Kommentar

kontertext: Arbeitgeber und Arbeitnehmerin

Michel Mettler © zvg

Michel Mettler /  Die neue kontertext-Rubrik «Wort(e) des Tages» widmet sich der kritischen bis ironischen Durchleuchtung ausgewählter Begriffe.

Wie selbstverständlich dieses Gegensatzpaar über die Lippen geht: Worte wie Kiesel, abgeschliffen durch lange erprobten Gebrauch. Wenn man etwas mit ihnen herumspielt und sie zusammenstossen lässt, geben sie Unerwartetes frei.

Was tut eine Arbeitgeberin? Sie gründet ein Unternehmen, setzt Kapital ein, eigenes oder fremdes, und heuert Fachkräfte an. Sie gibt ihnen eine Beschäftigung und einen Lohn. Was bekommt sie dafür? Die Arbeit ihrer Mitarbeitenden. Diese sind es, die «Arbeit geben». Die Beschäftigten sind die Arbeit-Geber, während die Arbeitgeberin eigentlich Arbeit-Nehmerin ist: Sie nimmt die Arbeit ihrer Mitarbeitenden und schafft daraus Rendite, von der sie die Löhne bezahlt. Und einen netten Teil schöpft sie ab, für sich selbst und ihre Geldgeberinnen. Als Risikoprämie, so hört man sagen.

(Fast) Ein Wortspiel

Es ist also, anders, als die Redeweise es insinuiert, gerade umgekehrt: Die, die Arbeitnehmende genannt werden, sind die Arbeit-Gebenden; die Unternehmer aber nehmen Arbeit, die ihnen von ihren Mitarbeitenden gegeben wird. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr der Sprachgebrauch geprägt wird von Erwartungen an die Wirklichkeit, von Annahmen, Stereotypen und Sehgewohnheiten.

Baustelle
Ist es nicht eher so, dass der Bauarbeiter Arbeit gibt?

Arbeit geben, Arbeit nehmen: So schlicht, fast wie ein Wortspiel mutet das an. Dass der verdrehte Gebrauch sich eingeschliffen hat, lässt tief blicken. Nach neoliberaler Logik soll man im Patron partout den Gebenden sehen. Dabei ist er in der nehmenden Position, solange die Geschäfte laufen. Man mag sagen, er trage das «unternehmerische Risiko», von dem oft in verklärender Weise die Rede ist. Doch viele Firmenpleiten der jüngsten Zeit, Signa Holding zuvorderst, sprechen eine andere Sprache. Die intime Kenntnis des Geschäftsgangs erlaubt es gerade denen, die sich gern mit ihrem freien Unternehmertum brüsten, vorzusorgen für sich und ihresgleichen. Der Möglichkeiten sind viele, der Treuhandfirmen ebenso, nicht nur in Liechtenstein. Die aber, die ihre Arbeit gegeben haben, bleiben sich selbst oder dem Staat überlassen, wenn die Bilanz deponiert wird.

Die freie Wildbahn

An den Wasserlöchern der Serengeti ist immer viel Betrieb. Aber ein jedes Wesen trinkt nur für sich – es sei denn, es habe Gefässe erschaffen, so wie der Mensch. Benkos Konkurs hat viele Arbeit-Gebende hart getroffen. Sie sind auf ihren Rechnungen sitzengeblieben. Der grosse Arbeit-Nehmer aus Innsbruck aber hat für sich und die seinen besser gesorgt als für seine Angestellten. Wie andere Delinquenten wartet er jetzt in U-Haft auf seine Strafe – anders als Jan Marsalek, der COO von Wirecard, hat er die Nachtmaschine nach Minsk verpasst.

Kommt Benko frei, erwartet ihn trotzdem ein anderes Leben als die meisten seiner Mithäftlinge. Die dürften auf der freien Wildbahn, sofern sie dem Verbrechen entsagen wollen, wieder zu Arbeit-Gebern werden müssen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur, greift Beiträge aus Medien kritisch auf und pflegt die Kunst des Essays. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi
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Michel Mettler

Michel Mettler, geb. 1966, lebt als freiberuflicher Autor und Herausgeber in Klingnau. Er interessiert sich für die Geschichtlichkeit von Gegenwart und Erzählungen, die der Subtext schreibt. Zuletzt hat er als Co-Herausgeber den Band DUNKELKAMMERN veröffentlich (Suhrkamp 2020).

4 Meinungen

  • am 30.11.2025 um 11:29 Uhr
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    Die Logik dea Autors überzeugt mich nicht. Potentielle Arbeitnehmer haben nur etwas zum Geben, wenn sie von Unternehmern beauftragt werden. Die Unternehmer geben ihnen einen Auftrag, Arbeit auszuführen, und dafür zahlen sie ihnen einen Lohn. Sie werden also zu Recht Geber genannt und nicht Nehmer.

  • am 30.11.2025 um 21:09 Uhr
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    Ich begrüsse solche Denkanstösse. Offenbar sind solche widersprüchlichen Wortkreationen partout nicht auszurotten. Meine Versuche auch innerhalb gewerkschaftlicher Kreise dies zu kritisieren haben keine Wirkung gezeigt.
    Eben habe ich eine Handwerker-Offerte erhalten, auf welcher der Stundenansatz für einen Monteur CHF 140.00 beträgt, während der Mann einen Stundenlohn von einiges unter CHF 50.00 bekommt. Bei CHF 90.00 «Lohnnebenkosten» pro Stunde kann man sich vorstellen, was da beim Unternehmen hängen bleibt.

  • am 1.12.2025 um 03:50 Uhr
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    Genau das dachte ich vor 20 Jahren im HSG Wirtschaftsstudium! Es geht weiter mit der NACHFRAGE nach Arbeit, die von den Arbeitgebern kommt. Die geben also Arbeit und fragen sie zugleich nach. Während die Arbeitnehmer zugleich Arbeit anbieten, also eigentlich ihre eigene Arbeit selber nehmen könnten…
    Das Problem aus diesem dummen Sprachgebrauch ist, dass es den Leuten das Gefühl gibt, sie wollten Arbeit, also Arbeitsplätze wo sie möglichst lange arbeiten können. In Wahrheit will das niemand, die Leute wollen nur den Output der Produktion. Automatisierung zerstört Arbeitsplätze und das ist wunderbar, wenn man nur den Output gleichmässig an alle verteilt. Arbeitsinput von der Verteilung des Outputs zu trennen, ist zwingend in einer vollautomatisierten Wirtschaft, weil es nämlich keine Nachfrage nach Arbeit mehr geben wird.

  • am 3.12.2025 um 01:27 Uhr
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    Herr Mettler – ein Genuss! Schön, dass wieder einmal jemand (anders) auf die Widersinnigkeit dieser klar ideologischen Terminologie hinweist. Interessant ist ja, dass es diese Begriffe so nur in der deutschen Sprache gibt, was viel über Mentalität verrät. Wie schon Engels schrieb: «Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte.» In anderen Ländern geht es um ‚Ansteller‘ vs. ‚Angestellte‘. (Man könnte allerdings auch mit ‚Verwender‘ und ‚Verwendete‘ übersetzen.) Mir persönlich gefällt ‚Lohnsklaven‘ ganz gut, weil das die Verhältnisse klar zum Ausdruck bringt. Von einem freien Arbeitsmarkt kann ja nicht die Rede sein, wenn die einen gezwungen sind, zu verkaufen (sich zu ‚verdingen’…). «Auftraggeber», o.k. «Arbeit geben» kann ich mir selbst…
    Dank auch an den untypischen HSG-ler Buchmann für kluge Gedanken.
    Ich freue mich auf weitere Worte des Tages. – «Leistungsträger»?

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