Sperberauge

In der Hitze von Manchester

Helmut Scheben © zvg

Helmut Scheben /  Fussball-Kommentare können grosse Kunst sein. Beim Spiel Belgien gegen Italien ist der Kommentator zum Lyriker geworden.

Der Uruguayer Eduardo Galeano schrieb einmal, die Erde drehe sich nicht immer um die Sonne, sondern manchmal auch um den Fussball. Das war gestern Abend sicher nicht der Fall.

Das Spiel der Belgierinnen gegen die Italienerinnen war nicht der Hit. «Starke Frauen, starker Fussball, präsentiert von SRF» hiess es im Trailer zur Europameisterschaft. Aber man bekam beim Zuschauen, sagen wir es freundlich, keine Bluthochdruckprobleme. Die erste Halbzeit bestand aus Fehlpässen und immer mal wieder einem Knäuel von vielen Füssen, die im Strafraum Löcher in die Luft schlugen. 

Das Unterhaltsamste war der Live-Kommentar. Sascha Rufer, würdiger Nachfolger der Schweizer Kultfigur Bernard Thurnheer, schaffte es, der bescheidenen Darbietung auf dem Rasen von Manchester glanzvolle Höhepunkte geben. Als die Regie so freundlich war, die Kamera auf eine belgische Musikkapelle zu richten, die unverdrossen bei dreissig Grad Celsius auf der Tribüne spielte, landete Rufer seinen ersten Volltreffer: 

«Dieser Fussball hier ist, musikalisch ausgedrückt, noch keine Ode. Es ist aber auch kein Thrash Metal». Da ging der Moderator von Schlagersommern und Volksmusik mit dem Sportreporter durch. Und es kam noch besser. Rufer macht aus Fussball Poesie: 

«Es ist, als ob da ein geheimnisvoller, magischer Raum sei, den die Italienerinnen nicht zu betreten wagen.» Joseph von Eichendorff hätte es nicht besser sagen können. Gemeint war der Strafraum.

Vollends zu lyrischen Metaphern gelangte Rufer bei einem Exkurs über die belgische Spielerin Davina Philtjens:

«Mit 33 Jahren ist sie als Fussballerin im Herbst ihrer Karriere, als Mensch aber in der Blütezeit gerade erst angekommen.»

Am Ende der ersten Halbzeit begab sich der Kommentator dann mit seinem Fazit eher in die Comedy-Sparte:

«Es steht null zu null. Es könnte aber auch genauso gut umgekehrt stehen. Keiner würde reklamieren.»

Nein, lieber Sascha Rufer, keiner reklamiert im Übrigen, wenn ein Live-Reporter aus einem moderaten Spiel ein lustiges Volkstheater macht. Die Italienerinnen haben am Ende eins zu null verloren. Ihre beste Performance hatten sie vor Spielbeginn geliefert. Rufer: «Keine Nation singt die Nationalhymne mit solcher Inbrunst wie die Italiener.»

Und, so ist hinzuzufügen: Keiner kommentiert einen Fussballmatch mit solcher Wortkunst. Der SRF-Literaturclub wartet auf Sascha Rufer. 


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Eine Meinung zu

  • am 21.07.2022 um 06:15 Uhr
    Permalink

    Interessiere mich kein Bisschen für Fussball – ausser als meine Tochter und mein Sohn beim FC-Berneck mitspielten.
    Ihr Bericht ist wunderschön. Merci!
    Freue mich darauf, Sascha Rufer im Literatur-Club zu erleben.

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