Kommentar

Korrupter Journalismus: Ausnahmen sind das Problem

Dominique Strebel © zvg

Dominique Strebel /  Wieso hat eigentlich niemand eine Presseratsbeschwerde eingereicht wegen der unsäglichen 500-Franken-Couvert-Affäre?

Mitte August 2012 trafen zehn «attraktive Top-Journalisten» im Zürcher Zunfthaus zur Schmiden Kunden einer Tourismusmarketing-Firma. Das Ziel war der Informationsaustausch von Unternehmen der Tourismusbranche mit den Medien. Das Pikante daran: Jeder Journalist erhielt mit den Presseunterlagen einen Briefumschlag mit einer «Kostenpauschale» von 500 Franken. Die Journalisten von Medien wie «SonntagsZeitung», «NZZ», «Aargauer Zeitung» oder «Annabelle» nahmen das Geschenk an. Erst als der Vorgang öffentlich wurde, gaben sie es (teilweise) wieder zurück. Gemäss Branchenmagazin «Schweizer Journalist» sahen die meisten Medienschaffenden kein wirkliches Problem bei der «Spesenpauschale». Der PR-Anlass fand übrigens bereits zum dritten Mal statt. Offenbar fehlt es im Reisejournalismus völlig am nötigen Problembewusstsein.

Doch auch im Sport- und Autojournalismus sind vergleichbare Praktiken üblich. Und alle Journalistinnen und Journalisten sind es gewohnt, mit Air Berlin zum halben Preis zu fliegen und gratis Museen oder den Zoo zu besuchen. (Der Zoo Zürich verzeichnete 2011 rund 1000 Gratiseintritte mit Presseausweis.) Diese Vergünstigungen gewähren ihnen die Journalistenvereinigungen.

Die ethischen Richtlinien für Journalistinnen und Journalisten sind nur vordergründig klar. In Artikel 9 der Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalisten hält der Schweizer Presserat fest, dass Medienschaffende «weder Vorteile noch Versprechungen annehmen, die geeignet sind, ihre berufliche Unabhängigkeit und die Äusserung ihrer persönlichen Meinung einzuschränken.» Mit dieser offenen Formulierung macht es der Kodex den Journalistinnen leicht, Geschenke anzunehmen, weil Ausflüchte schnell gefunden sind: Ich kann auf Einladung der Schweizer Reisekasse gratis über Ostern ins Reka-Dorf gehen, weil ich als Inlandjournalist eh kein Wort darüber schreibe. Doch was ist, wenn die Schweizer Reisekasse politisch unter Druck gerät? Wenn es im Vorstand einen Veruntreuungsskandal aufzudecken gäbe? Recherchiert man da noch unabhängig? Deshalb fordern Medienrechtler wie Peter Studer und Martin Künzi, dass Journalisten nur «kleinste Aufmerksamkeiten» annehmen dürfen. «Allenfalls die persönliche Einladung zu einem ‹working lunch›, ein ‹Geschenklein›, das man Dritten gegenüber ohne Erröten erwähnen kann, die übliche rituelle Goodwill-Geste.» Doch wieso steht das nicht klipp und klar genau so im Journalistenkodex?

Die ethischen Grundsätze zur Annahme von Geschenken sind in den Köpfen der Journalistinnen und Journalisten zu wenig verankert. Das hat auch damit zu tun, dass die letzten einschlägigen Entscheide des Presserates mehr als zehn Jahre zurückliegen und die Romandie betroffen haben. Deshalb muss der Presserat den Artikel 9 klarer formulieren und sich schleunigst wieder zu diesem Thema äussern. Doch bezeichnenderweise hat wegen der 500-Franken-Couverts niemand bei der Ethikorganisation Beschwerde eingereicht.

Reagiert haben hingegen einzelne Medienhäuser. Tamedia und NZZ überarbeiten ihre internen Reglemente. Die Chefredakteure von Axel Springer taten dies bereits im Frühling 2012. Sie haben ihren Journalisten verboten, irgendwelche Presserabatte anzunehmen, die aufgrund der journalistischen Tätigkeit gewährt werden. Anlass dafür war die Affäre um den damaligen Deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff, der selbst Geschenke angenommen hatte. «Wer zu Recht hohe ethische Massstäbe an andere stellt, sollte auch sein eigenes Verhalten überprüfen und eine klare Haltung hinsichtlich der Annahme persönlicher Vorteile haben», begründeten die Springer-Chefs die Verschärfung.

Richtig so. An Geschenke gewöhnte Medienschaffende können weder glaubwürdig Amtsträger kontrollieren noch verlässliche Informationen für demokratische Entscheide liefern. Aber auch die radikalen Anweisungen der Springer-Chefredakteure kennen zwei Ausnahmen: Besuche von Kultur- oder Sport-Veranstaltungen und Kino- und Theaterpremieren «im redaktionellen Kontext» sind vom Verzicht ausgenommen, «sofern diese das übliche, bzw. notwendige Mass der beruflichen Tätigkeit nicht übersteigen». Ausserdem dürfen Springer-Journalisten weiterhin von Unternehmensrabatten profitieren, «da es sich hierbei in erster Linie um Mengenrabatte handelt». Also darf man immer noch zum halben Preis mit Air Berlin fliegen und gratis ins Museum, muss aber für den Zoo-Eintritt zahlen, weil das weder eine Kultur- noch eine Sport-Veranstaltung ist? Oder ist das ein Mengenrabatt? Bleiben solche Fragen offen, ist die Wirkung von Richtlinien beschränkt. Denn was man nicht versteht, wendet man nicht an.

Das Problem von ethischen Richtlinien sind die Ausnahmen. Sie werden zum Einfallstor für eine schleichende Erosion der Prinzipien. Wenn man schon zum halben Preis fliegen darf, kann man doch auch gratis über Ostern ins Reka-Dorf und wo ist da der Unterschied zu den 500 Franken im Couvert? Ausflüchte und Selbstrechtfertigungen gibt es viele. Deshalb hilft nur das radikale Vorgehen: Ein Journalist, der wirklich unabhängig bleiben will, nimmt weder Geschenke noch Vergünstigungen an.

Ethische Prinzipien sind ein mögliches Mittel gegen Korruption. Geld das andere. Die wirklich effiziente Art, unabhängigen Journalismus zu stärken, ist ein angemessener Lohn. Und daran fehlt es in dieser Branche mehr und mehr. Die Löhne festangestellter Journalisten stagnieren oder sinken, freie Medienschaffende erhalten kaum mehr Kosten deckende Honorare. Deshalb sind etwa Zahlungen von Reiseanbietern ein fixer Bestandteil des Redaktionsbudgets geworden. Ohne diese Zuwendungen gäbe es kaum mehr Reisebeilagen. Wollen Medienhäuser die schleichende Korruption im Journalismus wirklich bekämpfen, müssen sie mehr Geld in die Hände nehmen.

Deshalb muss auch dieser Text etwas kosten. Und deshalb wird das Honorar an den Verein Öffentlichkeitsgesetz gespendet.

Dieser Beitrag stammt von Dominique Strebels Blog.

Erstmals erschienen ist der Text am 7. Dezember 2012 anlässlich des Antikorruptionstages im Newsletter von Transparency International Schweiz.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Jurist und Journalist Dominique Strebel beobachtet, wie Polizistinnen, Staatsanwälte, Gutachterinnen, Rechtsanwälte und Richterinnen das Recht anwenden.

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4 Meinungen

  • am 17.12.2012 um 14:36 Uhr
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    "Gemäss Branchenmagazin «Schweizer Journalist» sahen die meisten Medienschaffenden kein wirkliches Problem bei der «Spesenpauschale».» – So ist es. Was soll da noch ein Presserat, der sich, wenn man dessen Protokolle studiert, hauptsächlich damit befasst, ob die Gegenseite mit einem Telefonanruf oder Mail beehrt worden ist. Ist dies der Fall, ist der Pressrat zufrieden mit seiner Welt. Eine klare Stellungnahme zu 500-CHF-Nötli im Kuvert würde ihn überfordern. Sonst hätte er ja von sich aus mal das Thema augreifen können, was keineswegs gegen seine Statuten verstösst, wie er selbst gerne behauptet.

  • am 17.12.2012 um 16:49 Uhr
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    Das liebe Geld: Journalisten nehmen gerne Couverts mit «Spesenpauschalen» entgegen, bei der Fifa waren es «Wahlhilfen» für allmighty King Joseph,fast alle politischen Parteien in unserem Land, lassen sich von den Banken schmieren und die Schweiz landet auf der Liste von Transparency International auf dem guten 8. (oder war’s der 6.) Rang. Alles nur halb so schlimm? Oder wehret den Anfängen?

  • am 18.12.2012 um 00:06 Uhr
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    Wenn die meisten Medienschaffenden bei einer solchen Spesenpauschale kein wirkliches Problem sehen und wenn sich das Ethikgremium des Schweizer Journalismus dazu nicht äussert, dann haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dies existiert allerdings schon Jahrzehnte. Journalisten und Journalistinnen waren schon immer verführbar, wenn es um das Ausnützen einer privilegierten Position geht, und dies schon in Zeiten, als die Journis noch angemessen entlöhnt wurden. Herzlichen Dank für die Veröffentlichung dieses Artikels. Vielleicht regt er den einen oder andern Journi zur Selbstreflexion an. Sie müssen nämlich nicht auf Festsetzungen des Presserates warten.

  • am 18.12.2012 um 00:31 Uhr
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    @) Urs Alter, sagen wir’s doch offen: Der Schweizer Journalismus ist ziemlich korrupt.

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