Kommentar

Richard Wagner: Zwischen Abscheu und Bewunderung

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Klara Obermüller /  Eine spannende Inszenierung im Zürcher Schiffsbau-Theater: «Richard Wagner – Wie ich Welt wurde». Noch bis zum 29. Juni.

In keiner anderen Stadt, ausser Bayreuth, hat Richard Wagner so viele Jahre seines Lebens verbracht wie in Zürich. In keiner anderen Stadt, ausser Bayreuth, hat er so epochale Werke geschaffen wie in Zürich. Hier hat er zwischen 1850 und 1858 die Dichtung zum «Ring des Nibelungen» vollendet, hier hat er die «Wesendonck-Lieder» und weite Teile von «Tristan und Isolde» komponiert, und hier hat er jene theoretischen Schriften verfasst, die ihn berühmt und berüchtigt gemacht haben: «Das Kunstwerk der Zukunft» und «Das Judentum in der Musik».
Motto «Treibhaus Wagner»
Dies und der 200. Geburtstag des Komponisten waren für die Stadt und ihre Kunstinstitute Grund genug, die diesjährigen Zürcher Festspiele ganz dem Werk Richard Wagners zu widmen. «Treibhaus Wagner» lautet das Motto und deutet an, dass man den Komponisten als Phänomen und nicht nur als Einzelperson würdigen will. Es wagnert zur Zeit denn auch allenthalben in Zürich: in der Tonhalle wie im Opernhaus, im Kunsthaus wie im Rietberg-Museum, im Schauspielhaus wie im Theater Rigiblick – und schliesslich auch im Schiffbau, wo die Festspiele am 14. Juni mit der Text-Collage «Richard Wagner – Wie ich Welt wurde» von Hans Neuenfels feierlich eröffnet wurden.
Göttliche Musik eines Scheusals von Mensch
«Eine wahre Fantasie in zwei Akten mit Musik aus dem Werk von Richard Wagner» nennt der Regisseur und Autor sein Stück, das sich mit Wagners Zürcher Jahren auseinandersetzt. Nicht mit jenen allerdings, die Wagner wirklich in Zürich verbracht hat, sondern mit einer fiktiven Begebenheit, die 1882, ein Jahr vor Wagners Tod, hätte stattfinden können, sich so jedoch nie zugetragen hat. Neuenfels lässt Wagner und seine Frau Cosima auf dem Weg nach Venedig in Zürich Station machen und sie dort noch einmal jenen Menschen begegnen, die für Wagners künstlerische und persönliche Entwicklung, seine Welt-Werdung eben, wichtig waren: allen voran Mathilde Wesendonck und ihrem Mann Otto, der den aus Dresden geflüchteten Komponisten in seinem Haus aufnahm und zum Dank dafür von diesem Hörner aufgesetzt bekam, aber auch dem Dichter und Staatsschreiber Gottfried Keller, dem Freund aus jungen Jahren, Karl Ritter, dem Bayernkönig Ludwig II. sowie dem Lyriker und Wagner-Verehrer Charles Baudelaire. Dass Letzterer zum Zeitpunkt dieses fiktiven Zürich-Aufenthaltes bereits tot ist und Ludwig II. erst nach Wagners Zürcher Zeit in dessen Leben trat, kümmert Hans Neuenfels ebenso wenig wie die Tatsache, dass einige wichtige Persönlichkeiten wie etwa Franz Liszt oder Hans von Bülow fehlen. Ihm geht es nicht um historische Wahrheit, ihm geht es darum zu zeigen, wie Wagner Wagner wurde und vielleicht, wer weiss, eine Antwort auf die quälende Frage zu finden, wie es kommt, dass ein solches Scheusal von Mensch derart göttliche Musik hervorbringen konnte.
Aus kritischer Distanz
Eine schlüssige Antwort vermag zwar auch der Abend im Schiffbau nicht zu liefern, aber er stösst Überlegungen an, er beunruhigt, macht ratlos, entsetzt und beglückt – und ist damit meilenweit von all jenen Huldigungen entfernt, die Geburts- und Todestage grosser Künstler üblicherweise heraufbeschwören. Hans Neuenfels’ «Fantasie in zwei Akten» ist aus kritischer Distanz zu Wagner entstanden und wirkt deshalb auch dort am stärksten, wo der Zwiespalt des Autors, seine Bewunderung für den Komponisten Wagner und sein Abscheu vor dem Antisemiten Wagner, unverhüllt zu Tage tritt. «Ein Riesengeheimnis» hat Neuenfels in einem Interview diesen Widerspruch in Wagners Persönlichkeit genannt und zugegeben, dass er ihn akzeptiert, ja, akzeptieren muss, weil die Musik nicht ohne die Person des Komponisten, das Geniale nicht ohne das Abstossende zu haben ist.
Musikalisches und intellektuelles Vergnügen
Dass ihm sowohl das Schauspieler- wie das Sängerensemble lustvoll auf diesem Erkundungsgang durch den verwirrenden Kosmos Wagner gefolgt sind, macht die Aufführung im Schiffbau zu einem musikalischen wie intellektuellen Vergnügen. Sängerinnen und Sänger des Opernhauses Zürich bringen, begleitet von einem Instrumentalensemble unter der Leitung von Arno Waschk, Wagner vom Feinsten zum Klingen, während Elisabeth Trissenaar und Robert Hunger-Bühler das Dreigestirn Cosima, Mathilde und Richard noch einmal lebendig werden lassen: sie elegant, gebieterisch und leidenschaftlich in ihrer Doppelrolle als Mathilde und Cosima, er wie immer reichlich manieriert und gleichwohl überzeugend als Richard in seinem stets vom Absturz bedrohten Grössenwahn.
In ihrer gelungenen Mischung von Wort und Musik eignet sich die Aufführung hervorragend als Einstimmung auf all die Wagner-Gedenkfeierlichkeiten, die in diesem Jahr noch anstehen. Und wer in der Pause von Neuenfels’ Text-Collage vielleicht noch nicht restlos überzeugt war, der wurde von der ebenfalls anwesenden Urenkelin des Komponisten, Nike Wagner, eines Besseren belehrt: «Hervorragend, einfach hervorragend», liess sie sich vernehmen. Einem Lob aus so berufenem Mund möchte man nur ungern widersprechen.

Weitere Vorstellungen: 18., 20., 22., 25., 27. und 29. Juni

Dieser Beitrag erscheint auch auf Journal21


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