Kommentar

Der Spieler: Das «beste» Spiel gibt es nicht

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Viele meinen, das «Spiel des Jahres» sei das «beste» Spiel des aktuellen Jahrgangs. Das ist ein gewaltiger Irrtum.

Als Spielekritiker werde ich oft gefragt, was ich als bestes Spiel des laufenden Jahres empfehlen könne. Die Auskunft, die ich in einem solchen Fall gebe, scheint auf den ersten Blick nicht sehr hilfreich. «Ein ‚bestes’ Spiel kann es wie ein ‚bestes’ Essen nicht geben», sage ich jeweils, «es kommt drauf an, auf welches Spiel man gerade Lust hat, welche Spiele man besonders mag, taktische oder eher turbulente, mit wem man spielt oder wie viel Zeit man dafür hat.» So kann in einer bestimmten Situation ein Jass zu viert das «beste» Spiel sein, in einer anderen wiederum «Village».

Viele sind der Meinung, dass das von einem Fachgremium gewählte «Spiel des Jahres» das «beste» aller Spiele sei, die in diesem Jahr auf dem Markt erschienen sind. Das ist ein gewaltiger Irrtum. Die Jury verleiht die Auszeichnung jenem Spiel, von dem sie überzeugt ist, dass es unter den Neuerscheinungen des laufenden und des vergangenen Jahres die Botschaft von «Spiel des Jahres» am besten verkörpert. Dass es also die Neuheit ist, die möglichst viele Menschen zum Spielen bringt und ihnen zeigt, wie wertvoll und schön Spielen überhaupt ist.

Spiele mit dem Gen
Es ist ein hoher Anspruch, den die aus rund einem Dutzend Spielkritikerinnen und Spielkritikern bestehende Jury jedes Jahr zu erfüllen versucht. Und nicht jedes Mal gelingt es ihr. Was zum Teil auch damit zusammenhängt, dass nicht jedes Jahr Spiele auf den Markt kommen, die das «Spiel des Jahres»-Gen in sich tragen, wie etwa «Siedler von Catan», «Carcassonne» oder «Zooloretto». Andere Spiele geben ihr «Spiel des Jahres»-Potenzial nicht auf den ersten Blick preis, so der Preisträger 2011, das tolle Ablegespiel «Qwirkle». Und auch schon ist die Botschaft von «Spiel des Jahres» verpufft, weil die Preisträger ein zu enges Spektrum ansprachen. Bau- und Kommunikationsspiele sind nicht unbedingt mehrheitsfähig, weshalb sich «Villa Paletti» oder «Dixit» beim breiten Publikum nie so richtig durchzusetzen vermochten.

2012 standen das Kommunikations- und Gedächtnisspiel «Eselsbrücke», das Zockerspiel «Las Vegas» und das taktische Aufbauspiel «Kingdom Builder» zur Wahl. Die Jury hat sich für «Kingdom Builder» entschieden.

Selbst wenn Umfang der Spielanleitung und Fülle des Materials auf den ersten Blick für so genannte Familienspieler abschreckend wirken mögen: «Kingdom Builder» erfüllt die Ansprüche, die an ein «Spiel des Jahres» gestellt werden, vollauf. Der Auftritt des Spiels ist attraktiv, der Einstieg einfach, der Spielablauf logisch – Geländekarte ablegen, Siedlung bauen und eventuell Sonderaktion ausführen, fertig. So bauen die Teilnehmenden ihre Königreiche mit dem Ziel, dafür am Ende das meiste Gold zu bekommen.

«Erspielte» Qualität
Was ist nun aber das Besondere, das «Kingdom Builder» von anderen Aufbauspielen unterscheidet und nach Meinung der Jury preiswürdig macht? Es liegt darin, dass es von den Spielerinnen und Spielern eine gehörige Portion Flexibilität abverlangt. «Kingdom Builder» kennt nämlich keinen festen Spielplan. Er präsentiert sich jedes Mal anders, was heisst, dass die Ausgangslage immer wieder neu ist. Nicht nur dies. Denn in jeder Runde neu festgelegt werden auch die Siegbedingungen, nach denen man seine Taktik ausrichtet – geistige Beweglichkeit ist also gefragt. Der Satz «Das nächste Mal mache ich es dann anders» gilt bei «Kingdom Builder» nicht. Aus Fehlern kann man hier eigentlich nichts lernen.

«Kingdom Builder» erschliesst sich nicht gleich in der ersten Runde. Seine Qualitäten wollen quasi «erspielt» werden. So erstaunt es nicht, dass viele Spieler in Internetforen berichten, dass sie von «Kingdom Builder» zuerst enttäuscht gewesen seien. Erst mit der Zeit habe sich gezeigt, was in diesem Spiel stecke. Allein schon die Tatsache, dass diese Spielerinnen und Spieler im Anfangsfrust die Schachtel nicht gleich weggelegt haben, beweist, dass «Kingdom Builder» eine gewisse Sogwirkung ausübt. Wiederspielreiz nennt man das – eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Spiel haben muss, wenn es ein guter Botschafter für die Idee von «Spiel des Jahres» sein will.

Kingdom von Donald X. Vaccarino, für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Verlag Queen Games. Spieldauer ca. 45 Minuten


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»

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