Tamedia-Chef Pietro Supino zu Infosperber: «Ein guter Punkt»
Pietro Supino, Verleger von Tamedia und Präsident der TX-Group, hat am 15. Mai in seinen Zeitungen seine Forderungen zur Medienpolitik verbreiten lassen: «Für eine zukunftsgerichtete Medienlandschaft» müsse sich die SRG in ihrem Online-Angebot einschränken, der Staat dürfe Medien nicht direkt subventionieren, Werbeeinschränkungen im öffentlichen Raum oder für bestimmte Produkte sollten aufgehoben werden und es brauche ein zusätzliches Gesetz, damit Social-Media-Plattformen Inhalte von Tamedia nicht mehr kostenlos zitieren dürfen.
Vorab fiel auf, dass sogar Verleger Supino nicht von «Social Media» schrieb, sondern von «sozialen Medien». Offensichtlich sind für ihn Medien wie «X», «TikTok», «Instagram» oder «Facebook» soziale Einrichtungen (siehe Infosperber «Für viele Medien sind Social Media immer noch ‹sozial›!»).
Doch es gab Relevanteres, das Infosperber zu seinen Forderungen interessierte, die Supino auf zwei ganzen Zeitungsseiten darlegte. Im Folgenden unsere Fragen an ihn und seine Antworten:
Sehr geehrter Herr Supino
Mit Interesse haben wir Ihr Plädoyer für eine aufgeklärte Medienpolitik gelesen.
Unsere Redaktion ist dankbar, dass Sie beanstanden, dass der investigative Journalismus im Finanzbereich eingeschränkt wurde, und dass Publikationsverbote jetzt leichter durchgesetzt werden können. Sie hätten zudem dafür einstehen können, dass die Medien nicht mehr dem UWG unterstellt werden – eine einmalige Einschränkung in der westlichen Medienwelt.
Zu Ihrem Plädoyer hätten wir folgende Fragen:
1) An verschiedenen Stellen sehen Sie die Medienfreiheit vom Staat bedroht, Sie begrüssen die Kontrollfunktion der Medien «gegenüber Institutionen, Organisationen und Menschen» und zitieren, dass sich «Regierungsmitglieder besser benehmen, wenn sie wissen, dass ein Journalist sie beobachtet».
Wir machen die Erfahrung, dass in erster Linie private Unternehmen, Konzerne und Lobbys die journalistische Unabhängigkeit einschränken. Diese drohen mit Klagen, klagen tatsächlich und können wirtschaftlichen Druck auf Redaktionen und Verlage ausüben. Staatliche Stellen dagegen drohen weder mit Klagen noch reichen sie solche ein. Staatliche Institutionen können auch keinen wirtschaftlichen Druck ausüben.
Warum haben Sie die Abhängigkeit und den Druck von der Wirtschaft nicht stärker angesprochen?
Antwort von Pietro Supino:
«Das ist ein guter Punkt.»
2) Früher finanzierte Ihr Verlag die Zeitungen mit Einnahmen aus den umfangreichen Stelleninseraten sowie aus Kleinanzeigen für Immobilien und Fahrzeuge. Diese Anzeigen haben die gedruckten Zeitungen weitgehend verloren, jedoch nicht der Verlag. Die TX-Group, zu der Tamedia gehört, ist an praktisch allen führenden Schweizer Online-Plattformen für Stellen, Immobilien, Fahrzeugen und Kleinanzeigen massgeblich beteiligt (jobs.ch, jobup.ch, JobScout.ch, Homegate, ImmoScout24, Flatfox, AutoScout24, MotoScout24, tutti.ch, anibis.ch, Ricardo).
Deshalb die Frage: Warum nutzt die TX-Group die grossen Einnahmen aus diesem Anzeigengeschäft nicht wie früher direkt für die gedruckten Zeitungen und deren digitalen Auftritte?
Antwort von Pietro Supino:
«Vergleichen Sie meine Ausführungen unter dem Zwischentitel ‹Medien bedürfen gesellschaftlicher und unternehmerischer Investitionen›.»
Eine konkrete Antwort auf die gestellte Frage ist darin allerdings nicht zu finden. Es heisst dort u.a.:
«Jede unternehmerische Aktivität muss sich langfristig selbst tragen können. Wegen der inhaltlichen Unabhängigkeit ist das für journalistische Angebote besonders wichtig. Die Investitionen müssen sich nach den Präferenzen und der Zahlungsbereitschaft der Kundschaft richten. Wenn sich die Nutzung auf neue Plattformen verschiebt, muss dort investiert werden. Die Forderung, dass der damit erzielte Gewinn zur Querfinanzierung rückläufiger oder gar unrentabler Aktivitäten eingesetzt werden sollte, ist nicht überzeugend. Es wäre eine Demotivation für die neuen Aktivitäten und das beste Rezept, um am Ende alle zusammen zu schwächen. Kein Geld auf der Welt kann den Medienwandel auf Dauer aufhalten.»
Kommentar: Die Gewinne aus den oben genannten kommerziellen Online-Plattformen – es sind die profitabelsten Bereiche der TX Group – fliessen zu einem viel zu geringen Teil in die Printmedien und deren neue Online-Plattformen.
3) Sie schreiben, globale mächtige Plattformen würden journalistische Inhalte von nationalen und regionalen Zeitungen «übernehmen». Das weckt den Eindruck, dass Inhalte über das rechtlich zulässig Zitatrecht hinaus übernommen werden. Welche Plattformen sind es denn, welche geltende Nutzungsrechte verletzen, ohne dafür zu bezahlen?
Antwort von Pietro Supino:
«Dazu kann ihnen die Direktorin des VerlegerverbandsSchweizer Medien, Pia Guggenbühl weitergehende Informationen zukommen lassen.»
Sobald wir eine Antwort vom Verlegerverband haben, werden wir an dieser Stelle informieren.
4) Wir gehen davon aus, dass Sie für Ihren «Plädoyer»-Artikel nur die inhaltliche Stossrichtung mit Ihren Forderungen angegeben und den Artikel nicht selber verfasst haben. Warum gaben Sie die Co-Autorinnen oder Co-Autoren nicht an, wie das bei redaktionellen Artikeln üblich ist?
Antwort von Pietro Supino:
«Ihre Annahme ist unzutreffend.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Supinos Shareholder Value
Pietro Supinos Antwort auf die 2. Frage ist wolkig, ausweichend und entlarvend: Zeitungen und Zeitschriften haben schon immer ihr Geld mit ihrer journalistischen Dienstleistung zuzüglich Werbung und kundengebundenen Inseraten gemacht. TX-Group setzt nun den Schwerpunkt auf die ehemals zuzüglichen Einnahmen, baut diese stark aus, kürzt beim Journalismus und füllt die wenigen Seiten noch mit Inhalte der Süddeutschen Zeitung. Letztlich geht es Supino in erster Linie um das Aktionariat, das grösstenteils aus der Unternehmerfamilie Coninx, inklusive verschwägerter Supino besteht. Was einst ein gutes Geschäftsmodell war wird nun als Quersubventionierung abgekanzelt.
Sehr gute Intervention von Herrn Gasche! Die Kritik an den eingedeutschen «Sozialen Medien» ist vermutlich etwas spitzfinding: Laut DWDS hat das deutsche «sozial» durchaus auch die Bedeutung des englischen «social», es ist dies wohl sogar die ältere Wortbedeutung, denn das Wort stammt von lateinisch socialis (gemeinschaftlich, gesellig) und socius (gemeinsam). Die «sozialpolitische» Bedeutung leitete sich dann vermutlich daraus ab.
«Social» bedeutet unter anderem auch «sozial». Da haben Sie recht. Aber das Wort wird im Englischen weit darüber hinaus verwendet für vieles, was nichts mit «sozial» zu tun hat. Oder finden Sie wirklich, dass «X» oder «Facebook» soziale Medien sind? Dazu habe ich ausführlich geschrieben: «Für viele Medien sind Social Media immer noch ‹sozial›!».
Ich meinte es umgekehrt, dass das deutsche «sozial» auch die übliche Bedeutung des englischen «social» haben kann. Also «soziale Medien» im Sinne von Medien, an denen alle mitwirken und interagieren können. Aber natürlich gebe ich Ihnen völlig recht, dass «soziale Medien» auch «asoziale Medien» sind, die zu Ausgrenzung und Vereinsamung führen können.