Kommentar

Der Spieler: Das politisch korrekte Spiel

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Synes Ernst. Der Spieler /  Fakire statt Sklaven: Druck von Spielfreaks aus den USA zwang den Verlag von «Five Tribes», das Spiel politisch zu korrigieren.

Mit «Camel up» und «Istanbul» haben im vergangenen Jahr gleich zwei Titel die höchsten «Spiel des Jahres»-Auszeichnungen errungen, die thematisch im Nahen Osten angesiedelt sind. Ein Zufall ist das nicht. Denn der arabische Raum übt auf die Redaktionen und Marketingabteilungen in den Spielverlagen einen seit Jahrzehnten ungebrochenen Reiz aus. Nicht der Nahe Osten der Gegenwart, nein, den fürchtet und meidet man bei den Spieleproduzenten wie der Teufel das Weihwasser. Zuviel Gewalt, Umbrüche, Tabus, da könnte man leicht in einen Fettnapf treten und so mögliche Zielgruppen vergraulen. Zu viel Realität ist eh nicht gut fürs Geschäft. Denn Spiele sollen die Menschen in ferne Welten und Zeiten entführen: Zu den Drachen und Zwergen in der Welt der Märchen und Fantasy, den Rittern und Städtebauern des Mittelalters, den Indianern im Wilden Westen, in die Wüstenkalifate oder Basare eines historisch undefinierten Vorderen Orients.

Gerade dieser bietet mit seinen fantastischen Erzählungen aus «Tausendundeiner Nacht» und seinen Mythen eine ideale Vorlage, um daraus spielerische Gegenwelten zum mitteleuropäischen Alltag zu entwickeln. So wimmelt es denn auch von Kamelen, Wesiren, Schlangenbeschwörern und geheimnisvoll Verschleierten auf unseren Spielbrettern. Auch Sklaven, Diebe und Meuchelmörder sind dabei. Und wir Spielerinnen und Spieler haben uns an diese Ausstattung gewöhnt und schieben diese Figuren herum, ohne nach der geschichtlichen Realität zu fragen. Schliesslich spielen wir, wollen unsere Sehnsüchte stillen und dulden keine Störfaktoren, wie sie Fragen zum menschenrechtswidrigen Sklavenhandel darstellen könnten.

Keine Reaktion in Deutschland

Trotzdem kommt es hie und da zu Friktionen mit der historischen Realität. Wie jetzt gerade im Fall des neuen Strategie- und Taktikspiels «Five Tribes». Darin wird unter anderem mit Elfenbein, Edelsteinen, Seide, Gewürzen, Getreide und Töpferwaren gehandelt, aber auch mit Sklaven. Nachdem das Spiel im vergangenen Spätherbst auf den deutschsprachigen Markt gekommen war, erhielt es gute Besprechungen. Der Sklavenhandel war kein Thema, beispielsweise auch nicht in der Rezension der «Spielbox», der grössten Publikumszeitschrift für Spiele. Kritisiert wurde hier einzig der englischsprachige Titel: «Ein atmosphärisch so dichtes Spiel hätte einen deutschen Namen verdient gehabt, und der hätte sich doch finden lassen.»

Ganz anders die Reaktion unter den US-amerikanischen Spielefreaks: In Blogs und Foren übten sie heftig Kritik am Verlag «Days of Wonder». Es sei skandalös, dass Sklaven in «Five Tribes» reine Handels- und Tauschware darstellten. Viele schrieben, sie würden das Spiel deswegen nicht mehr spielen.

Der Shitstorm zeigte Wirkung: Der Verlag nimmt die Sklaven-Karten aus dem Spiel und ersetzt sie durch solche, auf denen Fakire abgebildet sind. Auf der deutschsprachigen Homepage ist die Spielanleitung dementsprechend auch schon angepasst worden. «Five Tribes» ist jetzt ein politisch korrektes Spiel.

Patenschaft ist besser als Zoo

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Spiel auf diese Art und Weise angepasst wird. Ähnliches ist mit dem bekannten und allseits beliebten Familienspiel «Wildlife» passiert, wobei nicht genau lokalisierbare Ablehnung die Änderung bewirkt hat, sondern ein generell höheres Umwelt- und Naturbewusstsein. Der Schutzgedanke war zwar von allem Anfang an da, aber in den ersten Ausgaben von «Wildlife» bestand die Aufgabe darin, gefährdete Tiere einzufangen und sie anschliessend an zoologische Gärten zu verkaufen. Dort sollten die Löwen, Panther & Cie. gezüchtet und für die Nachwelt erhalten bleiben. Der Sinneswandel bei den neueren Editionen kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Mitspielenden jetzt nicht mehr Grosswildjäger bzw. Zoodirektoren sind, die ihre Anlagen mit möglichst viel seltenen Exemplaren bevölkern müssen. Stattdessen schlüpfen sie jetzt in die Rolle von Institutsleitern, deren Ziel es ist, «möglichst schnell für alle bedrohten Tiere, die dein Institut schützen will, eine Patenschaft zu erwerben».

Blume statt Galgen

Ein anderes Beispiel: Erstaunt mussten die Verantwortlichen der offiziellen Berlin-Webseite zur Kenntnis nehmen, dass ihre Idee, Berlin-Themen mit Hilfe des «Galgenmännchens» an die Leute zu bringen, nicht überall goutiert wurde. Ein harmloses, überall beliebtes Spiel um Worte und Begriffe, bei dem niemand etwas Böses vermutet. Denkste! «Ich finde, dieses Spiel gehört NICHT auf eine so seriöse und gewaltfreie Seite unserer Stadt!», schrieb ein Nutzer, und jemand formulierte seinen Protest so: «In einer modernen Stadt sollte kein Spiel, das mittelalterlich grausame Praktiken verharmlost, Platz haben.» Berlin.de hat den Fundis nachgegeben und das klassische Wörterraten durch die politisch korrekte Version «Hängeblume» ersetzt. Nun müssen halt nette Blütenblätter dranglauben, zumindest so lange, bis sich irgendwelche Blumenfreunde sich daran stossen.

Immer wieder diskutiert wird der «Schwarze Peter», die Titelfigur eines der beliebtesten Kartenspiele für Kinder. Historische Ausgaben zeigen noch die Karte mit dem Kopf eines Schwarzen, doch diese gibt es in den Editionen, die von den führenden Verlagshäusern auf den Markt gebracht wurden, schon lange nicht mehr. Der Schwarze Peter ist heute ein munteres Kerlchen, dessen schwarze Farbe garantiert mit ein wenig Wasser weggeputzt werden kann. Der Name «Schwarzer Peter» soll auf den Räuber Johann Peter Petri zurückgehen, der auch als «der alte Schwarzpeter» oder «Schwarzer Peter» bekannt war und laut Wikipedia das Spiel angeblich in seinen Gefängnisjahren ab 1811 erfunden hat. Die Spielidee ist jedoch um einiges älter und geht vermutlich auf das Trinkspiel «Old Maid» zurück. Wie emotional und kontrovers das Thema «Schwarzer Peter» diskutiert werden kann, zeigt die aktuelle Debatte in den Niederlanden um die Frage, ob die Figur des «Zwarte Piet» rassistisch sei.

Angreifer oder Verteidiger

Nicht aus politischen Gründen, sondern um einem drohenden Verbot wegen Jugendgefährdung zu entgehen, verpasste der Verlag Parker in den 1980er Jahren der deutschen Ausgabe des Taktikspiels «Risiko» ein total verändertes Spielziel. Die Eroberung der Welt, wie die ursprüngliche Aufgabe lautete, beurteilten die zuständigen deutschen Behörden als zu aggressiv. Der Verlag reagierte und machte aus der Eroberung eine Befreiung der Welt gegen einen undefinierten Angreifer. Und so durfte, korrekt, weiterhin nach Lust und Laune gegeneinander geballert werden. Mit den Neuauflagen hat der Verlag (jetzt Hasbro) auch das Spielziel wieder von Verteidigung und Befreiung auf Angriff und Eroberung zurückgestellt. Wer solches spielt, kann zu seiner Entlastung immerhin darauf verweisen, dass «Risiko» in den 1950er Jahren vom französischen Filmregisseur Albert Lamorisse erfunden worden ist, der sich weltweit für den Frieden engagiert hatte.

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Five Tribes: Taktikspiel von Bruno Cathala für zwei bis vier Spielerinnen und Spieler ab 13 Jahren. Spieldauer ca. 90 Minuten. Verlag Days of Wonder/Asmodée. Fr. 79.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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