war das nicht möglich.
Und noch ein letzter Gedanke: Auch die Alten sind durchaus in der Lage, an kommende Generationen zu denken und entsprechend zu stimmen. Auch jene, die selber keine Kinder und Enkel haben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor gehört häufiger zu den Abstimmungsverlierern als zu den Abstimmungsgewinnern. Das Stimmrecht will er trotzdem niemandem entziehen.
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