Zika_Baby

Betroffen sind vor allem ärmere Bevölkerungsschichten: Zika-Baby in Brasilien © DAZ

Der Staat bezahlt, die Pharmaindustrie macht Kasse

Red. /  Hohe Medikamenten-Preise werden oft mit hohen Forschungskosten begründet. Wer aber bezahlt eigentlich die Forschung?

Der Vorgang ist bekannt: Mit staatlichen Forschungsgeldern wird ein medizinischer Durchbruch erreicht, die Lizenz aber geht an einen privatwirtschaftlich betriebenen Pharmakonzern. Dieser macht das Medikament für normalverdienende Leute durch (zu) hohe Preise unerschwinglich – und verdient seinerseits Milliarden.

Der jüngste solche, noch hängige Fall betrifft, wie das US-amerikanische Magazin The Nation berichtet, einen neu entwickelten Impfstoff gegen das Zika-Virus. Wird eine schwangere Frau mit diesem Virus infiziert, kann das erwartete Kind mit Mikrozephalie, blind, gehörlos und andern Behinderungen zur Welt kommen.
Obwohl noch im Versuchsstadium, ist der neue Impfstoff vielversprechend. Entwickelt wurde er im Walter-Reed-Armeeforschungsinstitut, finanziert wurde die Entwicklung vom «Department of the Army». Und nun plant die Armee, die Exklusivrechte zur Verwertung dieses möglicherweise bahnbrechenden Medikaments dem französischen Pharmakonzern Sanofi Pasteur zu übertragen – begleitet mit bis zu 173 Millionen Dollars an Mitteln des Gesundheitsministeriums. Sanofi ist ein global tätiger Pharmakonzern, sieht sich zurzeit aber auch etlichen Anschuldigungen wegen überhöhter Preise und Betrug gegenüber. Falls das neue Medikament sich als wirksam erweist, kann der Sanofi-Konzern dafür in den Vereinigten Staaten und in vielen andern Ländern praktisch verlangen, was er will. Letztlich könnte der Impfstoff so ausgerechnet für die verwundbarsten Bevölkerungsschichten unerschwinglich werden, ebenso wie für jene Staaten, die am knappsten bei Kasse sind. Die vor dem Senat liegende Revision der Krankenkassengesetzgebung verschärft die Aussicht: Die Vorlage würde die Bundesmittel an die Medicaid-Krankenkasse für die Minderbemittelten drastisch kürzen und die Bundesstaaten vor die Wahl stellen, Leistungen abzubauen oder die Lücke durch Steuererhöhungen aufzufangen.

Gemäss dem Bericht in The Nation haben etliche Aktivisten und Parlamentarier sich dem für den Handel mit Sanofi notwendigen Gesetz bereits entgegengestellt, nachdem die Nichtregierungsorganisation Knowledge Ecology International (KEI) im vergangenen Jahr als erste Alarm schlug. Nun hat die Kampagne neuen Schub erhalten, da Volksvertreter aus Florida, darunter Senator Bill Nelson und neun Angehörige des Repräsentantenhauses, Einsprachebriefe an Robert Speer, den zuständigen Beamten im Armeeministerium, geschrieben und veröffentlicht haben.
Sie fordern öffentliche Anhörungen, bevor irgendeine Lizenzvereinbarung unterschrieben wird. «Einem einzigen Hersteller exklusive Kontrolle über einen verzweifelt gesuchten Impfstoff zu geben, könnte ein Umfeld schaffen, in dem der Impfstoff für diejenigen, die ihn am dringendsten brauchen, unerschwinglich wird», zitiert The Nation den Brief von Nelson. «Angesichts der beträchtlichen Bundesinvestition und des Bedarfs halte ich es für unabdingbar, dass der Impfstoff für die Steuerzahler, die bereits in die Erforschung und die Entwicklung des Impfstoffs investiert haben, verfügbar bleibt und auch kostenmässig zugänglich ist.»

Auch Senator Bernie Sanders aus Vermont, der Bewerber für die US-Präsidentschaft, hatte der Armee zum Fall Zika geschrieben. «Die amerikanischen Konsumenten könnten zweimal zahlen müssen – einmal mit den Steuerdollars für die Entwicklung dieses Impfstoffs und dann an das Pharma-Unternehmen, dem erlaubt sein würde, für dieses Medikament jeden Preis zu verlangen, den es sich ausdenkt, falls und sobald es für den Markt frei gegeben ist.»

In einem offenen Brief zuhanden der New York Times forderte Sanders Präsident Trump auf, diesen «bad deal» abzublasen. Er hielt fest, dass der CEO von Sanofi 4,5 Millionen Dollars pro Jahr verdient. Und er machte darauf aufmerksam, dass US-Institutionen schon in der Vergangenheit Medikamenten-Patente verschenkt haben, nur um in der Folge überzogene Preise dafür zu bezahlen.

Die Armee hat diese Einwände bisher beiseite geschoben. Für den Fall, dass die Armee Sanofi eine Exklusivlizenz gibt, müsse Sanofi zur Bedingung gemacht werden, den Impfstoff zu einem erschwinglichen Preis abzugeben, forderten KEI, Sanders und andere. Im April lehnte die Armee diese Forderung ab. Sie machte geltend, keine Befugnis für Preiskontrollen zu haben. Stattdessen ersuchte die Armee Sanofi, freiwillig einen erschwinglichen Preis für den Impfstoff festzulegen, was Sanofi ablehnte.

Zika – besonders bedrohlich für die Armen im Süden

Die Opfer von Zika sind die Hilflosesten unter uns – Neugeborene, vor allem diejenigen, welche in Armut zur Welt kommen. Das Virus wird von Moskitos übertragen und ist vor allem im Süden verbreitet. Innerhalb der US-Grenzen kam es in Puerto Rico zu den meisten Zika-Fällen, gefolgt von Louisiana und dem Süden Floridas, meist in Schichten mit niedrigen Einkommen, die in der Nähe von Sümpfen leben. Wie im vergangenen Jahr breit berichtet wurde, wird zwischen dem Virus und einer Anzahl Geburtsschäden ein Zusammenhang hergestellt. Zwischen 5 und 10 Prozent der Geburten von Zika-infizierten Müttern weisen Abnormitäten auf.

Heute beherrscht Zika die Schlagzeilen nicht mehr so wie im vergangenen Jahr – zumindest noch nicht. Wissenschafter sorgen sich allerdings, dass das Virus im Sommer in grossem Massstab zurückkehren könnte. Christine Curry, eine Geburtshelferin und Assistenzprofessorin an der University of Miami, arbeitet mit Risiko-Bevölkerungsschichten in Süd-Florida und sagte gegenüber The Nation, es sei schwierig, die Ausbreitung der Krankheit zu begrenzen. Prävention erfordere, sich von Moskitos fernzuhalten, was in der Regel bedeute, im Hausinnern zu bleiben – keine praktikable Lösung für Menschen ohne Air Condition oder solche, die draussen arbeiten müssen. Weil Zika auch sexuell übertragen werden könne, schliesse Prävention auch «männliches Einverständnis» mit ein, sagte Curry. Gemeint damit ist die Verwendung von Kondomen.

«Am stärksten bedroht sind Frauen, die in Armut leben und (auf die USA bezogen, Red.) nicht Englisch sprechen», sagte Curry, «aber gerade diese bedrohten Frauen haben keine Lobbyisten im US Capitol. Sie können es sich nicht leisten, früheren Regierungsbeamten hochbezahlte Positionen anzubieten». Sanofi aber habe beides. Und KEI-Direktor Jamie Love ergänzte: «Sanofi ist wegen dieser Sache überall im Capitol zugegen.» Elias Zerhouni, bei Sanofi Konzernpräsident für globale Forschung und Entwicklung, ist ein ehemaliger Direktor der National Institutes of Health, der bedeutendsten staatlichen medizinischen Forschungsstelle in den USA. Die Pharmaindustrie beschäftigt allein in den USA 1100 Lobbyisten.

Grosse Zahlungen des Staates an die Pharmakonzerne

Das Gesundheitsministerium hat dem Sanofi-Konzern bereits 43 Millionen Dollar für die zweite Phase klinischer Prüfungen des Impfstoffs zugesagt; eine erste Phase, die im Gange ist, ist direkt vom Staat bezahlt worden. Das Ministerium plant nun, dem französischen Konzern weitere 130 Millionen Dollars zu geben, um das Medikament durch die verbleibenden klinischen Tests und zur Marktreife zu bringen.
Der Sanofi-Konzern ist allerdings nicht nur bekannt für medizinische Erfolge. Zur Vergangenheit des Konzerns gehören auch etliche Kontroversen über seine Preispolitik: von einer 190-Millionen-Dollar-Busse zur Beilegung von Anklagen wegen Betrugs von Medicare und anderen staatlichen Programmen bis zu einer 109-Millionen-Dollar-Busse zur Beilegung von Anklagen wegen illegaler Kickback-Zahlungen an Ärzte. 2014 behauptete ein Whistle-Blower, der Konzern habe sich an einem weiteren Kickback-System beteiligt und habe rechtserhebliche Beweismittel zerstört. KEI verfügt über eine umfassende Liste aller Betrugsbussen von Sanofi, darunter auch die jüngste: Ein 20-Millionen-Dollar-Vergleich im vergangenen April wegen überhöhter Preisforderungen gegenüber dem US-Veteranenministerium.

Das Problem ist nicht nur Sanofi

Das Problem im Hintergrund ist viel grösser als Sanofi. Es liegt in der Art und Weise, wie der Staat in den USA mit Wissen umgeht, das mit öffentlichen Mitteln entwickelt wurde, schreibt The Nation. Zu oft enden öffentlich finanzierte Entdeckungen und Entwicklungen in exzessiven privaten Profiten, während der öffentliche Zugang zu neuer Information und neuen Technologien limitiert wird. Dean Baker, ein Ökonome am Center for Economic and Policy Research, macht darauf aufmerksam, dass das System der Patentierung von Medikamenten in den Vereinigten Staaten enorme direkte und indirekte Kosten mit sich bringt. «Die Amerikaner haben eine Krise bei den Medikamentenpreisen vor sich», sagt Baker, «ein radikaler – und notwendiger – Umbau bei den Medikamenten-Patenten aber könnte Millionen von Menschen das Leben retten und/oder Linderung in ihren Krankheiten bringen.»

Die Medikamentenpreise sind in den USA zurzeit ein besonders aktuelles Thema, da mit dem von Donald Trump geforderten und geplanten Abbau von Obamacare Millionen von US-Bürgern jeder Krankenversicherungsschutz verloren zu gehen droht.

Und wie ist es in Europa?

Auch in den europäischen, meist staatlichen Universitäten wird im medizinischen Bereich viel geforscht. Transparenz, wieviel die öffentliche Hand für die Forschung zahlt, und wer schliesslich an den Medikamenten – und wieviel – verdient, gibt es nicht. Verträge zwischen staatlichen Forschungsinstituten und Pharmafirmen bleiben weitestgehend unter Verschluss.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Die in diesem Artikel gegebenen Informationen und Zitate sind aus einem Artikel von Richard Eskow in «The Nation», einer US-amerikanischen Zeitschrift, die den Trend zur Privatisierung möglichst vieler öffentlichen Aufgaben kritisch begleitet.

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

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Eine Meinung zu

  • am 29.06.2017 um 15:18 Uhr
    Permalink

    Die Redaktionsleitung hat die bisherigen Meinungseinträge gelöscht. Es wurde die falsche Behauptung verbreitet, dass es weder ein Virus gibt, das die Zika-Fälle verursacht, noch ein Virus, das die Masern-Erkrankung bewirkt. Erfreulicherweise hatten andere Leser darauf reagiert und auf die Falschinformationen hingewiesen.

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