Kommentar
Alkohol, Tabak und Cannabis: Es gilt zweierlei Mass
Sie sitzen mit einer Tasse Kaffee entspannt beim Frühstück, ein frisches Croissant auf dem Teller. Da fällt Ihnen ein Artikel in Ihrer Zeitung ins Auge, im Lokalteil. Unter der Überschrift «Beim Frankfurter Cannabis-Tag dreht sich alles um Marihuana» wird von einer gut besuchten Veranstaltung berichtet:
«Der schicke Saal im Gesellschaftshaus Palmengarten quillt geradezu über. Etwa 1000 Menschen sind am Samstag zum neunten Frankfurter Cannabis-Tag gekommen. Der Eintritt kostet 25 Euro. Mit einem Joint in der Hand ziehen die Besucher los, von Stand zu Stand. Etwa 40 Betriebe sind gekommen, teilen grosszügig aus, geben Hinweise. Wer will, kann eine Packung fertiger Joints kaufen oder sich eine Kiste liefern lassen. Etwas Musik würde man sich wünschen, Pianobegleitung, und vielleicht auch Stände im Freien, denn im Saal ist es wirklich sehr voll und auch etwas zu laut und verqualmt. Im Sommer geht es erneut einen ganzen Tag um Cannabis, beim Frankfurter Marihuana Sommerfest im August.»
Als erfahrene Zeitungsleser haben Sie natürlich längst gemerkt, dass es sich hier um Fake-News handeln muss. In Wirklichkeit hiess der Artikel in der vergangenen Woche: «1000 Menschen trinken Wein.» Der Untertitel lautete: «Beim Frankfurter ‹Riesling Tag› dreht sich alles um die eine Rebsorte.»
Ausführlich wurde von dem Massenbesäufnis in gediegener Umgebung berichtet. Mit diesem kleinen Austausch des Alkohols durch Marihuana im Text möchte ich darauf aufmerksam machen, mit welcher selbstverständlichen Ungleichheit in unserer Gesellschaft einschliesslich der Medien mit «weichen» Drogen umgegangen wird.
Tabakkonsum ist legal. Alle Jahre wieder sterben in Deutschland knapp 130‘000 Menschen an den Folgen des Rauchens.
Alkoholkonsum ist legal. In Deutschland starben im Jahr 2020 rund 14‘200 Menschen (10‘600 Männer und 3‘600 Frauen) an Krankheiten, die ausschliesslich auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind.
Und wie steht es mit dem Tod durch Marihuana? In England ereigneten sich in 22 Jahren zwischen 1998 und 2020 3455 Todesfälle, bei denen Cannabis mit eine Rolle gespielt hat, also bei den Verstorbenen nachgewiesen werden konnte.
In 96 Prozent der Fälle war Cannabis nur eine von drei bis sieben nachweisbaren Drogen – darunter Benzodiazepine, Opiate oder Kokain. In 4 Prozent der Todesfälle (n=136) konnte ausschliesslich Cannabis nachgewiesen werden.
Wurden nun Verletzungen, Verkehrsunfälle, Abstürze oder Selbstmorde abgezogen, so blieb ein einziger Todesfall übrig, bei dem sich eine sehr hohe THC-Konzentration fand, ohne dass man genau rekonstruieren konnte, warum diese zum Tod geführt haben könnte. Nachdem der englische Psychiater David Nutt 2007 mit einer gross angelegten Studie nachweisen konnte, dass Cannabis weniger schädigend für den Körper ist als Alkohol und Tabak, wurde er prompt von der britischen Regierung entlassen. Man hört das nicht gern.
Der Vergleich der drei «weichen» Drogen zeigt eine schizophrene Situation: Alkohol und Nikotin sind für Millionen von Todesfällen weltweit verantwortlich sind. Cannabis führt zu Organschäden, Gehirnschäden bei Jugendlichen, zu psychischen Schäden, akuten Ausnahmereaktionen und Halluzinationen. Selbst eklatanter Missbrauch ist zwar tragisch, aber nicht tödlich.
Die politischen Attacken auf die Teillegalisierung von Cannabis im vergangenen Jahr sind daher völlig unverständlich. Nähme man die vehementen Forderungen der CSU nach Rücknahme der Teillegalisierung ernst, müsste das zuallererst Alkohol und Nikotin betreffen (das wäre ein harter Schlag für Bayern).
Die Ursache für diese Schizophrenie liegt wahrscheinlich in der erfolgreichen Lobbyarbeit der Tabak- und Alkoholindustrie. Und auch die uralte These wird wieder wach, dass die mafiösen international agierenden Drogenkartelle mit ihren grossen und kleinen Dealern gar kein Interesse an der völligen Legalisierung von Cannabis haben können, denn dann wäre ihr lukratives illegales Geschäft verdorben.
So bleibt es weiterhin bei dem erstaunlichen Phänomen, dass der Umgang mit Drogen absolut gar nichts mit deren tatsächlicher Gefährlichkeit zu tun hat.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Kommentar des Arztes und Autors Bernd Hontschik erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
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