Kommentar

kontertext: Zur grossen Aufregung um die «KI»

Mathias Knauer* ©

Mathias Knauer /  KI-Generatoren taugen bisher höchstens für Alltagstexte. Nicht für kreative Köpfe sind sie eine Konkurrenz, sondern für Routiniers.

Zur Zeit geistert eine grosse Aufregung durch alle Gazetten und Medien. Nachdem neuerdings die Dienste der Automaten der US-Firma OpenAI von Krethi und Plethi ausprobiert werden können, hat nahezu jedermann sich schon ein bisschen mit den verblüffenden Resultaten der selbstlernenden Roboter auseinandergesetzt – und entweder erfahren, wie sie scheitern, oder wie sie scheinbar perfekt, jedenfalls blitzartig und unanstössig Texte und allerhand anderes ausspucken.

Nähere Prüfung indessen bringt fast ganz so schnell die Wahrheit an den Tag. Ich fragte, netterweise auf Englisch, nach den wichtigsten Werken der weltweit bekannten koreanischen Komponistin Younghi Pagh-Paan. Ich erhielt ein Listicle mit lauter erfundenen Stücktiteln und stereotyp variierten Kurzbeschreibungen. Nur ein einziger Titel entsprach einem existierenden Werk, aber der orakelnde ChatGPT-Roboter gab ein falsches Entstehungsjahr an. Von einem dieser Stücke wird gar kontrafaktisch behauptet, es sei einem umstrittenen Kollegen gewidmet, den die Komponistin überdies noch «bewundert» haben soll.

Otto Ubbelohde, 1909

Wer sich längstens mit solchen Themen befasst hat, der wundert sich nicht ob derlei Missgriffe. Denn statt Intelligenz waltet hier nur ein stromfressender Maschinenfleiss; zwar scheint das Produkt an der Oberfläche kompetent, doch sachlich ist es rundum falsch. Während aber ein Mensch, nach dem Gleichen gefragt, einfach eingestehen würde: darüber weiss ich leider zu wenig und kann Ihnen nichts Gescheites sagen, versucht der Automat, wenn er sein dürres Sammlerhirn erfolglos durchsucht hat, nach einem eleganten Ausweg, um nicht der Firma Ruf als Doctor Allwissend zu gefährden.

Nicht immer, hier aber sofort: das Programm demaskiert sich selber als Flunkermaschine, immer parat, künftig Seiten und Bände zu füllen mit dem Stoff, der heute schon von Medienschlossern vorauseilend Content genannt wird. Einerlei, ob etwas stimmt oder nicht, Hauptsache es erscheint dem Konsumenten als humanoïde Ausscheidung und halte den Esel bei der Stange.

Roboterkonkurrenz bedroht die Künste

Die Künstlerschaft, Schriftsteller, Komponistinnen, je länger je weniger beschützt von mitstreitenden und sachkundigen Redaktionen, ausgeliefert dem Markt moribunder Medien, die sich noch gegenseitig zerfleischen, müssen sich verständlicherweise bedroht fühlen vom zunehmend dreister auftretenden Robotergezücht der GAFAM und Konsorten, das ihrem Schaffen Konkurrenz macht.

Die Schweizer Literatur-Übersetzerinnen und -Übersetzer haben unlängst in einem Symposium sich mit dem sich abzeichnenden Wandel ihres Berufes auseinandergesetzt. Zu meinen wichtigsten Eindrücken zählen zwei simple Feststellungen erfahrener Berufsleute. Ein Praktiker verriet: «Ich habe einen Roman immer dreimal durchgelesen, bevor ich mit dem Übersetzen begonnen habe». Nämlich um den richtigen Ton zu finden, worauf es in den Künsten ja ankommt. Und aus einer Studie des «A*dS», die in Zug vorgestellt worden ist, spricht unmissverständlich, dass es mehr Zeit beansprucht, sogar einen vom erstaunlich tüchtigen Übersetzungs­werkzeug DeepL ausgespuckten Text zurechtzurücken, als den Text selber zu übersetzen. Was auch der Erfahrung des Schreibenden entspricht: notiert man korrekt die Arbeitszeit für solches Post-Editing, so ist es – jedenfalls zur Zeit noch – billiger, selber zu übersetzen, sobald man es auch nur mit einem mässig originellen Text mit Stil zu tun hat und nicht mit bürokratischem Formelkram, mit Amtsverlautbarungen, journalistischer Nachrichtensprache oder einem Beipackzettel.

Holprige Vermittlerdienste

Gewiss sind die sich entwickelnden Übersetzungsautomaten in mancher Hinsicht ein Fortschritt, genauso wie andere «KI»-Hilfsmittel vergleichbarer Art, die klassische Werkzeuge wie Synonymlexika erweitern. Namentlich erlauben sie es, Texte zu lesen, die mir sonst unzugänglich blieben. So kann ich zum Beispiel auch trotz Kauderwelsch wenigstens abschätzen, was die Komponistin bei der Uraufführung ihrer Oper in Korea im Gespräch ungefähr gesagt haben dürfte, und könnte einem menschlichen Übersetzer einen Auftrag erteilen:

«Ich wollte vielen Menschen die endlose Liebe des Choi Yang-up-Vaters vermitteln.» Der zweite Priester der koreanischen katholischen Kirche, Pater Choi Yang-up (1821 bis 1861), der wiederlesende Komponist Park Young-hee (76), der anlässlich des 200-jährigen Jubiläums die neue Oper «Himmel auf der Strasse» komponierte, sagte: «Nachdem er sich einen Ruf als globaler Komponist mit einem dünnen ersten Titel erarbeitet hatte, veröffentlichte er am 7. eine Geschichte, die in seinem Musikleben verwickelt war […].1

Auch wenn auf jener Internetseite andere getestete Anbieter einen Pater vom Vater zu unterscheiden wussten, so konnte, weil ohne Kenntnis des Musiklebens, keiner dieser Dienste erkennen, dass im Interview eine Frau spricht. Jeder Leser hingegen – so Koreaner, die dank ihrer artikellosen Sprache geübt sind, in Zusammenhängen zu denken – hätte das Geschlecht der sprechenden Person, sofern es der Name ihm nicht schon verraten hat, bloss aus den verschiedenen Porträtbildern in jenem Interview zu verstehen gewusst.

Es geht wohl doch nicht ohne Intelligenz

Aus solchen Versuchen geht hervor, dass Qualitätsübersetzungen von Texten, die nicht gerade Alltagsthemen in alltäglicher Sprache behandeln, von den selbstlernenden Automaten schwer zu haben sind. Die Dienste basieren auf riesigen Textsammlungen – DeepL stützt sich u.a. auf ihre bekannte und nützliche Datenbank Linguee, die auch von lebenden Köpfen aufgesucht wird, um sich Kollationen bestehender Übersetzungen eines Begriffs anzusehen, ohne selber im Internet recherchieren zu müssen.

Bei Textgeneratoren und den heute ins Kraut schiessenden kommerziellen «KI»-Bild- oder Musikgeneratoren werden mit Data-Mining – übrigens meist ohne Schürfrechte und extrem stromfressend – bestehende Werke ausgebeutet, deren Qualitäten dann zu neuen Bildern oder Stücken zusammengestiefelt werden.

Kreative Ursprünge

Die frühsten Kompositionen, die ab den 1950er Jahren nach voreingegebenen Stilregeln mit algorithmischen Verfahren erzeugt worden sind, waren noch universitäre Forschungsarbeiten, Pröbeleien, die mehr dazu dienten, die Tauglichkeit der Analysemethoden zu erforschen, als dass sie sich als Ersatz für wirkliche kompositorische Kreation verstanden hätten. Eine der ersten, die Illiac-Suite für Streichquartett, entstand 1956 in Urbana auf dem dortigen Universitätsrechner. Zwar haben auch bedeutende Komponisten wie Iannis Xenakis zu Zeiten des aleatorischen Komponierens sich des Computers bedient, um stochastische Musik zu schaffen – mit Zufallsgenerator, Regeln und statistischen Daten «Dinge zu machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind2».

Dass die Firma IBM 1962 Xenakis einen Mainframe 7090 zur Verfügung gestellt hat, verdankt die Musikgeschichte nicht einer Spekulation auf baldige Grossumsätze am Musikmarkt, vielmehr einem beiderseitigen wissenschaftlichen Pioniergeist. Das ist heute anders: die Big-Tech sind Wirtschaftskonzerne. Wenn sie jetzt in den Startlöchern stehen, so wollen sie nicht Kunst, sondern Geld sehen. Die Firma OpenAI ist aus dem historischen San Francisco Pioneer Building in einen gesicherten Betonkomplex umgezogen.

Bedroht sind nur die Routiniers

Weil mit den Künsten – zumal beim Verkümmern der musischen Bildung, zunehmend auch bei den politischen und medialen Entscheidungsträgern – kein grosses Geld zu machen ist, stehen die Chancen schlecht, dass die «KI»-Entwicklungen in der Kulturproduktion Exzellenz und den innovatorischen Mut anregen und stärken werden. Weil «KI»-Generatoren zu ihrem Geschäft vorab das statistisch Relevante, also das Mittelmass aus den fürs Training ausgebeuteten Materialien auswerten, muss vermutet werden, dass auf diesem Wege wirkliche künstlerische Innovation, der – nach Metzgers Wort – ästhetische Fortschritt als Negationszusammenhang, nicht sich einstellen wird.

Die «KI» dient jetzt schon und wird nützlich sein für die Routinearbeit und die Massenproduktion. Im Filmgeschäft werden jetzt schon im Writer’s Room die Stellen für Serien-Drehbuch-Schreiber zurückgebaut. Solche Galeerenposten dürften also zum Glück ebenso verschwinden wie der bloss seine Saucen neu umrührende «Sound-Designer» oder Trickfilmzeichner. Bedroht sind also nicht die Künste, sofern sie es nicht sich selber noch einbrocken, sondern die Routiniers, Hotelkunst-Lieferantinnen, Klingelton- oder dienstfertigen Filmkomponisten.

Beim Versuch, sich von DeepL aus aktuellem weltpolitischem Anlass das sehr bekannte Gedicht Patrouille von August Stramm übersetzen zu lassen, kam deren Programm ins Straucheln und musste nach geraumer Zeit den Absturz melden. Man wird abwarten müssen, wie sich die Sachen entwickeln, und vielleicht wird dem Zirkus ja bald schon zu Gunsten des Klimas und einer ungebärdigen Kreation der Strom abgestellt.

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1 Hier der isländische Übersetzungsdienst Lingvanex im Vivaldi-Browser (https://lingvanex.com). Die im Text erwähnten Versuche des Autors fanden Mitte 2023 statt.

2 Iannis Xenakis, Streichquartett ST/4-41,080262 (1962). FORTRAN-Programm, publiziert in Gravesaner Blätter 26, Mainz 1965, p. 61–75.
Th. W. Adorno, Vers une musique informelle, Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik 1961, Mainz 1962, p. 102. — «Die Gestalt aller künstlerischen Utopie heute ist: Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Knauer ist Musikwissenschaftler, Filmemacher und Publizist. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er ist Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorstand er u. a. das Dossier Medienpolitik betreut. Er betreut u.a. die Website der Komponistin Younghi Pagh-Paan.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 27.04.2024 um 14:24 Uhr
    Permalink

    Herzlichen Dank, Mathias Knauer, für diese wichtigen, feinsinnigen und hilfreichen Beobachtungen!

    Benno Glauser, Asunción, Paraguay

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