Kommentar

Der Spieler: Die Zwillinge Spear und «Scrabble»

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Ein Rechtsstreit gibt Anlass, einen Blick auf die Geschichte von «Scrabble» zu werfen, besonders auf jene des Spieleverlags Spear.

Es ist ein Kampf David gegen Goliath: Hier die North American Scrabble Players Association (NASPA), dort der Spiele-Multi Hasbro. Der Konzern, der die Rechte am Wortspielklassiker «Scrabble» für die USA und Kanada besitzt, will dem Verband verbieten, eine von diesem in Freiwilligenarbeit erstellte «Scrabble»-Wortliste übers Internet zu verbreiten. Der Verband müsse dafür eine Lizenz erwerben, selbstverständlich von ihm, dem milliardenschweren Giganten. Die Höhe der von Hasbro geforderten Summe ist nicht bekannt. Noch ist keine Einigung zustande gekommen, doch befürchten Kenner der Szene gemäss dem Online-Magazin «Slate.com», dass eine Lizenzgebühr die Durchführung von «Scrabble»-Turnieren, für welche die Liste als Referenzinstrument nötig sei, massiv erschwere, wenn nicht gar verunmögliche.

Ein müdes Lächeln

Diese Auseinandersetzung wäre für uns Aussenstehende höchstens ein müdes Lächeln wert, wäre nicht der Gegenstand, um den sie sich dreht, von besonderem Interesse. Nicht die grundsätzliche Frage des Patent- und Lizenzrechts, sondern das Spiel «Scrabble». Der Begriff steht für das Spiel mit Wörtern wie «Maggi» für Flüssigwürze oder «Fön» für Haartrockner. Jedes Kind kennt «Scrabble», jedes Jahr werden weltweit Hunderttausende verkauft. Die Marke muss demzufolge ein Riesenvermögen wert sein, was wiederum erklärt, dass der Inhaber – ausserhalb Nordamerikas ist es Mattel – seine Rechte nach Strich und Faden verteidigt, wo er nur den Hauch eines Missbrauchs vermutet.

Mit der Geschichte von «Scrabble» eng verbunden ist aber auch die Geschichte des Spieleverlags Spear. Das Wortspiel hat dem deutsch-englischen Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg als Umsatzträger und Gewinnbringer gleichsam das Leben gerettet. Eine faszinierende, gleichzeitig aber auch tragische Geschichte, die in mehreren Strängen durch das vergangene Jahrhundert führt.

Der erste begann damit, dass Jacob Wolf Spier, der nach einer vorübergehenden Emigration in die USA seinen anglisierten Familiennamen «Spear» beibehielt, 1879 in Fürth bei Nürnberg den Betrieb gründete, der sich zu einem der bedeutendsten Unternehmen der Spielebranche entwickelte. Wie der frühere Direktor des Deutschen Spielzeugmuseums in Nürnberg, Helmut Schwarz, in «Die Spielmacher» schrieb, war es eine «Besonderheit» der «J. W. Spear & Söhne», dass die Spielefabrik nicht nur von Anfang an international orientiert war, sondern über fünfzig Jahre lang gleichzeitig in Deutschland und England zwei Produktionsstandorte besass. Die 1899 in Fürth in Betrieb genommene Anlage galt über die Branche hinaus als vorbildlich, und die Spears hatten als Arbeitgeber einen ausgezeichneten Ruf. 1931 waren etwa 40 Prozent aller in den 18 grössten deutschen Spielfabriken Beschäftigten bei ihnen angestellt (598 von 1500). Mit seiner Marktmacht bestimmte Spear auch wesentlich, was in deutschen und europäischen Familien gespielt wurde. Neben den Klassikern Schach, Halma, Dame, vielen Beschäftigungs-, Lern- und Quizspielen bildeten themenorientierte Gesellschafts- und Brettspiele einen Schwerpunkt im Angebot. Einige Titel als Beispiele: «Eine Reise im Aeorplan», «Der grosse Preis von Deutschland», «Handel und Wandel», «Eislaufen», «Der Weg zur Schule».

Brutales Ende in der NS-Zeit

Die Erfolgsgeschichte fand in der Zeit des Nationalsozialismus ein brutales Ende. Viele Angehörige der jüdischen Spear-Familien flohen ins Exil, elf wurden in Konzentrationslagern ermordet. Im Zuge der Arisierung raubten die Nazis den Spears das florierende Unternehmen. Unter dem Titel «Weltfirma zum Nulltarif» beschreibt Helmut Schwarz detailliert, wie sich Foto-Unternehmer und NS-Mitglied Hanns Porst die Spielfabrik auf dubiose Art und mit dem Segen der Nazis unter den Nagel riss. Ein Luftangriff zerstörte im Februar 1945 einen Grossteil der Fabrikgebäude, doch bis die Porst-Ära vorüber war, dauerte es noch eine Weile. Dies, weil der von den Amerikanern vorzeitig aus der Haft entlassene und mittlerweile entnazifitierte Porst für die Rückgabe des gestohlenen Unternehmens an seine ursprünglichen Besitzer möglichst gute Konditionen herausholen wollte. Kurz vor Weihnachten 1948 wurde die Produktion auf bescheidenem Niveau wieder aufgenommen. 1956 zählte die von Else Spear (Witwe des von den Nazis umgebrachten früheren Geschäftsleiters Hermann Spear) und Edgar Stockhausen geführte «J. W. Spear & Söhne» wieder 150 Beschäftigte: Spear mit den beiden Standorten Fürth/Nürnberg und Enfield (England), an dessen Spitze Richard Spear stand, befand sich wieder auf dem Weg nach oben. Angesichts der stärker gewordenen Konkurrenz ein steiniger Weg.

So war es denn auch ein Glücksfall für das Unternehmen, dass sich sich die Spear-Geschichte mit der noch jungen Erfolgsgeschichte von «Scrabble» verband. 1933 hatte der arbeitslose New Yorker Architekt Alfred M. Butts ein Wortlegespiel entwickelt, dem er zuerst den Namen «Lexiko» und dann «It» gab. Doch er musste lange warten, bis sich der erhoffte Markterfolg einstellte: Erst 1949 konnte Butts zusammen mit seinem Geschäftspartner, dem Beamten und begeisterten Kreuzworträtsler James Brunot, die Produktion von «Scrabble», wie das markenrechtlich geschützte Spiel nun hiess, starten. 8500 Exemplare wurden 1951 gefertigt, doch der Absatz geriet rasch wieder ins Stocken. Erst als das bekannte New Yorker Kaufhaus Macy’s das Wortlegespiel in sein Sortiment aufnahm, war der Bann gebrochen: Was New York spielte, musste man im ganzen Land haben … Das «Scrabble»-Fieber liess die Auflage in die Höhe schnellen. So produzierte Selchow & Righter, das von Butts und Brunot die Copyrights erworben hatte, von Mai bis Dezember 1953 sagenhafte 800 000 «Scrabble»-Spiele, allein für den US-Markt.

Harziger Start in Deutschland

Die «Scrabble»-Welle erfasste Anfang 1954 auch Europa. Die Rechte für Deutschland, Italien und andere europäische Länder waren anfangs an die für ihre Holzspielwaren bekannte bayerische Firma Schowanek vergeben worden, während für Grossbritannien und Irland Spear den Zuschlag erhielt. Während sich in England nicht zuletzt dank der Club-Bewegung der US-«Scrabble»-Erfolg wiederholte, verlief der Start in Deutschland eher harzig. Den eigentlichen Durchbruch schaffte das Spiel erst in den 1960er Jahren. Ebenso wichtig wie die eigene Produktion war deshalb für Spear, dass Brunot 1968 die «Scrabble»-Weltrechte mit Ausnahme der USA, Kanadas und Australiens an die Spear-Gruppe verkaufte. Helmut Schwarz in seinem «Die Spielmacher»: «Ohne Zweifel war Scrabble für die Firma Spear in Deutschland wie in England der Garant ihres langjährigen Erfolgs.»

Nachdem die 1970er Jahre noch golden gewesen waren, ging es im nächsten Jahrzehnt nicht zuletzt wegen Managementfehlern und den Umstrukturierungen in der Spielebranche bergab. Am 31. Dezember 1984 wurde die Spieleproduktion am historischen Spear-Stammsitz in Fürth eingestellt, während das Mutterhaus in England dank einer «Scrabble»-Renaissance noch bis in die 1990er Jahre hinein solide Gewinne erzielte. Um die Zukunft des Unternehmens zu sichern, kamen die Familienaktionäre zum Schluss, Spear zu verkaufen. Francis Spears Wunschpartner war der US-Branchenriese Hasbro, der zum einen in der Zwischenzeit die «Scrabble»-Rechte für die USA und Kanada erworben hatte und zum andern seit 1990 rund 27 Prozent des Spear-Aktienkapitals besass. Hasbro hatte in den Jahren zuvor bereits die amerikanischen Spielehersteller Milton Bradley (MB) und Parker Brothers einverleibt. Das erste Übernahmeangebot von Hasbro scheiterte, weil eine Mehrheit des Spear-Verwaltungsrats dieses als zu niedrig bezeichnete. Am Ende des nun folgenden «Wirtschaftskrimis» (Schwarz) ging im Sommer 1994 Spear an den US-Spielemulti Mattel, den Hersteller der Barbie-Puppen. 62 Millionen englische Pfund (zum damaligen Kurs umgerechnet rund 125 Millionen Franken) war Mattel dieser Deal wert, sicher nicht wegen der Produktionsanlagen in Enfield, die prompt Ende 1994 geschlossen wurden, sondern in erster Linie wegen der Rechte an «Scrabble» ausserhalb der USA und Kanadas.

Spear und «Scrabble» – zwei Namen, zwei spannende Geschichten, die getrennt beginnen, sich dann verbinden und am Ende wieder auseinandergehen.


Literatur: Helmut Schwarz und Marion Faber: Die Spielmacher. J. W. Spear & Söhne, Geschichte einer Spielefabrik. Schriften des Spielzeugmuseums Nürnberg, Band II. Museen der Stadt Nürnberg / Spielzeugmuseum. 1997 (vergriffen)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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