Kommentar

kontertext: Bend It Like Beckham

Nika Parkhomovskaia, Inna Rozova © zvg

Nika Parkhomovskaia / Inna Rozova /  Gut vorbereitet und eine Chance für den Frauenfussball: Die Europameisterschaften in der Schweiz.

Die Schweiz ist für ein hohes Niveau an ihren Sportveranstaltungen bekannt. Ob bei den traditionellen Ski- und Bob-Weltmeisterschaften oder bei der ersten Biathlon-Weltmeisterschaft – alles läuft da immer reibungslos, perfekt organisiert und bequem für die Zuschauer ab. Kleine Pannen, wie der Fall eines Zauns während eines Biathlonrennens, werden schnell beseitigt und bereiten niemandem wirkliche Unannehmlichkeiten. Fast das Einzige, was ein solches Fest manchmal überschattet, ist der Mangel an Zuschauern, wie er zum Beispiel bei der letztjährigen Fecht-Europameisterschaft in Basel auftrat.

Doch solches droht der am 2. Juli beginnenden EURO 2025 im Frauenfussball kaum. Die Schweiz gewann im harten Kampf gegen die Bewerber Skandinavien und Polen das Recht, sie zu veranstalten. Sobald diese Neuigkeit verkündet wurde, begann im Land die Vorbereitung auf den Wettbewerb. Wir erfuhren dies durch Zufall, als wir bei einem Spaziergang durch Basel auf eine Präsentations-Show der bevorstehenden Meisterschaft inklusive Vorstellung des Pokaldesigns stiessen. Teil der Zeremonie war ausserdem die Degustation eines festlichen Kuchens und die Verlosung von Souvenirs und Eintrittskarten für die Eröffnungszeremonie der Meisterschaft. Bei dieser Tombola hatten wir noch kein Glück, aber später, an der Handball-Europameisterschaft der Frauen, gewannen wir doch noch Tickets für einen Match der EURO 2025. Diese Methode, den sportinteressierten Zuschauern, die sich für die Veranstaltung einer bestimmten Sportart entschlossen haben,  andere, vielleicht weniger vertraute Sportarten schmackhaft zu machen, funktioniert in der Schweiz ausgezeichnet.

Sie sollen schon davon leben können

Wie bereitet sich die Stadt, in der das erste Spiel der Schweizer Nationalmannschaft und das Finale des Turniers stattfinden werden, auf die Europameisterschaft vor? Zunächst einmal ist die Werbung perfekt: Ein Spezialzug der Basler Strassenbahn mit dem Symbol der Meisterschaft fährt seit längerem durch die Stadt; Die Uhr bei der Mittleren Brücke zählt die Minuten rückwärts bis zum Turnierbeginn; EURO-2025-Plakate hängen überall, und im Schaufenster des städtischen Spielzeugmuseums ist eine Fussballerinnen-Installation zu sehen. Das Ziel der Veranstalter ist es jedoch nicht nur, schweizweit mehr als 700’000 Zuschauer auf die Tribünen zu locken (die Meisterschaft wird parallel in acht Städten stattfinden), sondern auch den Frauenfussball zu fördern. Deshalb wurden temporäre Fussballfelder an ikonischen Orten der Stadt wie dem Hafen und dem Messegelände errichtet, auf denen die Kinder herumtoben. Es sind noch keine grossen Bildschirme installiert, um Live-Übertragungen in Cafés und Parks zu ermöglichen, aber es besteht kein Zweifel, dass sie auftauchen werden, wenn das Turnier startet.

Der Frauenfussball braucht in der Schweiz wirklich noch mehr Werbung. Als wir vor einigen Jahren ankamen und erfuhren, dass es in Basel eine Frauenfussballmannschaft gibt, und in der Folge zu einem Spiel gehen wollten, konnte uns niemand erklären, wo die Mädchen eigentlich spielen und wie man Tickets kauft. Das Problem ist nicht nur, dass der Frauenfussball von der Presse nicht ausreichend beleuchtet wird, sondern auch, dass professionelle Spielerinnen ihren Lebensunterhalt in der Schweiz nicht mit Fussball verdienen können und deshalb mit etwas Glück in andere Länder, insbesondere nach Deutschland, England und Frankreich, auswandern, um dort zu spielen. Obwohl die professionelle Frauenliga vor über 30 Jahren in der Schweiz gegründet wurde und viele Mädchen gerne einem Lederball nachlaufen, empfinden manche Zuschauer den Frauenfussball immer noch als etwas Unseriöses. Wir möchten glauben, dass sich die sympathische Nationalmannschaft des Landes unter Führung der erfahrenen schwedischen Trainerin Pia Sundhage bei der Europameisterschaft genauso überzeugend produzieren wird wie die Männer-Nati bei der EURO 2024, und dass damit der Schweizer Frauenfussball auf ein neues Niveau gehoben werden kann.

Wo bleibt Maddli?

Ein Fehler, der spät auffällt: Wir sehen in all der Zeit kaum das Maskottchen des Turniers, die Bernhardiner-Welpe Maddli. Benannt nach der ersten Schweizer Lizenzspielerin Madeleine Boll, wurde das Hündli mit seinem «grossen Herzen und den grossen Träumen» im November 2024 während des Länderspiels der Schweiz gegen Deutschland der Öffentlichkeit vorgestellt, danach aber schien es, als hätte man es ein wenig vergessen. Ausserdem hat man wohl auch ein paar Fans vernachlässigt, denn die von uns gewonnenen Tickets wurden den Versprechungen zufolge zwar im März versandt, aber erhalten haben wir sie zu guter Letzt erst Ende Juni. Es gibt jedoch nicht so viele Fragen an die Schweizer Veranstalter, sondern mehr an den Veranstalter der UEFA-Meisterschaft direkt. Schliesslich ist da noch ein Prinzip der Auswahl von Freiwilligen für dieses Turnier unverständlich. Die obligatorische Anforderung, Englisch, Deutsch und vorzugsweise Französisch auf Niveau C1 des Gesamteuropäischen Referenzrahmens zu beherrschen, schockiert ausländische Kandidatinnen. Vielleicht gibt es ja unter den einheimischen Schweizerinnen selbst so viele, die für die EURO arbeiten wollen, dass es nicht nötig erscheint, ausländische Bewerber zu berücksichtigen?

Perspektive Olympia?

Trotz dieser kleinen Probleme wünschen wir der Schweizer Nationalmannschaft viel Erfolg bei der EURO 2025. Wir hoffen, dass der Frauenfussball nach der Meisterschaft nicht mehr als «unschweizerischer Sport» angesehen wird, wie es früher bei Eishockey und Biathlon der Fall war. Und dass wir die Schweizer Frauenmannschaft noch in einem olympischen Fussballturnier sehen werden, für das sie noch nie zuvor qualifiziert war.

Anmerkung: «Bend it like Beckham» ist ein bekannter britischer Film von Gurinder Chadha: Die Tochter eines orthodoxen Sikh rebelliert gegen den Traditionalismus ihrer Eltern und tritt einer Fussballmannschaft bei.

Aus dem Russischen von Elvira Hauschild Horlacher, Redaktion Felix Schneider.

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