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Wie zu Gotthelfs Zeiten: Käser in der Schaukäserei Affoltern i.E. © Philipp Probst

Gotthelf-Musical: Liebesgeschichte statt Politik

Philipp Probst /  Der Thunersee wird zur Bühne - das Gotthelf-Musical wird uraufgeführt. Politisch hochaktuell ist aber vor allem die Vorlage dazu.

Während in diesem Sommer Politikerinnen und Politiker aller Couleur durch das Land streifen und für die Wahlen vom Herbst die wiederentdeckte «Swissness» predigen, findet das grösste «Swissness»-Ereignis als Kulturereignis statt: Die Thuner Seebühne führt «Gotthelf – Das Musical» auf.

Gotthelfs politische Anekdoten sind akuteller denn je

Damit treffen die Veranstalter um Res Stucki, Verwaltungsratspräsident der Thuner Seespiele, den Nerv der Zeit. Wie sich die Politiker zwischen der hochgelobten «Swissness» und der durch die aktuellen Ereignisse aufgezwungen Atomdebatte durchwursteln, wäre ein perfekter Stoff für den 1854 verstorbenen Pfarrer Bitzius aus Lützelflüh alias Jeremias Gotthelf. Kein anderer Dichter und Denker hat so meisterhaft die damals aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse auf den Punkt gebracht. Das Buch «Die Käserei in der Vehfreude», das als Vorlage für das Musical diente, steckt voller politischer Anekdoten, die auch heute noch gültig sind. Zum Beispiel als die Vehfreudiger, die Bewohner des Dorfes Vehfreude, ein Gesetz erarbeiteten: «Jeder wollte noch was hineinschmuggeln und erlisten, von dem es ihn düechte, es wäre kommod für ihn, und ein Lätsch (Strick) um den Hals für Andere.»

Die Vehfreudiger wollten Käse statt Schule

Gotthelf erzählt in seinem Buch, wie das Emmentaler Dorf Vehfreude statt einer Schule eine Käserei baut. Denn mit der Käserei erwarteten die «Vehfreudiger» das grosse Geld. In der Tat war die Käseproduktion im Tal zur damaligen Zeit noch eine ganz neue Branche: Erst 1815 wurde in Kiesen die erste Talkäserei eröffnet. Zuvor kästen die Bauern nur auf den Alpwirtschaften. Wie Gotthelf schreibt, befürchtete man, dass das Gras im Tal weniger gute Milch für den Käse gebe als die Kräuter auf den Alpen.

Die politischen Wirren führten zum Debakel

Dass dem nicht so ist, lernten Bauern und Käser schnell, und schon ging er los, der Tanz ums goldene Kalb. Natürlich kam es auch in Gotthelfs Dorf Vehfreude zu Irrungen und Wirrungen und schliesslich zum Debakel.
Doch neben Geld, Politik und Käse spielt auch die Liebe zwischen dem armen Verdingkind Änneli und dem reichen Ammanssohn Felix eine grosse Rolle.
Logisch, dass diese Lovestory im Gotthelf-Musical (Permiere am 12. Juli 2011) ganz gross herauskommt. Mit Happy-End, wie die Veranstalter betonen. Nicht wie im letzten Jahr beim «Dällebach Kari».
Trotzdem war Dällebach ein Grosserfolg. «Unser Ziel ist es, diesen Erfolg zu überbieten», sagt Res Stucki von den Seespielen. Das Gotthelf-Musical soll das Musikereignis des Sommers werden. Es soll so klingen, «dass auch Jeremias Gotthelf, wenn er von seiner Dichterwolke aus zuhört, gar nicht anders kann, als einfach mitzuswingen», wie Komponist Markus Schönholzer sagt. Gotthelf müsse «fingerschnippend» sagen: «Yeah, man, that’s the sound of my Emmental!»
Auch Autor Charles Lewinsky, bekannt geworden durch die Fernsehsoap «Fascht e Familie», möchte Gotthelf posthum zu globalen Musicalruhm verhelfen: «Jeremias Gotthelf hat es verdient, dass man ihn an den Broadway einlädt. Oder doch zumindest auf die grossen Schweizer Bühnen», sagt Lewinsky. Denn kein anderer habe die Schweiz und ihre typischen Verhaltensweisen so gut verstanden und so exakt geschildert wie Pfarrer Bitzius aus Lützelflüh.

Am Sonntag passiert nichts Gutes

Deshalb – auch im Hinblick auf die kommenden Wahlen – nochmals ein Wort des Meisters. Als die Vehrfreudiger den Wochentag bestimmen wollten, an dem der allererste Käse in der neuen Dorfkäsi produziert werden sollte, schlugen einige den Sonntag vor. Doch gegen den Sonntag gab es Opposition. Gotthelf legte den Gegnern bitterböse Worte in den Mund. Wenn man wissen wolle, was passiert, wenn man am Sonntag zum ersten Mal käse «dann solle man doch nur die Regierungen ansehen, welche am Sonntag gewählt seien, wie lange die es hielten und wie währschaft die seien.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine Dieser Artikel erschien vor einigen Wochen in der Zeitschrift "Lebenslust Emmental".

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