Kommentar

kontertext: Das Wort des Tages heisst «wirtschaftsfeindlich»

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  Eine neue kontertext-Rubrik widmet sich der kritischen bis ironischen Durchleuchtung ausgewählter Begriffe.

Was haben ökonomische Massnahmen gegen die Umweltzerstörung, neue Parktarife in Zürich und strengere Regeln für Schweizer Banken gemeinsam? Eigentlich nichts – ausser eines: Wenn über sie debattiert wird, taucht der Vorwurf auf, sie seien «wirtschaftsfeindlich». Genauer: Wo auch immer Linke, Grüne oder Sozialdemokraten Massnahmen fordern, die Unternehmen und Vermögensbesitzer belasten könnten, taucht von bürgerlicher Seite der Vorwurf auf, das sei wirtschaftsfeindlich. Und die Kritisierten wehren sich dann: Nein, wir sind nicht wirtschaftsfeindlich. 

Wirtschaftsfeindlich ist ein starkes Wort. In ihm lauert ein Feind, nicht nur ein Gegner. Der Wirtschaftsfeind ist nicht nur einer, der die Belange der Wirtschaft vernachlässigt, wie das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache meint. Er erinnert auch an den Fressfeind oder Prädator, den die Biologie als Organismus definiert, der einen anderen nutzt und zumeist tötet, um sich zu ernähren. Synonyme sind Räuber und Beutegreifer. Typisch für ihn sind Jagd und Tötungsverhalten. Ihm gewidmete Webseiten werden mit Bildern von Königstigern und Pythons illustriert. Der Feind ist durchaus einer, der seinen Gegner vernichten will. 

Wer aber ist dieser Gegner? «Die» Wirtschaft. Na, das muss ein gedankenloser Depp sein, der diesen Singular vernichten will. Ist denn eine Gesellschaft ohne Wirtschaft überhaupt denkbar? Kaum. «Nur im Schlaraffenland geht es ohne Wirtschaft», sagt der Basler Ökonom «Dominik» (46) auf der Webseite «Wir, die Wirtschaft». Also will kein Mensch wirtschaftsfeindlich sein. Wen dieser Vorwurf trifft, der ist erledigt. 

Im Vorwurf der Wirtschaftsfeindlichkeit und im erwähnten Singular steckt aber auch die Anmassung, die heutige Form der Wirtschaft sei die einzig mögliche, eben die Wirtschaft schlechthin. Es könnte ja zum Beispiel sein, dass der eine oder die andere mit Massnahmen gegen die Umweltzerstörung einen Umbau der Wirtschaft vorantreiben möchte: weg vom Prinzip des Privatprofits hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaft. Der Vorwurf der Wirtschaftsfeindlichkeit schiebt dem schon gedanklich einen Riegel vor. Wer «unsere», jetzige Wirtschaft angreift, greift die Wirtschaft als solche an. Es gibt nur eine Form der Wirtschaft, und die ist sakrosankt.  

Wirtschaftsfeindlich ist ein mächtiges Wort. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

 
_____________________
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur, greift Beiträge aus Medien kritisch auf und pflegt die Kunst des Essays. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.

Zum Infosperber-Dossier:

GegenStrom_2_ProDirectFinance_XX_heller

kontertext: Alle Beiträge

kontertext widerspricht Beiträgen anderer Medien aus politischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...