Kommentar

Der Spieler: Die Märchenfigur als Vorbild

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Zwei Spiele von Hans im Glück wurden zum «Kennerspiel des Jahres» nominiert. Ein weiterer Grosserfolg für den Kleinverlag.

Sommer 1994. Ich war im Februar zuvor zum neuen Vorsitzenden der Jury «Spiel des Jahres» gewählt worden. Zu den schönsten Pflichten, die dieses Amt mit sich bringt, gehört die Bekanntgabe der jeweiligen Preisträger im Rahmen einer Medienkonferenz, die damals im Grand Hotel «Esplanade» in Berlin stattfand. Weil es meine erste Veranstaltung dieser Art war, hatte ich enormes Lampenfieber. Würde auch alles klappen? Waren die Pressemappen richtig zusammengestellt? Hatte die Küche des Hotels auch genügend Häppchen vorbereitet? Mal für Mal ging ich meine Sprechnotizen durch, schaute immer wieder auf die Uhr, während sich der grosse Saal langsam füllte. Alle waren da – ausser Bernd Brunnhofer, der Verleger, dessen Spiel «Manhattan» in wenigen Minuten den Titel «Spiel des Jahres» bekommen würde. Mein Hemd war schweissnass, als ich zum Mikrofon griff und das Publikum um Geduld bat. Und dann kam er doch noch. Er hatte den Termin aus irgendeinem Grund verschlafen.

Seither ist Bernd Brunnhofer ein solches Missgeschick nicht mehr passiert, und es wird ihm auch nie wieder passieren. Denn Brunnhofer ist es mittlerweile gewohnt, die begehrteste Auszeichnung, die es im Bereich der Gesellschaftsspiele gibt, in Empfang zu nehmen. 1991 stand er mit «Drunter & Drüber» zum ersten Mal auf der Bühne, nach «Manhattan» kamen 1996 «El Grande» und 2001 «Carcassonne». Auf diese folgten 2006 «Thurn & Taxis» und 2009 «Dominion». Und es ist durchaus möglich, dass am 8. Juli diese einmalige Erfolgsgeschichte um ein Kapitel verlängert wird. Mit «Die Paläste von Carrara» und «Brügge» stehen – neben «Legenden von Andor» (Kosmos) – gleich zwei Titel aus dem Hans im Glück-Verlag auf der Nominierungsliste zum «Kennerspiel des Jahres». Gemäss Jury-Definition soll «das ‚Kennerspiel des Jahres‘ denjenigen Menschen eine Orientierungshilfe bieten, die schon längere Zeit spielen und Erfahrung beim Erlernen neuer Spiele mitbringen». Mit anderen Worten: Das «Kennerspiel» ist das höchste Qualitätssiegel für anspruchsvollere Gesellschaftsspiele.

Uni oder Verlag

Es ist ein weiter und steiler Weg, den der heute 67-jährige Bernd Brunnhofer und sein Verlag Hans im Glück seit 1983 zurückgelegt haben. Damals präsentierte er an den Deutschen Spieltagen in Essen zusammen mit Karl-Heinz Schmiel sein erstes Spiel, «Dodge City». Für Brunnhofer war 1983 das Jahr der grossen Entscheidung – eigener Verlag oder Hochschulkarriere? Für eine solche hätte der Soziologe, der als wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Universität in München tätig war, promovieren müssen, was er jedoch nicht wollte. Also gründete er den Verlag. Das war hochriskant, vor allem, nachdem sein Partner Schmiel 1987 ausgeschieden und Brunnhofer auf sich selbst gestellt war. Doch es war wie im Märchen, das dem Verlag den Namen gegeben hatte: Mit der Auszeichnung für «Drunter & Drüber» bekam Bernd zum Glück einen kräftigen (Marketing-)Schub, der durch den Erfolg von «Manhattan» im Jahre 1994 noch verdoppelt wurde. Ohne die damals dank «Spiel des Jahres» generierten Erträge wäre der Kleinverlag wohl von der Bildfläche verschwunden.

Doch spätestens mit «El Grande» (1996) bewies Bernd Brunnhofer, dass er mit seinem kleinen Team in der Top-Liga der Spielentwickler eine führende Rolle innehatte. Das komplexe Taktikspiel war die Antwort auf das im Jahr zuvor ausgezeichnete «Siedler von Catan» aus dem Kosmos-Verlag. Dieses Spitzenspiel hatte eine Breitenwirkung erzielt wie nie ein «Spiel des Jahres» vor und nach ihm. Weil die Latte damit für alle künftigen Preisträger fast unerreichbar hoch gelegt war, war die Jury ausserordentlich glücklich, dass sie im Jahr drauf mit «El Grande» ein Spiel auszeichnen konnte, das den Vergleich mit den «Siedlern» nicht zu scheuen brauchte. Da das Hans im Glück-Spiel komplexer und in Bezug auf Regeln und Einstieg schwieriger war, erreichten seine Verkaufszahlen allerdings nicht jene des Bestsellers «Siedler». Dieses Manko machten die Münchner jedoch 2001 wett, als sie mit dem massentauglichen «Carcassonne» ebenfalls einen Millionen-Hit lancierten.

Damit war Hans im Glück endgültig aus der wirtschaftlichen Gefahrenzone heraus. Die mit den Auszeichnungen verbundenen finanziellen Erfolge verschafften dem Verlag auch den nötigen Freiraum für die Entwicklung und Produktion weiterer überdurchschnittlich guter Spiele. Viele von ihnen waren von Anfang an nur für ein kleineres Publikum gedacht, für Menschen, die echte spielerische Herausforderungen suchten, wie etwa «Ohne Furcht und Adel», «Euphrat & Tigris», «Samurai», «St. Petersburg», «Hawaii», «Stone Age» und «Pantheon». Spitzenauflagen liessen und lassen sich mit solchen Spielen nicht erzielen, doch der Verlag konnte sich dank des Preisträger-Polsters diesen Luxus leisten. Die Spielefreaks wissen das zu schätzen …

Solide Basisarbeit

Für Brunnhofer bedeuten solche Spiele aber nicht nur Luxus. Sie sind für ihn und seinen Verlag der Boden, auf dem die Top-Spiele und potenziellen Preisträger wachsen. Ohne solide Basisarbeit sind auch im Spielbereich keine Spitzenränge möglich. Und Basisarbeit heisst bei Hans im Glück enge und zum Teil langjährige Kooperation mit Spielautoren, aufwändige Redaktion, sorgfältiges Austesten der beim Redigieren gemachten Veränderungen und Alternativen. Hier liegen die Wurzeln des anhaltenden Erfolgs der Münchner. Kommt hinzu, dass die Hans im Glück-Leute ihre Kräfte nicht verzettelt haben. Es gibt kein Kartenspiel, welches das Firmen-Logo trägt, auch kein Kinderspiel. Man konzentriert sich klar auf komplexere Gesellschaftsspiele. Klugerweise hat der Verlag den in der Spielebranche existenziellen Vertrieb seit Jahren an Schmidt Spiel und Freizeit ausgelagert. Damit hat man den Rücken frei für die Redaktions- und Entwicklungsarbeit. Ein wichtiger Erfolgsfaktor sind schliesslich auch das Engagement und die Liebe zum Spiel, mit denen das kleine Verlagsteam bei der Sache ist. Die Crew hat das Glück, in einem Verlag tätig zu sein, für dessen Chef Spiele nicht bloss eine betriebswirtschaftliche Grösse sind, sondern vielmehr eine Leidenschaft. Bezeichnend für Brunnhofer ist ja auch, dass er als Verleger/Unternehmer Spieler und Spielautor (Pseudonym: Michael Tummelhofer) geblieben ist.

Mit Brunnhofers Sohn Moritz hat bereits die nächste Generation bei Hans im Glück einen Teil der Führungsverantwortung übernommen. Das Märchen ist noch nicht zu Ende. Und vielleicht ist in den jetzt folgenden Kapiteln vermehrt wieder die Rede von völlig neuen und überraschenden Spielideen, wie sie etwa in «Drunter & Drüber», «Modern Art» oder vor allem in «Ohne Furcht und Adel» realisiert worden sind, das neben «Carcassonne» mein Hans im Glück-Lieblingsspiel ist. Mehr Emotionalität in den Spielen – das ist mein Wunsch an die Adresse von Hans im Glück. Zwar werden in Märchen nicht alle Wünsche erfüllt, aber einzelne schon …


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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