Revlimid-Kapseln

Fabrikabgabepreis für 21 Kapseln: 2482,70 Franken. Kapseln mit einer Dosis von 2,5 Milligramm sind rund 185 Franken «günstiger». © Drugs. com

Revlimid: 25 Cent für die Herstellung, 1000 Dollar im Verkauf

Albrecht Kieser /  Das Beispiel eines der meistverkauften Krebsmedikamente zeigt, wie Pharma-CEOs Prämienzahler und Kranke schröpfen.

Was die Preispolitik der Pharmaindustrie für Erkrankte bedeutet, die auf teure Medikamente angewiesen sind, schildert der Journalist David Armstrong auf ProPublica, einem non-profit online-newsroom, das vor kurzem für einen der veröffentlichten Beiträge den Pulitzer-Preis erhalten hat.

Armstrong wird wegen eines Multiplen Myeloms, einer seltenen Krebserkrankung, behandelt, und zwar mit «Revlimid». Das Mittel wird weltweit gegen das Multiple Myelom eingesetzt, einen Blutkrebs, «der Knochen verwüstet und markante Löcher hinterlässt», wie der Autor schreibt.

Der Preis ist bis zu 4000-mal höher als Herstellungskosten

«Revlimid ist heute eines der meistverkauften pharmazeutischen Produkte aller Zeiten, mit einem Gesamtumsatz von mehr als 100 Milliarden US-Dollar. Es hat Zehntausende von Leben verlängert», notiert Armstrong. «Aber Revlimid ist aussergewöhnlich teuer, fast 1000 Dollar für jede tägliche Pille. Obwohl, wie ich später herausfand, eine Kapsel nur 25 Cent kostet.»  

In Deutschland kostet eine Original-Packung mit 21 Kapseln über 8000 Euro, in der Schweiz – je nach Dosis – mindestens 2300 Franken (ohne Mehrwertsteuer), wobei der Hersteller der Versicherung unter Umständen einen nicht genannten Betrag zurückerstattet. Der günstigste Fabrikabgabepreis für eine Generikum-Packung liegt hier zu Lande bei rund 690 Franken. Mit Rabatt ist in den USA eine Packung ab etwa 300 Dollar erhältlich.

Über zwei Dutzend Mal den Preis erhöht

Der Preis von «Revlimid», so fand Amstrong heraus, wurde seit seiner Einführung 26-mal erhöht. «Revlimid» enthält den Wirkstoff Lenalidomid. Lenalidomid ist chemisch verwandt mit Thalidomid, dem Wirkstoff von «Contergan», das in den 50er und 60er Jahren tausende ungeborene Kinder im Mutterleib schädigte, weil die Schwangeren dieses damals als «absolut harmlos» und «frei von unvorhergesehenen Nebenwirkungen» angepriesene Beruhigungs- und Schlafmittel verschrieben bekommen hatten.

Der Hersteller Celgene hatte 1992 die Rechte an Thalidomid-Patenten erworben und wollte Thalidomid zur Entwicklung anderer Medikamente nutzen, gegen Aids oder gegen Lepra. Bis ein Forscher, Seema Singhal, herausfand, es könne erfolgreich gegen das Multiple Myelom eingesetzt werden. Die Studienergebnisse wurden 1998 präsentiert, danach wurde der Preis für das Medikament unter dem Namen «Thalomid» moderat heraufgesetzt, auf 7,50 Dollar pro Pille. Der Umsatz des Unternehmens schoss um das Siebenfache in die Höhe, auf 26,2 Millionen Dollar.

In den Folgejahren stützte sich «Celgene auf das Patentrecht, das US-Arzneimittelsicherheitssystem und Patientenhilfeprogramme, um die Exklusivität seines wertvollen Medikaments und die massiven Einnahmen, die es erzielte, zu schützen», schreibt Armstrong. Als Monopolanbieter konnte Celgene den Preis seines wertvollen Medikaments beständig hinaufschrauben.

Celgene blockte Generika-Hersteller über Jahre ab

2005 brachte Celgene eine leichte Abwandlung von «Thalomid» unter den Namen «Revlimid» auf den Markt, für 218 Dollar pro Pille. Sieben Monate später, als die FDA, die US-Arzneimittelbehörde auch dieses Medikament zur Bekämpfung des Multiplen Myeloms zuliess, wurde der Preis auf 280 Dollar pro Pille heraufgesetzt.

Interessenten, die rechtzeitig vor Ablauf des Patents erforschen wollten, ob sie preisgünstigere, nicht patentrechtlich geschützte Medikamente für denselben Behandlungszweck herstellen könnten, versuchte Celgene jahrelang abzublocken. Armstrong zufolge verweigerte Celgene ihnen den Ankauf grösserer Mengen «Revlimid», an denen sie ihre Forschungen hätten durchführen können.

Die FDA warnte das Unternehmen und drohte ihm 2012 ein Verfahren an, um diese Blockade zu beenden. Doch nun nutzte Celgene die US-Sicherheitsauflagen. Sie seien hoch, argumentierte die Firma, es müsse verhindert werden, dass Schwangere das Medikament einnehmen. Denn es führe zu Fehlbildungen beim Fötus. Deshalb könne Celgene es nicht verantworten, das Medikament an Generikahersteller zu verkaufen. Die FDA überzeugte das nicht, sie drohte 2013, nun tatsächlich ein Verfahren gegen Celgene einzuleiten.

… und trieb den Preis weiter in die Höhe

Den Preis für «Revlimid» steigerte Celgene während dieser Hinhaltetaktik auf 469 Dollar pro Pille, der Umsatz mit dem Medikament wuchs auf 5 Milliarden Dollar.

2015 klagte der Generikahersteller Natco Pharma auf Herausgabe hinreichender Mengen des Medikaments. Celgene stimmte zu, Natco dürfe – allerdings erst ab März 2022 – ein eigenes Medikament auf den Markt bringen. Nun erhöhte Celgene den Preis bis Ende des Jahres 2017 auf 662 Dollar pro Pille. Das machte «Revlimid» in diesem Jahr zum teuersten Medikament, welches das staatliche Versicherungsprogramm Medicare abgab. 3,3 Milliarden Dollar gab Medicare aus, um «Revlimid» an 37’459 Patienten zu liefern.

Die Preiserhöhungen hätten viele Patienten, die das Medikament selbst bezahlen mussten, an den Rand des Ruins gebracht, so Armstrong. Sie hätten Hypotheken aufgenommen, ihre Rentenfonds vorzeitig aufgelöst oder ihre täglichen Ausgaben wie Lebensmittel gekürzt, um «Revlimid» zu bezahlen. Oder sie hätten sich zum Abbruch der Medikation gezwungen gesehen – und zu ihrem früheren Tod.

Pharma-Chefs vergoldeten sich das Leben

Die Führungskräfte von Celgene hingegen erhöhten ihre Einnahmen. «Insgesamt zahlte Celgene in den zwölf Jahren, nachdem Revlimid zugelassen wurde, einer Handvoll Top-Führungskräfte etwa eine halbe Milliarde Dollar. Robert Hugin, der als CEO von Celgene und dann als Executive Chairman tätig war, erhielt von 2015 bis 2017 eine Gesamtvergütung in Höhe von 51 Millionen Dollar.»

Die oft vorgetragene Behauptung von Pharmafirmen, die hohen Preise seien nötig, um die hohen Forschungskosten bestreiten zu können, widerlegte Celgene selber. Armstrong: «Celgene sagt, es habe 800 Millionen Dollar ausgegeben, um Revlimid zu entwickeln, und gab zusätzlich mehrere hundert Millionen für zusätzliche Studien aus, um die Verwendung des Medikaments bei anderen Krebsarten zu untersuchen. Diese Gesamtzahlen machen bis 2018 etwa zwei bis drei Prozent des Revlimid-Umsatzes aus.»

2019 gab Celgene bekannt, die Pharmafirma Bristol Myers Squibb werde das Unternehmen für 74 Milliarden Dollar übernehmen. Die Top-Führungskräfte von Celgene erhielten nach Abschluss des Deals 27,9 Millionen Dollar zusätzlich.

«Besser darin geworden, Geld zu verdienen»

Als 2020 der US-Kongress das Preisgebahren der Pharmaindustrie untersuchte, wurden auch Fragen zu «Revlimid» gestellt. Die Abgeordnete Katie Porter habe das Ergebnis der Anhörung so zusammengefasst, berichtet Armstrong: «Das Arzneimittel wurde nicht besser. Den Krebspatienten ging es nicht besser. Sie (Celgene) sind einfach besser darin geworden, Geld zu verdienen.»

Während US-Präsident Trump dieser Tage verspricht, er werde das hohe Preisniveau von Medikamenten in den USA senken, hat die Grosse Koalition in Deutschland ähnlich Pläne angekündigt. Die deutsche Antikorruptions-Ärzteinitiative Mezis wirft ihr jedoch leere Versprechungen vor. Niklas Schurig, Vorstandsmitglied bei Mezis: «Die sogenannten ‹Pharma-Dialoge› sind ein schönes Beispiel für gelungenen Profit-Lobbyismus: Hier verabreden die Regierungsspitzen mit den Pharma-Chefs hinter verschlossenen Türen intransparente Deals.»

So viel bezahlten Schweizer Krankenversicherungen für «Revlimib»

In der Schweiz wurde «Revlimid» 2007 zugelassen. Im Jahr 2016 gehörte es erstmals zu den 20 Medikamenten, welche die höchsten Kosten verursachten. Mitte 2016 wurde das Arzneimittel für weitere Anwendungsgebiete zugelassen. Deshalb kamen mehr Patienten als früher für eine Behandlung damit in Frage. Die Anzahl der mit «Revlimib» behandelten Personen erhöhte sich um 30 Prozent. «Diese Steigerung der Patientenzahl schlug sich jedoch bis Mitte 2017 nicht auf den Preis des Medikaments nieder», berichtete der Helsana-Arzneimittelreport 2018.

Erst am 1. Juni 2017 sei der Preis gesunken, von 6665 Franken (5 mg-Dosis, 21 Kapseln) bzw. 8056 Franken (25 mg-Dosis, 21 Kapseln) auf damals 5423 bzw. 6545 Franken (5 mg- respektive 25 mg-Dosis, 21 Kapseln). Das entsprach einer Preissenkung von rund 19 Prozent. «Im Vergleich zum Zuwachs an Patienten sanken die Preise weniger stark», stand im Helsana-Arzneimittelreport.

2019 wurde hier zu Lande das erste Lenalidomid-Generikum zugelassen, mittlerweile sind mehrere auf dem Markt.

JahrAusgaben für Revlimid in der Schweiz (Hochrechnung)Rang unter den 15 kostenintensivsten Wirkstoffen
201660’720’43614
201768’396’87212
201880’451’4968
201985’165’9159
202095’525’760 8
2021100’050’1847

Quelle: Helsana Arzneimittelreports

Medikamente als «grösster Kostenblock der Grundversicherung»

Über neun Milliarden Franken bezahlten die Krankenversicherungen laut dem Helsana Arzneimittelreport im Jahr 2023 für Medikamente. Arzneimittel waren demnach der «grösste Kostenblock der Grundversicherung». Die vielen, oft sehr teuren Medikamente, welche die Spitäler einsetzen, sind bei den neun Milliarden nicht mitgerechnet. Insgesamt müssen die Kassen etwa ein Viertel aller Grundversicherungsprämien für Medikamente ausgeben.

In Deutschland gab die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) 2023 rund 28,6 Milliarden Euro für patentgeschützte Arzneimittel aus. Das entsprach laut dem wissenschaftlichem Institut der Krankenversicherung AOK (Wido) mehr als der Hälfte der Nettoausgaben für Medikamente. Zugleich sank der Anteil patentgeschützter Präparate auf 6,7 Prozent der verordneten Tagesdosen – 40 Prozent weniger als noch vor zehn Jahren. Sorgen bereiten laut der AOK vor allem «Hochpreiser» mit einem Apothekenverkaufspreis von mindestens 1000 Euro. Ihr Anteil stieg von 27,6 Prozent (2014) auf 47,6 Prozent (2023). Damit gab die GKV im vergangenen Jahr knapp jeden zweiten Arzneimittel-Euro für nur 1,5 Prozent der Gesamtrezepte aus. (ak/mfr)


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