Arztbetrger_NationalNews

Patientinnen und Patienten sollen nicht wissen, ob ihr Arzt ein verurteilter Kassenbetrüger ist. © NationalNews

Dieser Arzt ist ein uneinsichtiger Betrüger

Urs P. Gasche /  Er ist Allgemein-, Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, Schularzt und Vertrauensarzt im Strassenverkehr.*

Ein Arzt aus der Region Bern stellte der Krankenkasse Visana – und wahrscheinlich auch anderen Kassen – Rechnungen für Leistungen aus, die er gar nicht erbracht hatte. Er handelte «gewerbsmässig» und hat sich «unrechtmässig bereichert», heisst es in einem rechtskräftigen Strafbefehl vom 28. März 2017. Der Berner Staatsanwalt verurteilte den Arzt wegen «mehrfacher Urkundenfälschung» zu einer aufgeschobenen Geldstrafe von 18’000 Franken und setzte eine Probezeit von zwei Jahren an. Die Kosten des Verfahrens von 4’869.40 Franken sowie eine Parteientschädigung an die Krankenkasse Visana von 4’500 Franken musste der Arzt sofort zahlen.
Innerhalb von zwei Jahren hat Visana gemäss Strafbefehl einen Schaden von 35’515 Franken erlitten.
Diese zu Unrecht kassierte Summe hat der Arzt der Krankenkasse bis heute nicht zurückbezahlt. Nach eigenen Angaben sah sich Visana unterdessen gezwungen, gegen den Arzt ein Betreibungsverfahren zu eröffnen.

«Absichtliche Bereicherung»

Er habe «in der Absicht» einer Bereicherung gehandelt, heisst es in der Begründung des Strafbefehls: «Durch Verwendung von nicht geschuldeten bzw. nicht erbrachten Leistungen … waren die elektronischen Rechnungen inhaltlich falsch (Falschbeurkundung), was er [der Arzt] wusste
Seine aufgedeckten betrügerischen Taten beging der Hausarzt in einem Pflegeheim bei Bern. Die dortigen Patientinnen und Patienten hatten die verrechneten Leistungen nicht kontrolliert – soweit sie die Rechnungen überhaupt zu Gesicht bekamen.
Der Strafbefehl hält folgenden Tatbestand fest:

  • Der Arzt verrechnete im Pflegeheim Tarifposten wie «Konsultation» oder «Zuschlag für hausärztliche Leistungen in der Arztpraxis», obwohl diese Patientinnen und Patienten nie in seiner Praxis waren.
  • Innerhalb von zwei Jahren verrechnete der Arzt der Visana 330 mal die Tarifposition «Instruktion von Selbstmessungen», «obwohl die Patienten im Pflegezentrum … selber keine Messungen durchgeführt haben».
  • Der Arzt stellte die Tarifposition, «Vorbesprechung diagnostischer/therapeutischer Eingriff mit Patienten / Angehörigen» in Rechnung, «obwohl fast nie ein Eingriff durchgeführt wurde oder bevorstand».

Noch kein Geld zurückbezahlt

Bis heute hat der Arzt der Krankenkasse Visana die zu Unrecht verrechneten 35’515 Franken nicht zurückbezahlt. Er begründet dies gegenüber Infosperber damit, er «stehe leider mit der Visana nicht in einem direkten Kontakt». Und es würden «meinerseits zur Eintreibung stehende Forderungen bei der Krankenversicherung» bestehen.
Auch andere Krankenkassen betroffen

Nicht alle Patientinnen und Patienten des Pflegeheims waren bei der Visana versichert.
Infosperber fragte den Arzt: «Falls gleiche oder ähnliche Fehler bei andern Kassen passiert sind: Haben Sie den betroffenen Kassen zu viel verlangte Honorare zurückbezahlt?» Er antwortete mit «nein». Von Forderungen oder von Strafanzeigen anderer Kassen wisse er nichts.

Doch schon Mitte Juli war eine Strafanzeige der Krankenkasse KPT hängig, wie KPT Infosperber bestätigte: «Wir beschuldigen den Arzt, dass er die KPT bewusst mit falschen Abrechnungen getäuscht und betrogen hat.»

Die Kasse Helsana strebe mit dem Arzt einen Vergleich mit Rückzahlungen an, erklärte Sprecher Stefan Heini. «Strafanzeigen dauern lange und kosten viel», begründete er.

Bei der Krankenkasse CSS mahlen die Mühlen etwas langsamer. Sie teilte Infosperber mit: «Wir hatten bereits [ab 4. Mai] Abklärungen in die Wege geleitet. Diese Abklärungen sind jeweils relativ langwierig, da wir nur die Rechnungen vorliegen haben. Die Krankheitsgeschichte müssen wir von den Ärzten verlangen. Insbesondere im Fall von tatsächlichen Differenzen ist deren Kooperationsbereitschaft jeweils ziemlich gering. Das Ganze zieht sich in die Länge. Wie erwähnt, sind wir derzeit mitten in den vertieften Abklärungen
Die Krankenkasse Concordia behauptete noch am 20. Juli, sie kenne den Namen des verurteilten Arztes nicht. Concordia war über den Fall informiert, seit die «Berner Zeitung» am 4. Mai über die Strafanzeige der Visana und den Strafbefehl informierte, ohne allerdings den Namen des verurteilten Arztes zu nennen. Offensichtlich hatte sich Concordia bei der Visana nicht erkundigt, um welchen Arzt es sich handelt.

Die Groupe Mutuel will «aus Datenschutzgründen» nicht bekannt geben, ob sie gegen den verurteilten Arzt ein Verfahren führt. Sie könne nicht auf einzelne, eventuell laufende Verfahren eingehen, solange kein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Die Kasse wollte Infosperber allerdings nicht mitteilen, welche Vorschrift des Datenschutzes oder welche andere Rechtsnormen es der Kasse angeblich verbieten, darüber zu informieren, ob sie den Fall des Berner Arztes untersucht, und ob sie ein Verfahren eröffnet hat.

«Strafbefehl nie in die Hand bekommen»

Trotz rechtskräftigem Urteil bestreitet der Arzt weiterhin, falsche Rechnungen ausgestellt zu haben: «Diese Anschuldigungen sind nicht haltbar und wären in einem ordentlichen Verfahren widerlegt worden
Warum hatte er denn gegen den Strafbefehl, der unterdessen zu einer rechtskräftigen Verurteilung geworden ist, keine Einsprache erhoben? «Ich habe den Strafbefehl nicht in die Hand bekommen», behauptet der Arzt. Deshalb habe er «nicht fristgerecht reagieren» können.

Die Staatsanwaltschaft schildert den Ablauf wie folgt: Im März 2017 hatte der Arzt das Protokoll einer Befragung unterzeichnet. Den darauf per Einschreiben zugestellten Strafbefehl hat der Arzt trotz hinterlegter Abholungs-Einladung vom 30. März nicht abgeholt. Die Staatsanwaltschaft versichert, den Strafbefehl an die vom Arzt angegebene und verifizierte Adresse in Muri BE zugestellt zu haben.
Weil der Arzt den Strafbefehl nicht abholte, doppelte die Staatsanwaltschaft, ohne dazu rechtlich verpflichtet gewesen zu sein, mit einem A-Brief nach: «Die Frist zur Abholung [des eingeschriebenen Briefes] lief am 6. April 2017 aus. Die eingeschriebene Sendung gilt demnach als zugestellt. Die zehntägige Rechtsmittelfrist läuft noch bis am 18. April 2017.» Der Arzt hätte lediglich mit einer Unterschrift, ohne Begründung, Einsprache erheben können, unterliess dies aber.

Name sollte geheim bleiben

Selbstdeklaration des Arztes auf der Webseite des «Ärztenetz Bantiger»
Der praktizierende Allgemein-, Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, Schularzt und Vertrauensarzt des Strassenverkehrsamts zählte offensichtlich darauf, dass seine Patientinnen und Patienten und die Öffentlichkeit von der ganzen Sache nichts erfahren. Als ihn die Berner Zeitung Anfang Mai um eine Stellungnahme bat, kontaktierte der Arzt den Tamedia-CEO Pietro Supino. Gegenüber Infosperber sagte der Arzt, er habe mit dem CEO erst nach Veröffentlichung des Artikels in der Berner Zeitung Kontakt aufgenommen. Jedenfalls verzichtete die Berner Zeitung «aus Rücksicht auf den Persönlichkeitsschutz» darauf, den Namen des Arztes zu nennen.

Die Krankenkasse Visana wiederum, dank deren Strafanzeige es überhaupt zur strafrechtlichen Verurteilung des Arztes gekommen ist, wollte den Namen des Arztes gegenüber Infosperber nicht nennen. Diese Verweigerung hat die Recherchen für diesen Artikel lange hinausgezögert. Begründung der Visana: Die Verurteilung wegen Betrügereien sage nichts über die medizinische Qualität des Arztes aus. Diese sei für die Patienten entscheidend.

Wegen der Diskretion der Visana können jetzige und künftige Patientinnen und Patienten nicht selber entscheiden, ob sie einen Arzt, der zwei Jahre lang wiederholt und vorsätzlich Leistungen verrrechnete, die er gar nicht erbracht hatte, weiterhin aufsuchen oder neu konsultieren möchten.

Namensnennung als Präventionsmassnahme

Müssten Ärzte damit rechnen, dass ihre Namen nach rechtskräftigen Verurteilungen und nach Sanktionen für berufsbezogene Straftaten öffentlich bekannt werden,

  • würden viele nicht mehr versuchen, ihre Einkommen mit dem Verrechnen von nicht erbrachten Leistungen aufzubessern.
  • Die Dunkelziffer der Betrügereien wäre kleiner.
  • Es bräuchte weniger Strafverfahren und Betreibungen.
  • Die Krankenkassen hätten weniger Gelegenheit zu jammern, dass sie am kürzeren Hebel sind.

Tatsächlich ist es für die Kassen ziemlich schwierig, die Verrechnung von nicht erbrachten Leistungen aufzudecken. Um Unterlagen von Pflegeheim-Patienten einsehen zu können, musste die Krankenkasse Helsana sogar bis vors Bundesgericht gehen.

Ärztegesellschaft bleibt passiv

Die Ärztegesellschaft des Kantons Bern geht mit fehlbaren Mitgliedern schonend um. «Bei der Standeskommission ist kein Dossier hängig, das in Zusammenhang mit dem im Artikel der Berner Zeitung geschilderten Verhalten in Verbindung steht», erklärte Mediensprecher Marco Tackenberg am 21. Juli gegenüber Infosperber. Die Ärztegesellschaft wisse nicht, behauptete Tackenberg, ob der Arzt ein Mitglied sei. Der Arzt bestätigt, dass er Mitglied ist, doch habe ihn «die Ärztegesellschaft nicht kontaktiert».

Anders der Berner Kantonsarzt. Er hat den Arzt kontaktiert. Darauf habe er fristgerecht per 7. August 2017 geantwortet, teilt der Arzt Infosperber mit: «Bislang kam es zu keiner Sanktion oder dem Vorwurf nachweislicher Verletzung der Berufspflicht.»
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*Seit der Arzt in Österreich arbeitet hat Infosperber seinen Namen Ende 2018 gelöscht, weil Patienten und Krankenkassen nicht mehr gewarnt sein müssen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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