Kommentar

Biel: Wie sich Kleiderkönig Bayard gegen Grosse durchsetzte

Catherine Duttweiler © Zug

Catherine Duttweiler /  Es ging nicht nur ums Geld: Zweisprachigkeit und Brückenfunktion waren Schlüsselwerte beim Verkauf der Gassmann-Medien an Bayard.

Eine weitere Verlegerfamilie verabschiedet sich aus der Medienbranche. Und da waren es noch vier, alle eher am Rande der Schweiz angesiedelt: Nur in Schaffhausen, im Tessin, in Freiburg und im Wallis haben bisher unabhängige Verlagshäuser überlebt, die echt in ihrer Region verwurzelt sind.

Doch auch wenn die fortschreitende Medienkonzentration zu beklagen ist: Der Verkauf der Bieler Mediengruppe an den Walliser Modeunternehmer Bayard ist die bestmögliche Alternative zur Übernahme durch einen der grossen überregionalen Konzerne. Denn er dürfte sicherstellen, dass das zweisprachige Verlagshaus in Biel nicht zerschlagen wird und damit auch in Zukunft die wichtige Brückenfunktion zwischen dem welschen und dem deutschsprachigen Landesteil wahrnehmen kann – ein Schlüsselwert, der ausserhalb Biels oft nicht verstanden wird.

Begehrte, aber bescheidene Braut
Blicken wir zurück: Das stets profitable «Bieler Tagblatt» (BT) war schon lange eine begehrte Braut. An Interessenten aus der Deutschschweiz hatte es in den letzten Jahren nie gefehlt, es gab immer wieder Gespräche mit Verlegern aus Aarau, Bern und Zürich. AZ-Verleger Peter Wanner hatte eine lose Kooperation angeboten, die viele Freiheiten liess. Die Berner Espace Groupe lieferte über Jahrzehnte den Mantelteil und galt daher als prädestinierte Käuferin. Nach deren Verkauf an die Zürcher Tamedia 2007 und dem schrittweisen Rückzug von Verleger Charles von Graffenried wurde die Zusammenarbeit immer einseitiger: Mehrfach wurde der «Tägu» bei inhaltlichen, konzeptionellen oder technischen Anpassungen «von Bern» vor vollendete Tatsachen gestellt.

Gegen Ende der Nuller Jahre wurde im Rahmen des Projekts «Chasseral» auf Wunsch der Zürcher durchgerechnet, wie das BT als reines Kopfblatt mit Berner Unterstützung günstiger produziert werden könnte. Doch Redaktion und Verlag in Biel waren schon damals so gut aufgestellt, dass wenig drin lag: Die BZ musste die Konzernzentrale in Zürich mitfinanzieren, was ihren durchschnittlichen Seitenpreis in die Höhe trieb.

Das Fazit der aufwändigen Szenarien enttäuschte die TX Group, die damals noch Tamedia hiess: Die bescheidenen BielerInnen produzierten wesentlich günstiger, auch günstiger als die bestehenden BZ-Kopfblätter. So blieb vorerst alles beim Alten. Die BZ lieferte weiterhin die überregionalen Seiten für den Mantelteil, der Vertrag dafür dürfte nun aber auslaufen.

Auch aus der Romandie kamen Übernahmeangebote. Doch der Bieler Verleger hatte eine zentrale Bedingung: Wenn er denn sein Familienunternehmen nach 170 Jahren und sieben Generationen verkaufen würde, sollte es als zweisprachiger Betrieb mit allen vier Medien und samt moderner Akzidenz-Druckerei veräussert und nicht in seine Einzelteile zerlegt werden. Genau das aber wäre passiert, wenn er das begehrte «Bieler Tagblatt» als Filetstück herausgelöst und verkauft hätte. Er hätte damit gut verdient und zugleich sein Lebenswerk zerstört, das er sorgsam aufgebaut hatte, indem er beim geringsten Anzeichen eines konjunkturellen Rückgangs oder bei strukturellen Problemen der Branche zum Schrecken der Redaktionen jeweils umgehend eine Sparrunde einläutete. Bezeichnend, dass er sein Unternehmen jetzt nicht aus finanziellen Gründen verkaufen musste, sondern weil er keine Nachfolger in der Familie fand. Seine beiden Töchter – eine Osteopathin und eine Marketingspezialistin – zeigten kein Interesse für die herausfordernde Aufgabe.

Ein echter Verleger, kein Medienmanager
Marc Gassmann war kein Medienmanager, sondern ein publizistisch denkender Verleger und ausgebildeter Drucker, der die Nase im Wind hatte und für Modernisierungen offen war – etwa als er Mitte der Neunziger Jahre als einer der ersten in der Schweiz ein Online-Portal lancierte oder 2009 den ersten zweisprachigen Newsroom baute, um die Zusammenarbeit seiner Redaktionen «Bieler Tagblatt» (BT), «Journal du Jura» (JdJ), «Telebielingue» und Radio «Canal3» auf allen Kanälen zu fördern. Auch ausserhalb des Newsrooms sassen die Redaktionen nicht nach Sprachen getrennt, sondern je nach Ressort gemischt beieinander – eine Bereicherung.

Vor allem aber war ihm die wichtige politische, kulturelle und identitätsstiftende Bedeutung seines Verlags auf der Sprachgrenze stets bewusst – und er nahm diese Aufgabe gerne wahr. Wer, wenn nicht das BT und das JdJ, berichten bis heute detailliert über das politische Leben in den Gemeinden? Wer, wenn nicht das JdJ und das BT verteidigen die kostenintensive Zweisprachigkeit, wenn in Bern wieder mal die Subventionen für den Berner Jura kritisiert werden oder die Separatisten in Moutier aufbegehren?

Gassmann hatte die Wirren um die Abspaltung des Kantons Jura persönlich erlebt und verlangte von seinen Kadern, dass sie die Zweisprachigkeit leben. An den Geschäftsleitungssitzungen sprach er konsequent Französisch, Geschäftsessen und -ausflüge verlegte er vorzugsweise in den Berner Jura. Immer wieder verteidigte er den «Esprit de Bienne», das unkomplizierte, bereichernde und weitgehend konfliktfreie Zusammenleben von Französisch- und Deutschsprachigen, welche problemlos innerhalb desselben Satzes die Sprache wechseln. Das macht kreativ, flexibel, offen.

Biel hat eine wertvolle Brückenfunktion innerhalb des Kantons Bern und als grösste zweisprachige Stadt auf der Röstigrenze auch für die Schweiz. Neben Marc Gassmann werden diese Werte trotz Zusatzkosten bis heute auch von Mario Cortesi gepflegt, der in seiner Gratiszeitung «Biel-Bienne» konsequent jeden Artikel in beiden Sprachen publiziert. Allerdings stellt sich auch dort die Nachfolgefrage: Cortesi, der die Redaktion selber führt, wurde vor zwei Wochen 80-jährig.

Erfolg im Wallis dank harter Bezahlschranke
Modeunternehmer Fredy Bayard stammt selber aus einem zweisprachigen Kanton und ist ebenfalls stark regional verwurzelt – das könnte sich als Glücksfall erweisen. Mit ihm besteht die Chance, dass nicht nur der Verlag als Ganzes weiterlebt, sondern auch der Bilinguismus weiter gepflegt wird. Bayard hat den Redaktionen am Freitag angekündigt, dass er künftig an drei bis vier Tagen pro Woche in Biel sein wird. Bei seinem Antrittsbesuch hinterliess er einen zugänglichen Eindruck.

Die Bieler Redaktionen sind verhalten optimistisch, weil Bayard in den letzten Jahren bewiesen hat, dass er gut kalkulieren kann. Der Modeunternehmer hatte einst mit 25 Mitarbeitenden begonnen und höchst erfolgreich expandiert, so dass seine Firmen mittlerweile über 1000 Personen beschäftigen. Bei der von der Familie Mengis vor knapp drei Jahren erworbenen Verlagsgruppe um den «Walliser Boten» hat er im Krisenjahr 2020 dank einer harten Bezahlschranke 1600 Neuabonnenten dazu gewonnen; dank neuen digitalen Modellen ist im Wallis auch der Kauf von einzelnen Artikeln im Rappenbereich möglich. Allerdings leiden derzeit sowohl die Kleiderläden wie die Walliser Mediengruppe unter einem massiven, coronabedingten Umsatzeinbruch, wie Bayard selber während dem Lockdown im Frühling eingestand.

Ob die Kassen auch nach dem Kauf der W. Gassmann AG noch ausreichend gefüllt sind, um weitere Krisen zu überstehen, wird sich weisen. Marc Gassmann hat durchblicken lassen, dass er sein Unternehmen nicht für den bestmöglichen Preis verkauft hat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Catherine Duttweiler war von 2004 bis 2011 Chefredaktorin des «Bieler Tagblatts» und Mitglied der erweiterten Direktion der W. Gassmann AG. Sie lebt in Biel.

Zum Infosperber-Dossier:

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