Terracottakrieger

Die schiefe Haartracht und die ursprünglich farbigen Kleider sollen der Qin-Tradition widersprechen. © zvg

Chen Jingyuan: «Terracotta-Krieger nicht von Qin»

upg /  Der chinesische Historiker ist überzeugt, dass die Terracotta-Krieger einer Kaiserin gehörten. Das Museum dementiert.

«Der unsterbliche Kaiser und seine spektakuläre Terrakottaarmee»: So wirbt das Berner Historische Museum für den Besuch der eindrücklichen und gut präsentierten insgesamt 220 Originalobjekte aus China.
Die erst teilweise ausgegrabene Armee aus Ton-Soldaten zählt rund 8000 Tonfiguren. Laut Museumsangaben diente sie zu Lebzeiten «dem Schutz des Kaisers».
Dem widerspricht der chinesische Historiker Chen Jingyuan. Dem Mao-Regime sei bei der Entdeckung der Grabanlage im Jahr 1974 zupass gekommen, dass Kaiser Qin das Reich wie Mao mit Gewalt vereint hatte und die Grundlagen des heutigen Chinas legte. Qin führte für sämtliche Sprachen die gleiche Zeichenschrift ein, die von allen gelesen werden kann. Er vereinheitlichte im ganzen Reich die Strassenbreiten für die Karren und Kutschen, führte identische Gewichts- und Längenmasse ein und vereinheitlichte auch die Währungen.
Lange durfte deshalb nicht in Zweifel gezogen werden, dass sämtliche Inhalte der riesigen Grabanlage aus der Zeit dieses «unsterblichen Kaisers» stammen würden.
Erst im Jahr 2009 konnte der Historiker Chen sein kritisches Buch darüber in Hongkong veröffentlichen. In China ist das Buch nicht verboten, aber eine öffentliche Diskussion darüber findet nicht statt. Maria Khayutina, die das Berner Historische Museum wissenschaftlich berät, hat sich das Buch erst nach der Anfrage von Infosperber beschafft. Gleich wie fast alle westlichen China-Spezialisten zweifelt sie allerdings an Chens These.

Indizienkette

Chen ist überzeugt, dass die Terracotta Armee einer Grossmutter Qins gehörte, nämlich Kaiserin Xuan, die 55 Jahre vor Qins Geburt starb. Während ihrer Herrschaft über den Qin-Staat herrschte eine Wirtschaftsblüte, die es der mächtigen Frau erlaubt haben soll, ein solch gigantisches Projekt zu verwirklichen. Folgende Indizien führt Chen an:

  • Das Museum gibt die Ausdehnung der kaiserlichen Grabanlage mit zwanzig Quadratkilometer an. In diesem Gebiet, dessen Erde und Untergrund sich für grosse Gräber ausgezeichnet eignete, gibt es Funde, die nicht aus der Qin-Zeit stammen. Vieles ist noch nicht ausgegraben. Schriftliche Überlieferungen gibt es praktisch keine.
  • Der Fundort der Terracotta-Armee liegt 1,5 Kilometer vom eigentlichen Grabhügel des Kaisers Qin entfernt, ausserhalb von zwei Mauern, die das Mausoleum umgeben.
  • Die Terrakottaarmee ist nicht mit der fortgeschrittenen Kriegstechnik jener Zeit ausgerüstet: Zahlenmässig überwiegen Streitwagen sowie Bronzewaffen anstelle von Eisenwaffen. Rüstungen fehlen. Qin hatte China vor allem dank Reitertrupps statt mit damals üblichen schwerfälligen Streitwagen erobert. Dazu erklärt Museums-Expertin Khayutina, dass es bei einigen Nachbarn der Qin tatsächlich Eisenwaffen gab. Doch sei die Terrakottaarmee nicht die einzige archäologische Quelle aus der Qin-Zeit. Man habe auch in andern Gräbern nur selten Eisenwaffen gefunden. Das gelte auch für die Han-Zeit, das heisst für die Zeit nach Qin. Auch Werkzeuge aus Eisen finde man sehr selten. Das könne nur bedeuten: Die Eisentechnologie im Qin-Reich war noch nicht sehr weit entwickelt. Dagegen hatte die Technologie des Bronzegusses eine hohe Perfektion erreicht, so dass die Bronzewaffen aus Qin eine bessere Qualität besassen. In der Ausstellung selber sind allerdings Fussfesseln und Werkzeuge aus Eisen ausgestellt.
  • Die gefundenen Waffen mit den Insignien von Qin stammen zwar aus der Zeit von Qin, lagen jedoch in einer höheren und jüngeren Schlammschicht als die Terrakotta-Soldaten. Khayutina sagt, diese Angabe sei in keinen Grabungsberichten zu finden.
  • Die Terrakottaarmee trägt vorwiegend eine schiefe Haartracht und bunte Kleider, welche nicht zur Tradition von Qin gehören. Das Museum sagt, man habe bis zur Entdeckung der Terrakottaarmee gar nicht gewusst, welche Haartracht zur Tradition der Qin gehörte.
  • Trotz Vereinheitlichung verfügen die als kaiserlich bezeichneten Wagen nicht über den damals nötigen Abstand der Radachsen. Die Vereinheitlichung sei eben nicht so schnell realisiert worden, meint Khayutina.
  • Die vielen Wagen werden von jeweils vier Pferden gezogen, was der Hierachie wiederspricht: Kaiserliche Wagen – und nur kaiserliche Wagen – wurden zu Qins Zeit von sechs Pferden gezogen. Dazu nimmt das Museum ausführlich wie folgt Stellung: Der Brauch, sechs Pferde vor den Wagen zu spannen, sei zur Zeit Qins tatsächlich belegt: Vor Kurzem hätten Archäologen ein Sechsergespann in der Pferde-Grube neben einem Grab bei Shenheyuan gefunden. Das sei sehr wahrscheinlich ein königliches. Warum wurde der Bronzewagen, der neben dem Grabhügel des Ersten Kaisers gefunden wurde und dessen Kopie in der Ausstellung steht, nur von vier Pferden gezogen? Khayutina: «Die einfachste Erklärung wäre, dass es kein zeremonieller Wagen, sondern ein Reisewagen ist. Ein Sechsergespann ist für lange Reisen nicht geeignet, der Kaiser war aber selbst sehr oft unterwegs. Einen dieser gut lenkbaren Reisewagen nahm er ins Grab mit.» Diese Frage werde in chinesischen wissenschaftlichen Zeitschriften diskutiert.

Liu Zhancheng, Chef des Archeologenteams, das die Ausgrabungen leitete, bleibt trotz der Zweifel bei der offiziellen Version: Es gebe «harte Indizien», dass die Soldaten von Qin stammen und dieser der «rechtmässige Besitzer» sei.

In der Berner Ausstellung und in den Unterlagen zur Ausstellung ist von der dissidenten Meinung des Historikers Chen Jingyuan kein einziges Wort zu lesen. Das Museum berichtet von «langwierigen Verhandlungen» und einem «komplexen Genehmigungsverfahren» mit Behörden in Beijing. Doch das Museum dementiert, dass die Chinesen für die Texte in der Ausstellung und im Katalog irgendwelche Vorgaben machten.

«Das Wording einhalten»

Externen Führerinnen oder Führern gibt das Museum keine Chance, mit ihren Gruppen die Einwände zu diskutieren, weil das Historische Meseum auswärtige Führer im Gegensatz zu andern Museen nicht zulässt.
Der in China und Basel aufgewachsene Kong Xian ChuKong, der mit seiner Baselbieter Firma Sinolive AG wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen der Schweiz und China unterstützt, wollte dies tun, durfte jedoch seine Gäste nur ausserhalb der Ausstellung in diese einführen.
Während einer ersten Führung am 18. Mai hatte Monika Mühlethaler vom Besucherservice interveniert, weil Kong sich nicht an das für Führer «vorgegebene Wording» halte. Heute streitet das Museum ab, von «Wording» gesprochen zu haben, obwohl mehrere Teilnehmer der Kong-Gruppe gegenüber Infosperber diese Aussage bestätigen.

«Da könnte Jeder kommen und erzählen, was er will», habe Mühlethaler später auch noch vor dem Museumsshop zu einem Sicherheitsmann gesagt, bezeugte Teilnehmer Lukas Ilg von Muttenz.

Siehe auch «Museums-Direktor Messerli verharmlost Zensur»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

3 Meinungen

  • am 14.07.2013 um 13:32 Uhr
    Permalink

    Zufälligerweise besuchte ich gestern die Ausstellung inkl. Führung. Ich kannte die Kontroverse aus dem «Bund» und Infosperber. Tatsächlich nahm die Führerin auch mehrmals direkt oder indirekt Bezug darauf und versicherte, die Ausstellung sei ohne den Einfluss Chinas entworfen worden. Gleich zu Beginn wurde ich aber hellhörig, als die Führerin die Formulierung (Wording!) «die heute umstrittenen Gebiete» verwendete und damit die Nennung von Tibet vermied. Dies hinterliess von Anfang an einen bitteren Nachgeschmack, obwohl im Verlauf der Führung dann keine «verdächtigen» Formulierungen oder Inhalte mehr wiedergegeben wurden.

    Losgelöst davon sollte hier aber noch auf einige nicht ganz korrekte Fakten im Artikel hingewiesen werden:

    1. Chen Jingyuan ist KEIN Historiker, sondern Architekt.
    2. Es ist auch nicht so, dass Chen Jingyuan sein Buch «erst 2009» veröffentlichen konnte: «In the February 2006 issue of ‹Deep›, a reputable magazine published by the China Association for Science and Technology (sort of like a cross between National Geographic and a history magazine), a Chinese architect named Chen Jingyuan who has studied the Qin terracotta army for many years proposed a new theory about the terracotta army […]» und «This theory is actually not new. In the 1980s, Chen Jianyuan has already published the theory in his book » 《中国考古未解之谜》 (China’s Archaeological Mystery)» and in his article “秦俑新探—-俑坑的主人不是秦始皇” (Terrocotta discovery – Owner is not Qinshihuang) written to the National Social Science Department of China". (Quelle: http://goo.gl/oLtv9)

    Geschichtsrevisionismus ist immer so eine Sache. In den allermeisten Fällen kommen solche Versuche nicht aus Fachkreisen, sondern (bestenfalls) von fachfremden Wissenschaftern. Für Journalisten sind diese jedoch häufig «ein gefundenes Fressen", zumal sie dann noch wie im konkreten Fall bestens zur bereits eingeschlagenen Linie passen. Bekanntestes Beispiel in unseren Breiten dürften die sog. Chronologiekritiker sein, die eine drastische Verkürzung, seltener eine Umdatierung oder Verlängerung ganzer historischer Zeitabschnitte fordern.

    Langer Rede kurzer Sinn: (1) Es erscheint mir nicht sinnvoll, dass ein Museum jede noch so esoterische revisionistische Sicht in einer Ausstellung berücksichtigt. Dazu sind sie weder verpflichtet noch wäre dies aus «museumspädagogischer Sicht» sinnvoll. (2) Auch Infosperber-Autoren könnten besser recherchieren (und vielleicht, wenn es denn ihro Gnaden genehm ist, manchmal auch auf kritische Leserkommentare antworten). (3) Die ganze «Wording-Story» rund um das BHM macht misstrauisch – um nicht zu sagen «stinkt gen Himmel".

  • Portrait.Urs.P.Gasche.2
    am 14.07.2013 um 13:57 Uhr
    Permalink

    @Gisiger
    Gerne gebe ich Ihnen eine kurze Antwort. Es hätte zur Transparenz beigetragen zu sagen, dass Sie ein PR- und Marketing-Spezialist sind. Ob Sie auch schon vom Museum Aufträge hatten, weiss ich nicht.
    Sie behaupten, Infosperber habe nicht gut recherchiert. Ich hätte einen falschen Beruf angegeben und Chen habe schon früher ein Buch publiziert. Der von ihnen erwähnte Artikel Chens von 1980 war kein Buch, sonst können Sie es mir gerne zustellen. Und Chen hat sich wiederholt und während vieler Jahre mit dieser Periode Chinas beschäftigt. Es gibt eben auch eine Architekturgeschichte.
    Ob das Museum die historische Interpretation Chens erwähnen muss, dieses Urteil überlasse ich den Leserinnen und Lesern. Ich hatte nur darüber informiert, dass der Museumsbesucher kein Wort davon erfährt, auch nicht um umfangreichen Katalog.
    Die offizielle Zuordnung der Terrakotta-Krieger zu Kaiser Qin mag die richtige sein. Aber gelegentlich haben bei solchen historischen, auf Indizien basierende Theorien (schriftliche gibt es kaum) auch schon Minderheitsmeinungen später recht bekommen.

  • am 4.10.2013 um 13:17 Uhr
    Permalink

    @Gasche: Die Monate zogen ins Land, aber ganz vergessen hatte ich die Diskussion hier nie. Also, in medias res. Ja, ich bin, wie Sie es nennen, «PR- und Marketing-Spezialist» (gut gegoogled, übrigens), wobei das mit dem Thema sowenig zu tun hat wie der Umstand, dass ich Schuhgrösse 43 trage und Rechtshänder bin. Aber es ist erhellend, dass Sie in Ihrer Antwort mit einem Seitenhieb auf eine mögliche – aber eben nicht bestehende – Befangenheit meinerseits beginnen … Nochmals, bereits in den 1980ern veröffentlichte Chen seine «Theorie» in einem Buch, dessen Titel ich in meinem Kommentar genannt habe. Es ist in der zweiten Auflage von 2010 über Amazon beziehbar:

    Xiewan Xing, Yang Fei et alt. (Hrsg.):《中国考古未解之谜》 ("China’s Archaeological Mystery"), bei Amazon die 2. Auflage von 2010 erhältlich: http://www.amazon.cn/mn/detailApp/ref=asc_df_B003DA5OWS670502/?asin=B003DA5OWS&tag=douban-23&creative=2384&creativeASIN=B003DA5OWS&linkCode=asn

    Ich bleibe dabei, die Aussage «[e]rst im Jahr 2009 konnte der Historiker Chen sein kritisches Buch darüber in Hongkong veröffentlichen» ist sachlich falsch und wurde von Ihnen verwendet, um Ihre «Kampagne» gegen das Museum zu untermauern. Ebenso bleibe ich dabei, es ist nicht Aufgabe eines Museums, jede noch so esoterische Meinung zu berücksichtigen.

    Ganz abgesehen davon, dass ich ja die «Wording-Story» ebenfalls kritisch sehe – aber bitte mit validen Argumenten untermauert.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...