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Der Medienwissenschaftler Damian Tambini (hier bei der Oxford Media Convention). © CC

Wie Online Advertising «Fake News» fördert

Daniela Gschweng /  Ein britischer Medienwissenschaftler erklärt, warum die Struktur der Online-Werbung eine Ursache für die «Fake News»-Schwemme ist.

In einem Blogeintrag der London School of Economics beschreibt der Medienexperte Damian Tambini, wie die Online-Werbung die Verbreitung von falschen und unsinnigen Inhalten fördert.

Tambini geht damit auf eine Frage ein, die das britische Parlament im Rahmen einer Untersuchung zum Thema «Fake News» gestellt hatte: «Haben die Veränderungen in Verkauf und Platzierung von Anzeigen, die Zunahme von Fake-News gefördert?» Tambini bewertet die Frage als wichtigste der gesamten Untersuchung und beantwortet sie mit «ja».

Die Mechanismen der Onlinewerbung, schreibt er, hingen von rein ökonomischen Bedingungen ab. Dies fernab jeder philosophischen Diskussion über die «Wahrheit» oder deren politische Instrumentalisierung. In vier Punkten und einer Grafik erklärt er das System der Onlinewerbung und die Geldflüsse, die vor allem die Verbreitung von Inhalten fördern, die «sharable» (teilbar) sind und bei Lesern auf Resonanz stossen.

Programmatische Werbung – das «Wo» interessiert nicht mehr

Programmatische Werbung, der heutige Online-Standard, erklärt er, ist nicht mehr an ein bestimmtes Medium oder bestimmte Inhalte gebunden. Stattdessen hängt ihr Erscheinungsort von Vermutungen darüber ab, wie viele «Clicks» oder «Views» eine Anzeige bei einer bestimmten Zielgruppe vermutlich erreichen wird. Platziert wird Online-Werbung dort, wo man die meisten aufmerksamen potenziellen Kunden vermutet.

So wird zum Beispiel Werbung für Windeln bevorzugt der Gruppe angezeigt, die ein Algorithmus aufgrund ihrer Daten als Mütter einstuft, die auf die Inhalte der Seite reagieren werden. Dieser Vorgang ist automatisiert. Das Wichtigste daran: der Werbekunde bezahlt für Seitenaufrufe, unabhängig vom Inhalt der Seite, auf dem seine Werbung erscheint.

Online-Auktionen: der Profit der Makler

Eine Werbeagentur (1) führt mit den Werbeinhalten eine ständige Online-Auktion durch. Die Auktion ist automatisiert und geschieht in Echtzeit. Normalerweise geschieht das über einen Mittler wie ein Werbenetzwerk (Ad Network), Google oder Facebook (2). Der Agentur oder dem Kunden werden die Anzeigen berechnet, die Nutzer (4) gesehen haben. Das publizierende Medium (3) bekommt davon einen Anteil, der Mittler bekommt eine Kommission. Wenn Mittler auf den eigenen Seiten publizieren wie Google und Facebook, behalten sie beides (5).


Die Geldflüsse auf dem Online-Werbemarkt erklärt (Quelle: Damian Tambini) Bild in grösserer Auflösung ansehen.

Die Werbeeinnahmen – Beliebtheit ist Trumpf

Der Herausgeber seinerseits ist vertraglich an die Mittler gebunden. Seine Einnahmen richten sich danach, wie oft Inhalte angesehen und in den sozialen Netzwerken geteilt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine seriöse Nachrichtenseite oder ein mazedonisches Fake-News-Outlet handelt. Je mehr Seitenaufrufe, desto mehr Einnahmen für Herausgeber und Mittler und desto mehr Aufmerksamkeit für die beworbene Marke. Ob die Inhalte der Seite verifiziert wurden, also irgendwelchen Qualitätsstandards entsprechen, ist unwesentlich.

Dahin geht das Geld – in Zahlen

Tambini verdeutlicht in einem Beispiel, was das in Zahlen bedeutet: Ein Herausgeber, der über «Facebook Instant Articles» Inhalte direkt auf Facebook publiziert, kann wählen, ob er neben den Inhalten auch Werbung platzieren will. Für eine Video-Anzeige teilt sich der Herausgeber die Einnahmen im Verhältnis 55:45 mit Facebook. Tambini nimmt an, dass für 1‘000 Klicks 7,19 Dollars bezahlt werden, was der Realität ziemlich nahe kommt. Wenn der Artikel 500‘000 Leser erreicht und mit 7,19 Dollars pro 1000 Impressions (Ansichten) bezahlt wird, ist der gesamte Werbeerlös 3‘595 Dollars. Davon bekommt der Herausgeber 55 Prozent (1‘977 Dollars) und Facebook 45 Prozent (1‘618 Dollars).

«Fake News» gab es schon immer

Man könnte natürlich argumentieren, dass die emotionalen Inhalte der Regenbogenpresse schon immer eine grosse Leserschaft erreichten, schreibt der Medienwissenschaftler. «Fake News» in Form von Gerüchten, Halb- und Unwahrheiten habe es gewissermassen schon immer gegeben.
Aber noch nie sei das System der Selbstregulierung, das in den meisten demokratischen Systemen die Meinungsfreiheit ergänzt, so ausser Kraft gesetzt worden. Und noch nie habe es so viele Teile der Werbe-Lieferkette gegeben, die davon profitiert haben.

Die Wahrheit spielt keine Rolle mehr

«Diese Verschiebung in der Werbepraxis geschieht nicht am Rande. Sie ist eine grosse strukturelle Änderung», urteilt Tambini.

Man spreche nicht mehr von den Frontseiten bunter Tabloids, auf denen jemand geschrieben habe «Freddie Starr ate my hamster» (eine legendäre Headline der «Sun»), sondern über Blogs und Portale auf der ganzen Welt, deren Interessen völlig undurchschaubar seien. Das System von Verkauf und Platzierung ermögliche es auch kleinen Herausgebern, ein grosses Publikum zu erreichen, ohne auf ethische Standards Rücksicht nehmen zu müssen.

Das neue Werbemodell etabliere eine enge Verbindung zwischen der Resonanz auf Inhalte und den Gewinnen, die dadurch erzielt werden. Das Traurige an dieser ökonomischen Entwicklung sei aus demokratischer Sicht, dass sie von dem Vertrauen in die Medien zehre, das sie dabei zerstöre.
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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Blogeintrags von Damian Tambini auf der Seite der «London School of Economics and Political Science» erstellt. Der Text ist Teil einer Serie zum Thema «Fake News».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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