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Der Bündner Gian Gilli (54) leitet die 102-köpfige Schweizer Delegation in London. © SF

«Es wird professionalisiert und das kostet Geld»

Urs Zurlinden /  Gian Gilli leitet die Schweizer Delegation an den Olympischen Spielen in London. Er verteidigt den beträchtlichen Aufwand dafür.

Herr Gilli, für die Olympischen Sommerspiele in London, die am 27. Juli beginnen, ist Dauerregen angesagt – keine schönen Aussichten.
Gian Gilli: Für die Hallensportler ist das Wetter unwichtig, für Roger Federer auch, Wimbledon hat ein Dach – und die Outdoorsportler sind auf jegliches Wetter vorbereitet.
Das schlechte Wetter könnte die Stimmung vermiesen. Wie werden Sie die Athleten aufheitern?
Nicht nötig, die machen das schon selbst. Wir können das Wetter nicht beeinflussen, also verschwenden wir keinen Gedanken und Energie an unbeeinflussbare Faktoren.
Selbst ein Psychologe wird nach London mitreisen – als Tröster bei Niederlagen?
Genauer: ein Notfallpsychologe. Wenn 200 Leute in London unterwegs sind, kann auch Unvorhergesehenes auftreten. Wir wollen für den Fall gerüstet sein. Auch im Aufbau der mentalen Stärke kann er unterstützend wirken.
Wozu brauchen Spitzensportler psychologische Beratung?
Gerade an Olympischen Spielen ist die mentale Verfassung und Qualität entscheidend. Am Schluss findet das meiste zwischen den Ohren statt… Sportpsychologen befähigen den Sportler, die mentalen Anforderungen jederzeit erfolgreich zu bewältigen.
Die 102-köpfige Schweizer Delegation wird von 110 Helfern begleitet. Eine feudale Betreuung.
Unsere Aufgabe ist es, den Athleten ein Umfeld zu bieten, das es ihnen ermöglicht, in London ihre Bestleistung abzurufen. Dazu gehört auch eine möglichst optimale Betreuung. Zudem werden nie alle 110 Betreuer gleichzeitig vor Ort sein. Wir haben vom Organisationkomitee nur rund 60 Akkreditierungen für die Betreuung erhalten, dürfen diese aber weitergeben.
Das Helferteam reicht von den Coaches über Physiotherapeuten bis zu auserlesenen Köchen. Sind die Schweizer Athleten Kostverächter?
Wir nutzen auch ausserhalb der offiziellen Olympic Villages eigene Unterkünfte, um unnötige Transportwege zu vermeiden. Diese Unterkünfte betreiben wir selber, also braucht es auch den Koch.
Ebenfalls dabei sind Pferdepfleger für die Reiter und ein Windguru für die Segler. Das tönt nach viel Luxus.
Sie irren. Ohne Expertencoaching sind wir nicht mehr konkurrenzfähig. Um vorne mitsegeln zu können sind örtliche Kenntnisse der Meteo, der herrschenden Windverhältnisse inklusive dem Wissen über Wasserströmungen im Meer ein absolutes Muss.
Das Budget für die Schweizer Delegation beträgt vier Millionen Franken – also knapp 40 000 Franken pro Sportler für die 17 Tage.
Das dürfen Sie gerne so rechnen. Die Kosten verteilen sich auf drei Jahre. Im Budget sind auch verschiedenste Vorbereitungsprojekte wie beispielsweise ein Konditionsprojekt für die Ruderer oder Höhentrainings für die Mountainbiker enthalten. Dazu kommen die Organisationskosten.
Das Budget hat sich seit den Sommerspielen 2000 in Sidney schlicht verdoppelt. Wie kommt das?
Der Spitzensport um die absolute Weltspitze entwickelt sich in vielen Sportarten rasend schnell, es wird professionalisiert und das kostet Geld. Um international mithalten zu können, müssen wir entsprechend investieren.
Ärmere Länder können sich diesen Aufwand nie leisten.
In Peking haben vor vier Jahren 204 Länder teilgenommen. Das Internationale Olympische Komitee finanziert über das Programm «Olympic Solidarity» Fördermassnahmen für ärmere Länder – eine tolle Unterstützung.
Auch die Erfolgsprämien wurden seit Peking 2008 verdoppelt. Kann Geld zum Sieg verlocken?
Nein, Sportler und Champions siegen nicht des Geldes wegen. Die Motive sind andere. Die Verdoppelung ist eine sanfte Anpassung an die Prämienhöhe anderer Länder und eine angemessene Anerkennung für erbrachte Trainings- und Wettkampfleistungen über Jahre. Es steckt viel Arbeit, Verzicht und persönlich finanzielle Investition hinter einer Medaille, besonders bei nicht hoch kommerzialisierten Sportarten.
Pro Goldmedaille bezahlt Swiss Olympic nun 40 000 Franken, für Silber 30 000 und für Bronze 20 000.
Im Vergleich mit anderen Ländern liegen wir mit dieser Prämienhöhe noch weit unter dem Durchschnitt. Vor allem die Ostländer sind sehr spendabel.
Neben einem Roger Federer, einem Fabian Cancellara und vielleicht noch dem Fechter Fabian Kauter sind doch kaum Medaillenanwärter in Sicht.
Sie irren ein zweites Mal: Ich würde Nino Schurter, Nicola Spirig, die Springreiterequipe, Max Heinzer, Swan Oberson, Stan Wawrinka mit Roger Federer im Doppel und auch noch diverse andere tolle Persönlichkeiten in unserer Mission als Medaillenkandidaten aufführen.
Wie viel mussten Sie «King Roger» bezahlen fürs Mitmachen?
Roger Federer ist stolzer Schweizer, ein stolzer und erfolgreicher Weltsportler. Ihn muss man nicht bezahlen für eine Olympiateilnahme. Seine Motivation, für sein Land und für sich als Tennisspieler in London an den Start zu gehen, ist für ihn Ehrensache. Er bekennt sich zu hundert Prozent zu Olympia und zur Schweiz.
Wie beurteilen Sie den Sicherheitsaufwand in London?
Natürlich als gross, aber sehr seriös und kompetent. Das Land und das OK wollen keine Risiken eingehen, das ist auch gut so.
Die USA werden 1000 zusätzliche Bodyguards abkommandieren. Zu Recht?
Wenn es der Sicherheit der Athleten und der Allgemeinheit dient, spricht nichts dagegen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine. Gekürzte Fassung eines Interviews, das am 15. Juli in der Südostschweiz erschienen ist.

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