Kommentar

kontertext: «Was verboten ist, das macht uns grade scharf»

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  Von der Anprangerung übers Verbot zum Erfolg: «Layla», der Sommerhit des Jahres.

«Ziel erreicht. ‹Layla› auf Platz 1», verkündete die Junge SVP Schweiz im vergangenen Juli auf ihrer Webseite und fuhr fort: «Danke fürs Mitmachen. Gegen Verbote. Für die Freiheit. Stop Woke!». Die Junge SVP hatte dazu aufgerufen, den Schlager «Layla» auf Platz 1 der Schweizer Hitcharts zu hieven. Am 24. Juli war es dann soweit; danach hielt sich der Schlager vier Wochen an der Spitze. 

Nun war der Aufruf der SVP sicher nicht der einzige Grund für diesen Erfolg. Dem Sänger Michael Müller (alias Schütze) und DJ Robin (legt im «Bierkönig» von Mallorca auf) gelang mit «Layla» der deutsche Sommerhit dieses Jahres. Nach seiner Veröffentlichung am 25.3. hatte «Layla» einen schnellen Grosserfolg, auch in Deutschland (Platz eins für neun Wochen ab 24.Mai) und in Österreich (Platz eins für acht Wochen ab dem 5.Juli). Aber die SVP nutzte geschickt eine kulturelle Dynamik, die näher zu betrachten sich lohnt. 

Unreiner Reim

Der Text des Schlagers beruht auf der peinlichen Idee, dass «Layla» sich zur Not reimt auf «geila» (geiler). Das Song-Video zeigt junge Macker im Ferienmodus, Bikini-Girls und auch mal einen Transvestiten. Sie grölen unsinnig oft den Refrain «Layla, Layla, Layla, jünger schöner geiler». Eingeführt wird Layla als Puffmutter. Ihr arabisch-orientalischer Name bedient exotische Fantasien.  

«Layla» ist Teil der florierenden Ballermann-Kultur. Zur Erinnerung: «Ballermann», ursprünglich eine Verballhornung des Strandlokals «Balneario» auf «Malle» (Mallorca), steht für die Kultur des Alkohol-, Party- und Sextourismus. Wo auch immer in diesem Sommer besoffene Männer rumkrakeelen, weiss jeder DJ, jede Djane, was aufzulegen ist: «Layla»! 

Layla Youtube Video
Szene aus dem YouTube-Video zum Song «Layla».

Woraus besteht ein Erfolg?

Grundlage für den Siegeszug von «Layla» waren Skandalisierungen und ein Verbot. Musikkritiker, Journalistinnen und ein Schlagerportal bezeichneten «Layla» als sexistisch. Forderungen nach Verboten wurden laut. Die Junge Union Hessen beschallte ihre Landestagung mit dem Schlager und erntete heftige Kritik von vielen Seiten. Die Stadt Würzburg verbot den Schlager kurzum. Die Mediendebatte weitete sich aus. «Layla» stürmte die Charts in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 

Der Mitbegründer von Summerfield Records, bei dem «Layla» erschienen ist, Dominik de Léon, gab dem «Spiegel» (Nr. 25, 18.06.22) gegenüber zu erkennen, dass die Produzenten bewusst auf politische Unkorrektheit gesetzt haben: «Der Song (…) ist alles andere als politisch korrekt. Wir wissen, dass ein Song eine eingängige Melodie braucht und ein Thema haben muss, mit dem man sich entweder identifiziert oder das polarisiert.» De Léon verweist nicht nur auf Corona, «Unterhaltungsverbot» und Krieg in der Ukraine, sondern auch auf «Zeiten, in denen #MeToo noch in allen Köpfen steckt und die Genderdiskussion rauf und runter geführt wird», um dann den Schluss zu ziehen: «wahrscheinlich ist das genau der Grund, warum die Leute den Song so begeistert feiern.» Auf den Einwurf des Interviewers «Koste es, was es wolle?» antwortet de Léon: «Ja und nein. Schauen Sie, was auf Mallorca passiert. Mallorca will eigentlich weg vom Partytourismus, aber der Schuss geht vollkommen nach hinten los. Dieses Partyjahr ist heftiger als je zuvor. Alles ist extremer, massloser.»

Wir Schweizer:innen kennen die Haltung von de Léon als wirksame Kurzformel. Ueli Maurer sagte, als er noch nicht Staatsmann war, sondern Chef der SVP: «Solange ich Neger sage, bleibt die Kamera bei mir.»

Durchaus ein Dilemma

Zu Überheblichkeit besteht allerdings kein Anlass. Sexistische und rassistische Kulturprodukte müssen als solche bezeichnet werden, was allerdings immer auch die Gefahr der Aufwertung heraufbeschwört. Dem entgeht niemand, auch dieser Artikel nicht. Kommt hinzu: Der Umgang mit Schund verschafft Momente der Lust. Auch bestätigt man sich, einen besseren Geschmack und höhere Ansprüche zu haben. 

Die Dynamik von Kritik, Skandal und Aufwertung kann man sich bewusst machen, mildern kann man sie bestenfalls im Einzelfall: Mässigung im sprachlichen Stil unter Vermeidung alarmistischer Töne, vorsichtige Wahl des Publikationsortes, Hinweis auf Alternativen? Vielleicht. Verbote und Verhinderungen aber müssen nicht sein. Mit ihnen sollte sparsam umgegangen werden. Denn die Gefahr ist gross, dass sie gerade jene Geister auf den Plan rufen, die man bannen wollte. In seinem Lied «Was verboten ist, das macht uns grade scharf» gab Wolf Biermann in den 60er Jahren denn auch der DDR-Führung den ironischen Rat, «jedes Loblied auf den Staat, jede kühne Aufbautat» unter strengste Strafe zu stellen: «Wetten, dass das Vorteil hat? Na, weil: Keiner tut gern tun, was er tun darf – Was verboten ist, das macht uns grade scharf!»


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Eine Meinung zu

  • am 1.09.2022 um 13:21 Uhr
    Permalink

    Moralismus kommt nie gut an; er bewirkt meist das Gegenteil. Nicht umsonst gab es in Diktaturen immer die besten Witze. «Breschnew sitzt in seinem Büro. Es klopft. Breschnew setzt seine Brille auf, nimmt ein Blatt Papier und liest ab: «Herein!».»

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