Sperberauge

Die «Sonntags-Zeitung» bastelt eine Schlagzeile

Marco Diener © zvg

Marco Diener /  Ein paar fragwürdige Annahmen reichten – und der Titel lautete: «Viele Familien müssten auf einen Schlag 2500 Franken mehr zahlen.»

Es ist eine alte Geschichte: Seit 40 Jahren versuchen Regierung und Parlament die steuerliche Ungleichbehandlung von verheirateten und ledigen Paaren zu beseitigen. Der Auftrag kommt vom Bundesgericht. Und er stammt aus dem Jahr 1984. Doch bisher blieben alle Bemühungen erfolglos.

Morgen Mittwoch wird der Nationalrat wieder einmal über die Individualbesteuerung beraten. Für die «Sonntags-Zeitung» war das eine schöne Gelegenheit für ein paar süffige Schlagzeilen:

  • «Steuerreform: Traditionelle Familien müssen deutlich mehr zahlen», schrieb sie auf der Titelseite.
  • Im Innenteil dann: «Viele Familien im Mittelstand müssten auf einen Schlag 2500 Franken mehr zahlen.»
  • Und: «Mit Abstand am härtesten trifft die Reform Ehepaare des Mittelstandes mit traditioneller Rollenverteilung.»
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Süffige Schlagzeile – aber kaum Betroffene: «Sonntags-Zeitung» vom 4. Mai.

Um zu diesen Schlüssen zu kommen, musste die «Sonntags-Zeitung» ein paar Annahmen treffen: «Ein verheiratetes Ehepaar mit zwei Kindern. Der Vater verdient im Jahr netto 150’000 Franken. Die Mutter kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Sie verzichtet auf entlöhnte Arbeit.»

Dazu hat Infosperber ein paar Zahlen des Bundesamts für Statistik zusammengetragen:

  • In der Schweiz gibt es rund 4 Millionen Haushalte.
  • In 23,6 Prozent der Haushalte leben Kinder unter 25 Jahren. Macht also noch 944’000 Haushalte.
  • In diesen Haushalten sind 71,6 Prozent der Eltern verheiratet: Bleiben noch 676’000 Haushalte.
  • Davon sind 13,1 Prozent Einverdiener-Haushalte: Macht gerade noch 89’000 Haushalte.

Ziehen wir also eine erste Zwischenbilanz: Von den 4 Millionen Haushalten sind gerade mal 89’000 Einverdiener-Haushalte mit Kindern – also 2,2 Prozent. Die «traditionellen Familien», wie sie sich die Leute von der «Sonntags-Zeitung» vorstellen, gibt es praktisch nicht mehr. Und wenn, dann verdient der Einzelverdiener nur in seltenen Fällen 150’000 Franken netto.

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Ein Bild aus den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts? «Sonntags-Zeitung» vom 4. Mai.

Kommen wir daher zu weiteren Zahlen des Bundesamts für Statistik:

  • Der Medianlohn beträgt in der Schweiz 84’500 Franken pro Jahr.
  • Dabei handelt es sich um den Bruttolohn. Subtrahieren wir die Lohnabzüge von rund 15 Prozent, dann bleibt ein Nettolohn von 71’800.

Die «Sonntags-Zeitung» geht nicht vom medianen Nettolohn von 71’800 Franken aus, sondern rechnet mit einem angeblichen Mittelstandslohn von netto 150’000 oder brutto 176’000 Franken – für einen Alleinverdiener, wohlgemerkt.

2500 Franken? Oder eher 139 Franken?

Nur so kommt die «Sonntags-Zeitung» auf eine steuerliche Mehrbelastung von 2500 Franken. Würde sie mit dem Medianlohn rechnen, wären es bloss 139 Franken. Das wäre dann allerdings kaum der Rede wert.

Die «Sonntags-Zeitung» hat auch berechnet, dass «die durch die Reform entstehende Mehrbelastung bei Einverdiener-Ehepaaren mit höherem Einkommen im Extremfall auf gut 4000 Franken steigen» könne. Was sie nicht geschrieben hat: Der Einverdiener müsste pro Jahr netto 744’000 Franken verdienen.

«Der Mittelstand, wie er lebt, leidet und ‹chrampft›»

Auf Inside Paradeplatz hat PR-Berater Klaus Stöhlker die «Sonntags-Zeitungs»-Zahlen übernommen. Über «Familien, die nur einen Verdiener mit einem Jahreseinkommen zwischen 150’000 und 250’000 haben», schreibt er: «Das ist der klassische Schweizer Mittelstand, wie er lebt, leidet und ‹chrampft›.» Auch Stöhlker täte gut daran, einen Blick auf die Zahlen des Bundesamts für Statistik zu werfen. Dann sähe er, dass, wer «chrampft», in der Regel deutlich weniger verdient.

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Um die angeblich grossen steuerlichen Auswirkungen des Systemwechsels zur Individualbesteuerung aufzuzeigen, veröffentlichte die «Sonntags-Zeitung» auch zwei Grafiken. Die eine reicht bis zu einem Einkommen von 600’000 Franken pro Jahr, die andere bis zu einem Einkommen von 1 Million Franken. Auch das sind nicht unbedingt Mittelstands-Einkommen.


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5 Meinungen

  • am 6.05.2025 um 12:11 Uhr
    Permalink

    Aber wie soll das laufen mit der getrennten Veranlagung als Pensionist, seit 40 Jahren verheiratet, wo soll man die Grenzen ziehen beim Vermögen. Hypo, Versicherungen, EW, Auto Konten usw.
    Ist doch ein absoluter Humbug was die da machen wollen. Ja nur falls man wählen kann zwischen neuer Veranlagung und alter Methode.
    Und vor allem wo bleibt die Abschaffung der Heiratsstrafe, wo?
    Auch nach dieser Methode bleibt es bei 150% AHV für Paare und nicht 200%.
    Das ist es doch was und die CVP (Mitte) mal versprochen hatte.

    • am 7.05.2025 um 09:08 Uhr
      Permalink

      Wenn das eingeführt wird, ist es, wie wenn sich alle Ehepaare in der Schweiz sich scheiden lassen. Da haben Sie schon recht, es ist ein Murks. Vielleicht haben sich einige Leute gedacht, ja es lassen sich viele Paare scheiden heutzutage, also haben wir Erfahrungswerte, wie man vorgeht, und wir wollen die Besteuerung vereinfachen, dann ist es am Anfang mühsam aber dann haben wir in Zukunft weniger Bürokratie. Ja mal schauen, ob es mit dieser «schönen» Idee funktioniert. Meine Haltung zu dieser Reform ist weder-noch, denn ich unterstütze alles, was zu weniger Bürokratie führt, bin aber skeptisch mit dieser Reform. Wollen wir wirklich alle Ehepaare in der Schweiz «scheiden» lassen? Ja mal schauen!

      Nun möchte ich die hypothetischen Auswirkungen auf unsere Familie selber ausrechnen. Ich habe Herrn Diener gefragt.

  • am 6.05.2025 um 13:36 Uhr
    Permalink

    Überall kann man tolle Berechnungen lesen, aber was ist mit Rentnerehepaaren ? Meine Ehefrau erhält keine Pensionskassenrente, weil sie kaum erwerbstätig war. Aber sie hätte bei einer Scheidung vor meiner Pensionierung die Hälfte des PK-Kapitals bekommen. Nun soll ich bei der Individualbesteuerung die ganze PK-Rente alleine versteuern und damit die entsprechende Progression ertragen. Für die Lösung dieses Problems habe ich noch keine Lösung gelesen, wie zB die Halbieruung des Renteneinkommens auf beide Ehepaare.

  • am 6.05.2025 um 18:43 Uhr
    Permalink

    Herr Diener, ich würde gerne selber ausrechnen, welche Folgen die Reform auf die Steuern in gewissen Lebenssituationen hätte, insbesondere auf die meiner Familie.

    Können Sie mir etwas empfehlen?

    Im Kanton Bern könnte ich Taxme verwenden und vielleicht hypothetische Eingaben machen. Ist das eine gute Idee?

    • Portrait Marco Diener.1 Kopie
      am 7.05.2025 um 08:06 Uhr
      Permalink

      Herr Ly, da kann ich Ihnen leider keinen guten Rat geben. Sollte die Individualbesteuerung tatsächlich kommen, ist noch überhaupt nicht klar, ob und wie die Kantone sie umsetzen würden. Die Zahlenspielereien der «Sonntags-Zeitung» betreffen ausschliesslich die Direkte Bundessteuer.

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