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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe samt Bucketlist: mit falschem Englisch «blöffen»

Daniel Goldstein /  Sich über all die Englischbrocken im Deutschen zu ärgern, ist ungesund. Besser amüsiert man sich über ihren oft falschen Gebrauch.

Vielleicht fing das Angeben mit falsch verstandenen englischen Wörtern schon mit bluffen an, genauer mit der schweizerdeutschen Form blöffe. Denn so steht das Wort oft für blosses Aufschneiden, Angeben – ohne die Täuschungabsicht, die im englischen (to) bluff steckt und bei der hochdeutschen Verwendung mitgemeint ist. Aber auch Hochdeutsch ist nicht gefeit vor unverstandenem Englisch, und sei ein Wort auch noch so lang im Gebrauch. So geschehen mit Sparringspartner, als Ungarns Premier die Ukrainehilfe der EU blockierte: «Viktor Orbán agiert hier ganz als Sparringspartner von Wladimir Putin.» Hier nur nebenbei: In der Schweiz macht man keinen Fehler, wenn man den Trainingsgegner englischnah ohne eingeschobenes s schreibt: Sparringpartner.

Die Zeitung schrieb den Namen des Premiers gepflegt mit ungarischem Akzent. Aber meinte sie wirklich, dass er übungshalber den östlichen Nachbarn zum (Faust-)Gefecht mit dem Westen stählte? Nicht doch, denn so ging es weiter: «Einige sehen den Ungarn nicht umsonst als trojanisches Pferd des russischen Präsidenten.» Die antik gefärbte Bildungssprache macht alles klar, hoffentlich auch für alle. Wenigstens war kein Latein dabei; zum Glück ist es selten geworden, dass man damit Eindruck schinden will und sich womöglich blamiert. Aber auch die Mode, möglichst viel Englisch einzuflechten, bietet allerlei Gelegenheiten, danebenzuhauen.

Ohne Rückschläger kein Backlash

Besonders anfällig für einen Missgriff ist Backlash. Duden.de gibt als Bedeutungen an: Gegenreaktion, Gegenströmung, Konterschlag. Wer einen Unterschied zwischen Reaktion und Gegenreaktion sucht, kann erfolglos im Kreis herum wieder bei Backlash landen. Dort steht auch noch: «Herkunft englisch backlash, eigentlich = Gegenschlag, aus: back = zurück und lash = Schlag (mit der Peitsche)». So viel ist damit klar: Damit ein Backlash vorliegt, braucht es jemanden, der zurückschlägt. Aber taugt Corona als Täterin? «Wie die Corona-Krise zum Backlash für Gleichberechtigung wird», titelte eine Zeitung, weil Frauen stärker von den häuslichen Zusatzbelastungen betroffen waren. Und eine andere sah den Backlash darin, dass wieder mehr männliche Fachleute von Medien befragt würden, nachdem zuvor Frauen aufgeholt hätten.

Nun gibt es ja durchaus Männer, die sich der ausgleichenden Gerechtigkeit für Frauen widersetzen, und das kann man als Backlash gegen die Gleichberechtigung bezeichnen. Ein ganz gewöhnlicher Rückschlag aber war, was die Corona-Pandemie gemäss den angeführten Berichten bewirkte. Jedenfalls erschien darin das Virus nicht als Erfüllungsgehilfe der widerspenstigen Männer, nicht einmal als Sparringpartner. Warum also Backlash statt Rückschlag? Vielleicht um zu zeigen, dass man sprachlich up to date ist, sogar hip.

Die letzte Liste überleben

Man hat dann natürlich eine To-do-Liste. Findet man dieses Wort zu banal oder nicht einmal mehr englisch genug, so muss Bucketlist her. Etwa in der Zeitungsbeilage, deren «Reise-Bucketlist 2024» stolz umfasste: Kanalinseln, Zypern, Tansania, Indien und Chile. Nicht schlecht, besonders wenn man bedenkt, dass bucket list auf Englisch (und nach Duden auch eingedeutscht) eine Liste von Dingen ist, die man bis zum Tod noch erledigen will. Den Namen hat sie von der Redensart to kick the bucket für «ins Gras beissen». «Neapel sehen und dann sterben», das schon von Goethe aufgegriffene dortige Sprichwort, reicht längst nicht mehr. Nur dass die Reiseberater «und dann sterben» weglassen – schliesslich wollen sie auch nächstes Jahr noch Kundschaft.

Sogar gute Englischkenntnisse können einem zum Verhängnis (engl. doom) werden, wenn sich nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch weiterentwickelt. Da wurde neulich in einer Mundart­sendung doomscrolle so erklärt, dass man dabei im Internet herumstöbere «bis zum Jüngschte Tag». Der heisst zwar doomsday, aber doomscrolling bezieht sich nicht darauf, sondern auf die zwanghafte Internetsuche nach Hiobsbotschaften. Reichen die Bibelkenntnisse nicht, um das letzte Wort zu verstehen, so kann man die Lektüre des leidvollen Buchs Hiob auf die Bucketlist nehmen und als letzten Punkt: doomscrolle «bis zum Jüngschte Tag». Damit bekommt man voraussichtlich ganz viel Zeit.

Weiterführende Informationen

  • Indexeintrag «Anglizismen» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3. In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im herun­tergeladenen PDF
  • Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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