Kommentar

Der Spieler: Drei Spielwiesen für Stadtplaner

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Der Traum vom Bauen auf der grünen Wiese – im Spiel lässt er sich noch verwirklichen. Mit «The City», «Suburbia» und «City Tycoon».

Montag dieser Woche im vollbesetzten Saal des über hundertjährigen «Bären» in der Berner Vorortgemeinde Ostermundigen: Gemeindepräsident, Grundeigentümer und Generalunternehmer orientieren über den Stand der Projektierung für die Neuüberbauung des Areals beim Ortseingang. Vorgesehen sind unter anderem ein Hochhaus – mit 100 Metern das höchste in der Region – mit Hotel und Wohnungen sowie ein öffentlicher Platz. Das Publikum ist kritisch. Warum diese Höhe? Wie verträgt sich das Hochaus mit dem benachbarten Wohnquartier? Ist das zusätzliche Verkehrsaufkommen verkraftbar?

Solche und andere Fragen sind nicht typisch für meine Wohngemeinde. Sie stellen sich überall, wo Planer und Architekten etwas Neues entwickeln wollen. Oscar Niemeyer, das war einmal: Der brasilianische Stararchitekt musste bei der Planung Brasilias auf nichts Rücksicht nehmen, weder auf bestehende Quartiere noch auf die Meinung von kritischen Bürgerinnen und Bürgern. Es gab sie auf dem vorgesehenen Land nicht.

Der Traum von der Stadt auf der grünen Wiese – welcher Investor und welcher Planer hat nicht schon davon geträumt, freie Hand zu haben? Ihnen schlagen wir vor, wenigstens im Spiel zu realisieren, was ihnen in der Wirklichkeit wohl ein Leben lang verwehrt bleibt. Drei Spielwiesen bieten sich derzeit an: «The City», «Suburbia» und «City Tycoon».

Gebäude und Zahlmittel

Das kleinste der drei ist «The City», ein einfaches Aufbauspiel mit Karten. Zehnjährige können problemlos mitmachen, da die Spielanleitung gut geschrieben ist und mit Beispielen nicht geizt. Der Mechanismus ist leicht verständlich, der Spielablauf logisch. Ist man an der Reihe, wählt man aus seinen Handkarten eine aus und baut damit in seiner Stadt ein Gebäude, sei es ein Wohnhaus, eine Schule, eine Stadtvilla, ein Museum oder ein Business Center. Auch Infrastrukturbauten, wie Bahnhof oder eine Autobahn, gehören dazu. Wer hoch hinaus will, bitte, dem stehen auch Wolkenkratzer-Karten zur Verfügung. Nur: Gratis ist nichts zu haben. Ein Museum kostet 5 Einheiten, ein Spital oder ein Stadion 6 Einheiten, Industriepärke, Wohnhäuser, Restaurants je 1 Einheit. Bezahlt wird mit Karten.
Genau hier liegt die Herausforderung von «The City»: Der Bau einer Stadtvilla kostet mich vier meiner Handkarten. Doch welche verwende ich dafür? Wolkenkratzer, Wohnsiedlungen, Industriepärke, Museen? Dieser Mechanismus ist tricky. Karten, die ich als Zahlmittel abwerfe, stehen mir als Gebäude nicht mehr zur Verfügung. Guter Rat ist teuer, da man bestimmte Gebäude braucht, um andere errichten zu können.
So sind ohne Wohnsiedlungen weder Bürogebäude noch Schule oder Einkaufsmeilen möglich. Auch wird man darauf achten, Gebäude zu errichten, die Geld und Siegpunkte einbringen. So ist ein Flughafen 8 Siegpunkte wert, kostet aber auch 9 Karten. Zudem wirken gewisse Konstellationen wertsteigernd, zum Beispiel ein Industriepark in Verbindung mit einem Forschungszentrum. Umgekehrt senkt eine gute Infrastruktur Baukosten. Wer eine Schule errichtet hat, kommt günstiger zu einer Stadtvilla.

Es ist erstaunlich, welche taktischen Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten dieses kleine «The City» bietet. Aus dem Vollen schöpfen kann man allerdings nur, wenn man Kartenglück hat. Wer beim Nachziehen nur Karten auf die Hand bekommt, die entweder wenig wert sind oder keine Baukonstellationen mit Potenzial ermöglichen, wird nie auf einen grünen Zweig kommen. Pech gehabt? Kein Problem, die nächste Planungsrunde verläuft garantiert besser, und vielleicht habe ich dann als Erster 50 Siegpunkte erreicht.

Enorm viel Material

Ist es noch relativ einfach, bei «The City» die Übersicht zu behalten, droht einem die Stadtentwicklung in «Suburbia» schnell aus dem Ruder zu laufen. Insofern ist das Legespiel ein gutes Abbild der Realität. Unsere Vorstädte und Agglomerationen machen ja auch nicht immer den Eindruck, als repräsentierten sie einen gestalterischen oder politischen Willen.
Was die Steuerung in «Suburbia» so schwierig macht, ist die Materialfülle: Über 130 sechseckige Plättchen stehen den Städteplanerinnen und -planern zur Verfügung. Sie kommen zwar nur nach und nach ins Spiel, enthalten aber eine ganze Menge von Informationen, die beim Bauen zu berücksichtigen sind. Wer an der Reihe ist, kauft ein Plättchen und legt es bei sich an. Damit löst man gleich einen Sondereffekt aus.
Legt man ein Schnellrestaurant, steigert man sein Einkommen um eins und erhält drei Einwohner pro benachbartes Wohngebäude. Pech für die übrigen Besitzer eines Nobelrestaurants: Ihr Einkommen sinkt, sobald in der Stadt Konkurrenzbetriebe gebaut werden. Während man mit einer Grundschule seinen Ruf verbessern kann, bewirkt das Amt für Bürokratie das Gegenteil. Ein Regionalflughafen ist in der Nähe von Wohnquartieren unerwünscht, ebenso eine Abfalldeponie. Sozialwohnungen bringen zwar mehr Einwohner, schaden aber dem Image einer Stadt. Dann schon lieber eine Seniorenresidenz, welche die Bevölkerungszahl ohne negative Nebenwirkungen steigert.

Gewonnen hat, wer die attraktivste Stadt gebaut hat, das heisst, jene mit der höchsten Einwohnerzahl. Aber aufgepasst: Wachstum um jeden Preis lohnt sich nicht. Je mehr Leute in einer Stadt leben, desto teurer wird der Unterhalt. Auch in dieser Hinsicht ist man ständig auf der Suche nach einem Gleichgewicht von Kosten und Nutzen.
Wichtig ist, als Chefstadtplaner die Entwicklung bei der Konkurrenz im Auge zu behalten. Dies aus zwei Gründen: Erstens ist es manchmal auch von Vorteil, ein suboptimales Plättchen zu wählen, wenn man damit dem Mitbewerber ein Gebäude vor der Nase wegschnappen kann, mit dem dieser fest gerechnet hatte. Und zweitens kann man so unter Umständen auch herausfinden, welche geheimen Ziele die anderen Mitspielenden verfolgen: Versucht jemand, Seenplättchen zu einem zusammenhängenden Gebiet zu verbinden, so könnte es sein, dass er die Rolle des «Hafenmeisters» spielt. Gelingt es ihm, die Vorgabe – die meisten zusammenhängenden Seen – zu erfüllen, bekommt er dafür 10 Einwohner zusätzlich. Also sollten möglichst keine Seeplättchen mehr vorhanden sein, wenn dieser Spieler an der Reihe ist. Ob das möglich ist, hängt wiederum davon ab, welche Plättchen pro Runde aufgedeckt werden – ein hohes Glücksmoment.

Teure Versorgung

Auch «City Tycoon» verspricht den spielenden Planern volle Aktionsfreiheit: «Ihr habt es in euren Händen, welches Aussehen eure Stadt erhält und ob ihr die Forderungen eurer Bürger zufriedenstellend erfüllt.» Wie bei «Suburbia» ist auch hier die Verpackung prallvoll mit Material, zur Hauptsache wiederum Plättchen, diesmal statt sechseckig quadratisch. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden vorher besprochenen Titeln besteht darin, dass man in «City Tycoon» gemeinsam ein Stadtprojekt realisiert. Die Interaktion ist deshalb merklich grösser.
Anders ist hier auch, dass die Stadtteile nicht nur angelegt werden. Geld und Siegpunkte werfen sie erst ab, wenn man sie mit Rohstoffen versorgt. Diese bekommt man nur in Kraftwerken, entweder gratis in eigenen oder gegen Bezahlung bei solchen, die den Mitspielern gehören. Diese Rohstoffe müssen dann noch zum betreffenden Stadtteil transportiert werden. Über eigene Stadtteilplättchen und Waldgebiete kostet das nichts, während für die Benutzung fremder Plättchen eine Gebühr anfällt. Das heisst: Ein guter Stadtplaner optimiert beim Bauen die Versorgungswege, wenn nicht, kann er kaum damit rechnen, am Schluss Stadtpräsident zu werden.

Empfehlenswert sind alle drei Titel. «The City» ist klar das einfachste. «Suburbia» und «City Tycoon» sind nicht schwierig, auch wenn der erste Eindruck täuscht. Bei diesen beiden stellt die Materialfülle eine gewisse Einstiegshürde dar, vor allem bei Gelegenheitsspielern. Alle drei gehören zur Gattung der Legespiele, die bei Spielenden deshalb sehr beliebt sind, weil während des Spielens ein Gebiet entsteht und sich nach allen Seiten entwickelt. Der Erfolg von «Siedler von Catan», «Carcassonne» oder «Der Palast von Alhambra» zeugt von dieser Beliebtheit.

Kann man beim Spielen aber Stadtplanung simulieren und jene Herausforderungen erleben, mit denen Stadtplaner tagtäglich konfrontiert sind? Nein. Man erkennt zwar die gegenseitige Abhängigkeit bestimmter Faktoren – ein Industriepark mindert den Wert des benachbarten Wohnquartiers –, aber letztlich fehlt in diesen Spielen der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Interessen, die in der Wirklichkeit bisweilen sehr hart aufeinander prallen, zum Beispiel die ökonomischen Interessen von Investoren gegen die Interessen des Heimatschutzes. Wollten sie das simulieren, müssten «The City», «Suburbia» und «City Tycoon» als Rollen- oder Planspiele konzipert sein. Sie sind es nicht, sie bieten letztlich nur Unterhaltung. Immerhin gute.

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«The City»: Aufbauspiel mit Karten von Tom Lehmann für 2 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Verlag Amigo. Spieldauer ca. 20 Minuten.

«Suburbia»: Legespiel von Ted Alspach für 1 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Bézier Games/Asmodée. Spieldauer ca. 90 Minuten.

«City Tycoon»: Legespiel von Hubert Bartos und Lukasz S. Kowal für 2 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Rebel/Pegasus Spiele. Spieldauer 60 bis 120 Minuten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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