Kommentar

«Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Betroffenen»

Heribert Prantl © Sven Simon

Heribert Prantl /  Mit Schaudern erinnert sich unser Autor an die Aids-Diskussionen vor 40 Jahren in Deutschland. In den USA klingt es wieder ähnlich.

Heute ist der Welt-Aids-Tag. Seit Beginn der Aids-Epidemie sind weltweit mehr als 42 Millionen Menschen gestorben. Die jährliche Zahl der Todesfälle ist dank antiviraler Therapien in den vergangenen 20 Jahren ganz erheblich gesunken.

Vor 40 Jahren …

Vor 40 Jahren fand in Atlanta, USA, die erste Welt-Aids-Konferenz statt. Vor 40 Jahren begann in Deutschland die Aids-Prävention. Vor 40 Jahren erschien die erste offizielle Information der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über Aids. Vor 40 Jahren wurde die Deutsche Aidshilfe als bundesweite Organisation gegründet. Vor 40 Jahren wurde in der Bundesrepublik die Professorin Rita Süssmuth Bundesgesundheitsministerin. Vor 40 Jahren begannen die Deutschen zu lernen, was HIV ist und was Aids ist: HIV ist die Infektion mit dem Immunschwäche-Virus und Aids die Spätfolge dieser Infektion. Vor 40 Jahren wusste man noch nicht viel davon.

«Aids bleibt!»

Es gab einen erbitterten politischen Streit darüber, ob die damals tödliche Krankheit mit Repression, also mit Ausgrenzung, Stigmatisierung und Internierung bekämpft werden soll – oder aber mit Prävention und Aufklärung. Die politische Linie der neuen Ministerin Rita Süssmuth war klar: «Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Betroffenen.» Dieser Leitsatz war erfolgreich, obwohl das anfänglich gar nicht so aussah. Heidrun Graupner, die damalige Kommentatorin für Gesundheit und Medizin der «Süddeutschen Zeitung», war auf der Seite der neuen Ministerin und der Enquete-Kommission des Bundestags, setzte auf Beratung und Aufklärung: «Auch wenn die Inquisition kommt – Aids bleibt!»

Die «Schwulenpest»

In den Koalitionsverhandlungen von 1987 zeigten die CSU und eine konservative Mehrheit in der CDU der Ministerin Süssmuth noch, dass man ihren Präventionsweg konterkarieren werde. Sie sprachen von der «Lustseuche» und von der «Schwulenpest», setzten auf Zwangsethik, Zwangstests, auf Sondermassnahmen gegen sogenannte «Risikogruppen», gemeint waren Homosexuelle. Die Süssmuth-Gegner warnten vor einer «Sexualisierung der Öffentlichkeit» und der angeblichen Förderung «promiskuitiven» Verhaltens durch Kondom-Werbung. Franz Josef Strauss sprach von «widerlichen Kondom-Verteil-Aktionen». In der CSU und in kirchlichen Kreisen wurde stattdessen gefordert, die Enthaltsamkeit, die Treue und eine «Änderung der Lebensgewohnheiten» zu propagieren.

«Tiiina, wat kosten die Kondome?»

Süssmuth gelang es, sich durchzusetzen. Dazu beigetragen hat der legendäre Fernsehspot mit Hella von Sinnen und Ingolf Lück an der Kasse. «Tiiina, wat kosten die Kondome?», brüllt die Kassiererin durch den Supermarkt. Der TV-Spot wurde ein Renner der Aids-Aufklärung.

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«Tiiina, wat kosten die Kondome?»

Eigentlich sollte Tina damals Rita heissen, in Anspielung auf die CDU-Ministerin – aber das ging dann 1990 doch noch zu weit. Später resümierte Süssmuth das so: «Die Auseinandersetzung mit Aids, die so aussichtslos erschien wie nur irgendetwas, hat mir das erste Mal gezeigt: Veränderung ist doch möglich.» Ohne eine starke Zivilgesellschaft, so sagte sie, hätte sie es nicht geschafft. Im Herbst 1987 sprach sich die Bevölkerung erstmals in grosser Mehrheit für Aufklärung, Selbstschutz und verstärkte Eigenverantwortlichkeit aus.

Kennedy Jr. ist ein Anti-Süssmuth

Jahrzehnte später, seit Anfang 2025, ist in den USA ein Anti-Aufklärer am Werk: Robert F. Kennedy Jr., der von Trump berufene US-Gesundheitsminister, leugnet die wissenschaftlichen Erkenntnisse über HIV und Aids. Er kürzt und stoppt die US-Gelder für einschlägige nationale und globale Gesundheitsprogramme. Dieser Kennedy ist ein Anhänger von Verschwörungsmythen. Er ist ein Anti-Süssmuth. Die bisherigen Erfolge im Kampf gegen Aids sind in Gefahr.

Manche Äusserungen von Robert F. Kennedy Jr. erinnern an die konservative Kampagne in der Bundesrepublik vor 40 Jahren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien zuerst als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.
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