Annalena Müller

Annalena Müller, ehemalige Chefredaktorin beim katholischen Pfarrblatt Bern © photopia.ch / Pia Neuenschwander

Nach der fristlosen Kündigung der Pfarrblatt-Chefredaktorin 

Wolf Südbeck-Baur /  Bei Kirchenmedien hagelt es Kündigungen und Abgänge. Statt unabhängigen Journalismus will die Kirche mehr PR in eigener Sache.

Red. Wolf Südbeck-Baur war bis Ende 2024 Redaktionsleiter der Schweizer Zeitschrift Aufbruch und ist Mitarbeiter von Publik-Forum. Ein Gastbeitrag.


Fristlos entlassen

Wolf Südbeck-Baur
Wolf Südbeck-Baur

Es rumort in der katholischen Medienszene der Schweiz. Mehrere Chefredaktoren und Kommunikationsverantwortliche mussten ihren Stuhl räumen oder nahmen desillusioniert selbst den Hut. Was steckt hinter den Turbulenzen in der Schweizer katholischen Medienwelt? 

Jüngstes Beispiel ist Annalena Müller, die der Vereinsvorstand nach nicht einmal einem Jahr als Chefredaktorin des katholischen Pfarrblatts Bern Ende Mai per sofort freigestellt und vor die Tür gesetzt hat. Ihr Vertrag endet im November. «Ich bin entlassen worden, weil ich genau das geliefert habe, wofür ich angestellt wurde», erklärt die Journalistin auf Anfrage. Bei ihrer Anstellung im Juli 2024 habe ihr schriftlich vorgelegtes Konzept eines aufgeklärten Kirchenjournalismus mit Schwerpunkt auf regionalen, nationalen und internationalen kirchlichen Themen den Vorstand der Berner Pfarrblatt-Gemeinschaft überzeugt, sagt die 41-Jährige. 

Bald schon bescherte Müllers unerschrocken kritische Handschrift dem Pfarrblatt Bern im Print, Online und Digital eine höhere Sichtbarkeit und Reichweite. Es sprach nicht mehr vor allem zur eigenen Bubble, sondern klärte professionell über kirchenpolitische Hintergründe und Zusammenhänge auf, verabschiedete sich von «pseudokritischer Hofberichterstattung» und pflegte einen «aufgeklärten Kirchenjournalismus», wie Annalena Müller es formuliert. 

Der Vorstand des Pfarrblatt-Herausgebervereins

Dyami Häfliger (Präsident),  Karl Martin Wyss (Vizepräsident und Präsident der Gesamtkirchggemeinde Bern), Monika Bähler, Ruedi Heim, Jure Ljubic, Sofia Lorenzini, Francesco Marra, Patrick Schafer, Sebastian Schafer.

Entsetzen in der Redaktion 

Doch dem im Mai neu gewählten Vorstand mit Präsident Dyami Häfliger an der Spitze gefiel das nicht. Mit »Differenzen, etwa in Bezug auf die Gewichtung zwischen regionalen und nationalen Themen, die publizistische Tonalität sowie die redaktionelle Positionierung gegenüber kirchlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen«, begründete Häfliger die sofortige Freistellung der Chefredaktorin. Die Redaktion reagierte mit Trauer und Entsetzen. 

Dyami Häfliger, Präsident
Dyami Häfliger, Präsident des Herausgebervereins des Berner Pfarrblatts

Der Vorstand sehe die Aufgabe des Pfarrblatts darin, »die Vielfalt und das kirchliche Leben in den Trägergemeinden sichtbar zu machen«. Also sich auf das konzentrieren, was an Schönem und Gutem geschieht in den Gemeinden – und das nicht so Schöne verschweigen? Einblick in den laufenden Prozess der strategischen Neuausrichtung will der neue Präsident der Berner Pfarrblattgemeinschaft momentan nicht geben. Man wolle zunächst «sorgfältig im Dialog mit Redaktion und Trägerschaft klären, wie die strategische und publizistische Ausrichtung des Pfarrblatts künftig aussehen soll», so Häfliger. 

Mit ihrem Verständnis von einem unabhängig-kritischen Kirchenjournalismus scheitert Annalena Müller damit zum zweiten Mal. Anfang 2024 verhinderte die Schweizer Bischofskonferenz ihre Berufung zur Chefredaktorin der katholischen Nachrichtenagentur kath.ch – obwohl Charles Martig, der damalige Chef von kath.chsie als seine Nachfolgerin empfohlen hatte und obwohl der damalige Vorstand sie einstimmig gewählt hatte. 

Reputationsverlust der Kirche

Keine Frage: In der Person von Annalena Müller manifestiert sich der Richtungsstreit innerhalb des katholischen Kommunikationssystems: Sollen kirchlich finanzierte Medien unabhängigen und kritischen Journalismus betreiben – oder sollen sie ihren Geldgebern dienen, die Institution stützen, Teil der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit sein? 

«Die Berner Landeskirche nimmt die Freistellung der Pfarrblatt-Chefredaktorin mit Bedauern zur Kenntnis», sagt Charles Martig, heute Mediensprecher und Leiter des Kompetenzzentrums Kommunikation der Berner Landeskirche, die, so betont Martig, keinen Einfluss auf die Entlassung gehabt habe. [Red. Herausgeber des Pfarrblatts ist ein Verein.] Martig hält einen «freien und unabhängigen Kirchenjournalismus» für die einzige Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit der Kirche wiederherzustellen. 

Martig verweist auf die aktuelle Religionsbefragung des Forschungsinstituts Sotomo. Sie lieferte kürzlich Zahlen, die den Reputationsverlust der Kirche belegen: 65 Prozent der Schweizer Bevölkerung attestierten ihr einen negativen oder eher negativen Ruf. Nur 15 Prozent hätten ein positives oder eher positives Bild von der katholischen Kirche. »Das Versagen der katholischen Kirche beim Missbrauch multipliziert sich mit der defensiven Kommunikation«, schrieb Martig den Bischöfen bei seinem Abschied von kath.ch 2024 ins Stammbuch. Die Kirche müsse »auf offene und transparente Kommunikation setzen und zeigen, was Sache ist«. 

Doch das stösst bei den Bischöfen alles andere als auf offene Ohren. Auch bei kath.ch wechselte der Chefredaktor innerhalb eines Jahres zweimal; im Vorstand wurden alle Medienprofis ausgetauscht. Ein klarer Strategiewechsel, resümiert Martig. «Es ist Teil des Grundverständnisses, dass die Kirchenverantwortlichen in der Öffentlichkeit über gewisse Dinge nicht reden wollen», sagt er. Nach aussen werde zwar der Wille zur Kommunikation bekräftigt, doch müsse sie «schön kontrolliert» bleiben und vor allem die guten und positiven Seiten der Kirche darstellen. Dies sei kein journalistisches, sondern ein «Marketingverständnis».

Aus dem Pfarrblatt-Redaktionsstatut vom 4.12.2019

«Das Pfarrblatt berichtet redaktionell unabhängig über das kirchliche Leben im Kanton Bern.» Zu den Aufgaben der Redaktion: «Die Redaktion wirkt dem Vertrauensschwund der Kirche entgegen, indem sie innerkirchliche Konflikte nicht ausblendet, aber ebenso hoffnungsvolle Aufbrüche in der Kirche aufzeigt.»

Konflikte mögen die Oberen nicht 

Die Folge sei «ein enormer Relevanzverlust von kath.ch», konstatiert Martig. Aus seiner Sicht geht es in dieser Auseinandersetzung um die Deutungshoheit, was die katholische Kirche in der Schweiz ausmacht: Stellt sie sich den Auseinandersetzungen der Welt, sieht sie ihre Fehler und Fehlbarkeit – oder begreift sie sich als von der Welt getrennte heilige Gemeinschaft, in der es schlimmstenfalls ein paar menschliche Schwächen gibt, die aber nichts an der Heiligkeit ändern? 

Vor diesem Hintergrund fallen weitere Abgänge in der katholischen Kommunikation ins Auge. Mitte April gab Barbara Melzl ihre Stelle als Kommunikationsverantwortliche des Bistums Basel auf. Ende Dezember wurde Julia Moreno, Kommunikationsleiterin der Schweizer Bischofskonferenz, von den Bischöfen «wegen unterschiedlicher Auffassungen» gefeuert.

Obschon einzelne Landeskirchen wie die Zürcher und Berner einen kritischen Kirchenjournalismus grundsätzlich unterstützen, bleibt die Frage, wie das Verhältnis von Kritik an der katholischen Kirche und der Loyalität ihr gegenüber gestaltet werden kann. Sie wolle die Institution nicht untergraben, betont Annalena Müller, sondern verändern, vermenschlichen. Mit dieser Haltung, so Müller, sei das zweifellos vorhandene Spannungsfeld händelbar. Das aber stosse insbesondere bei denjenigen in einflussreichen Positionen auf wenig Gegenliebe. 

«Ich denke, dass sich die meisten, die kirchlich Einfluss haben, solchem Kirchenjournalismus nicht gerne aussetzen«, sagt Müller. Es fehle dort eine »Kultur der Konfliktfähigkeit». 

Über ein Beispiel für diese mangelnde Konfliktfähigkeit berichtete die Berner evangelische Kirchenzeitung «reformiert», nachdem Schweizer Medien den inzwischen vom Vatikan gerügten Umgang des Bistums Basel mit Akten zu Missbrauchsfällen aufgegriffen hatten. Dort hiess es, der Basler Bischof Felix Gmür verweigere die Herausgabe von neuen Missbrauchsakten. Annalena Müller hatte bereits vor ihrer Zeit als Chefredaktorin des Pfarrblatts kritisch darüber berichtet. 

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. Juli 2025 im «Publik-Forum».


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2 Meinungen

  • am 3.08.2025 um 11:33 Uhr
    Permalink

    PR (Werbung) oder andere Werte (kritischen Journalismus)? Nur ein Wert kann der Wichtigste sein. Jedes Ding hat mindestens zwei Seiten. PR ist meist die gezielte Desinformation, weil sie will (so der Name Public Relation) Beziehung herstellen, um besser zu Verkaufen.

  • am 4.08.2025 um 00:57 Uhr
    Permalink

    Je me réjouis de pouvoir vous lire (en traduction française), car vous êtes l’un des seuls médias en Suisse qui donne un éclairage absolument nécessaire à tous les citoyens-ennes de ce pays, sur les hauts (et bas) faits de notre monde politique bien opaque… Keller-Suter a fait preuve d’une naïveté – et d’une arrogance doublée de méconnaissance – sans limites.
    Les conséquences, comme toujours, vont être à la charge du bon petit peuple déjà bien appauvri et des petites entreprises, qui vont voir charges et coût de la vie grimper à un niveau inimaginable.
    Tout ce que j’espère, c’est que KKS soit obligée de remiser son nouveau plan fédéral d’économies…. ce serait le seul bon point de toute cette histoire !

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