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In der Statistik nimmt die Entwicklungshilfe zu, obwohl sie abnimmt. © Aray Khadka/Pixabay/cc

Mehr Umverteilung verhindert Extremismus

Felix Gnehm /  Forderungen nach einer Reduktion von Ungleichheit sind wissenschaftlich begründet, sagt der Direktor von Solidar Suisse.

psi. Dies ist ein Gastkommentar von Felix Gnehm, Direktor von Solidar Suisse.

Extreme Ungleichheit bewegt die Gemüter. Nach der Veröffentlichung des neuen Oxfam Reports über die weltweit extreme Ungleichheit äusserte sich die NZZ im Kommentar «Oxfam: Die Beschäftigung mit den Reichen zeigt zunehmend obsessive Züge» zur wachsenden Ungleichheit und zur Idee der steuertechnischen Umverteilung, um weltweite Armut zu verringern. Nur liess sich die Zeitung als Quintessenz zur Aussage verleiten, Oxfams Beschäftigung nehme obsessive Züge an, anstatt sich dem Problem der wachsenden Ungleichheit und damit verbunden den Problemen in unserem Wirtschafts- und Steuersystem anzunehmen.

Ein kleiner Prozentsatz würde genügen

Die Wahrheit ist: Der jährlichen Finanzierungslücke der globalen Entwicklungsagenda 2030 von 2,5 Billionen US-Dollar steht ein globales Privatvermögen von 463 Billionen US-Dollar gegenüber. Es bräuchte also jährlich lediglich 0,5 Prozent des verfügbaren Privatvermögens, um weltweit allen Menschen Zugang zu sauberem Wasser, menschenwürdiger Arbeit, gesunder Ernährung, Bildung oder Gesundheit zu verschaffen. Dass sie stattdessen Social-Media-Plattformen kaufen, sich im Raketenwettfliegen betätigen oder im Pazifik dem Eskapismus frönen, sei dahingestellt. Wir sollten uns jedoch erstens fragen, welche Auswirkungen extreme Ungleichheit auf Gesellschaft und Wirtschaft hat, und zweitens, welchen Grad von Ungleichheit wir in unseren Gesellschaften wollen.

IWF: Steuerpolitik als wirksames Werkzeug

Zu den Auswirkungen stellte sogar Chinas Präsident Xi Jinping fest: «Das Problem der Einkommensungleichheit verschärft das Wohlstandsgefälle und führt zum Zusammenbruch der Mittelschicht, zu sozialer Spaltung und zu politischer Polarisierung, was den Populismus verschärft. China muss entschlossene Anstrengungen unternehmen, um eine Polarisierung zu verhindern und um soziale Harmonie und Stabilität zu verwirklichen.» Er muss es wissen, steht Chinas unbestrittenen Erfolgen mit höheren Durchschnittseinkommen dank Wirtschaftswachstum eine massive Verschärfung von wirtschaftlicher und soziopolitischer Ungleichheit gegenüber. So sehr China als Poster-Boy der Armutsreduktion gelobt wird, so ohnmächtig steht der neue ökonomische Superstar den jährlich über zehntausend öffentlichen Protesten der unzufriedenen Bevölkerung, den 99 Prozent, gegenüber.

Felix Gnehm, Direktor von Solidar Suisse (pd)

Unsere Forderung nach einer Reduktion von Ungleichheit entspringt also weniger einer obsessiven Fixierung auf Superreiche als soliden politischen und wirtschaftswissenschaftlichen Handlungsempfehlungen. Die Weltbank hält fest, dass eine hohe und anhaltende Ungleichheit «nicht nur moralisch falsch, sondern auch ein Symptom für eine kaputte Gesellschaft ist». Sie führe zu verfestigter Armut, ersticktem Wachstum und sozialen Konflikten.

Folgerichtig rät der Internationale Währungsfonds (IWF), die Ungleichheit zu bekämpfen, und empfiehlt einen Mix aus politischen Instrumenten, die den Eintritt in den Arbeitsmarkt ermöglichen und faire und sozialverträgliche Arbeitsmarktbedingungen gewährleisten. Dies führe die notwendigen Korrekturen der Ungleichheiten durch Umverteilung herbei. Länder, die mehr für Bildung, Gesundheit und Sozialschutz ausgeben und ein stärker umverteilendes Steuersystem haben, sind im Durchschnitt erfolgreicher bei der Verringerung der Ungleichheit. Dabei hält der IWF die Steuerpolitik für das agilste und wirksamste Instrument zur Eindämmung von Ungleichheiten.

Die aktuelle Zunahme von Superreichtum und Ungleichheit kann bei weitem nicht als unproblematisch bezeichnet werden. Es verwundert daher nicht, dass sich die Positionen von so verschiedenen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Entwicklungsagenturen wie Solidar Suisse, Oxfam, Weltbank, IWF, SECO und DEZA hier decken. Alle unterstützen das nachhaltige Entwicklungsziel Nummer 10 der UNO-Agenda 2030, nämlich «die Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten zu verringern».

Ungleichheit fördert den Radikalismus

Der anlässlich des WEF publizierte Oxfam-Report zeigt auf, dass wir seit der Covid-19-Pandemie sogar in die entgegengesetzte Richtung gehen und uns vom Soll-Zustand weit entfernen. Solidar Suisse hält es für ein grosses gesellschaftliches Problem, dass sich auch das Vermögen der 41 Schweizer Milliardär*innen seit Beginn der Pandemie bis November 2022 um 52 Prozent erhöht hat.

Wie wenig Steuern müsste man nun abschöpfen, um beispielsweise das Solidar-Schwerpunktland Burkina Faso aus der Krise zu führen. Der bitterarme Sahelstaat verfügt über jährliche Staatseinnahmen von höchstens drei Milliarden Schweizer Franken. Verzweifelt kämpft das Land gegen die Radikalisierung von jungen Menschen, die sich in der Folge zu lokalen Terrortrupps rekrutieren lassen, anstatt die Schulbank zu drücken.

Je mehr Menschen es gibt, die hungern, kein Wasser haben, es nicht vermögen, ihre Krankheiten zu behandeln und ihre Kinder zur Schule zu schicken, desto schlechter ist der Zustand einer Gesellschaft. Wenn nun in derselben Gesellschaft das Vermögen der Reichsten ständig zunimmt, wächst verständlicherweise auch die Unzufriedenheit. Dies ist gefährlich, denn sie bildet den Nährboden für politische Radikalisierung und Populismus. Auch hier: Wissenschaftliche Untersuchungen machen als Grund von Radikalisierung die soziopolitische und wirtschaftliche Ungleichheit aus. Extreme Ungleichheit ist also tatsächlich ein Problem. Störend ist nicht, dass wenige Menschen ganz viel besitzen, sondern, dass so viele Menschen so viel weniger besitzen als die wenigen Superreichen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Felix Gnehm ist Direktor von Solidar Suisse.
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4 Meinungen

  • am 1.02.2023 um 14:11 Uhr
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    Vielen Dank. Das Problem liegt darin, dass unser Wirtschaftssystem zwangsläufig Ungleichheit generiert und jeder Versuch das System zu ändern politisch scheitert, selbst kleine Symtopmbekämpfungen wie Erbschaftssteuern oder bedingungsloses Grundeinkommen. Dies weil gerade diejenigen, denen es am schlechtesten geht, meistens die Politik der Superreichen unterstützen.

  • am 1.02.2023 um 23:36 Uhr
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    Guter Artikel. Meiner Meinung nach ist dies eines wenn nicht das wichtigste Thema überhaupt. Symbolisch für die freie Marktwirtschaft sind die Milliardäre die in der Corona-Krise noch viel reicher geworden sind. Ich wundere mich immer wieder wie die Gesellschaft dies einfach so hinnimmt. Diese Leute werden sogar oft noch bewundert. Dabei nutzen die meisten davon das System aus. Es ist schliesslich der Profit und die Gier die zu immer mehr Reichtum führen. Es sind keine Gutmenschen die so reich werden. Ganz wenige werden vllt irgendwann einen Sinneswandel haben und merken dass man mit einer Milliarde mehr kein bisschen glücklicher wird, aber wenn mit dieser Milliarde stattdessen vllt 200’000 Menschen geholfen werden kann das evtl. mehr Sinn macht. Geld korrumpiert und verblendet. Aber es sind nicht nur die Milliardäre, sondern auch z.B. Fussballer oder Influencer die mit Instagram sinnlos Millionen machen. Wenige Reiche werden immer reicher und sehr viele Arme werden immer ärmer…

  • am 2.02.2023 um 19:49 Uhr
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    Sehr guter Artikel. Leider werden Lösungsansätze durch (verdeckte) imperialistische Aktionen von Grossmächten, allen voran den USA, zunichte gemacht. Grosse Konzerne wollen billig produzieren und möglichst hohen Profit abschöpfen. Durch imperialistische illegale Aktionen, werden Instabilität und Korruption gefördert, zu Lasten eines möglichen Wohlstands. Leider werden solche Machenschaften vertuscht und nicht von der UNO und dem Strafgerichtshof angeprangert. Wer sich traut, seine Stimme dagegen zu erheben, wird diffamiert.

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